Essen. . Als Bob Dylan 1970 sein Doppelalbum „Self Portrait“ veröffentlichte, war das Gejaule groß. Aus dem Heiligen von „Blonde on Blonde“ war plötzlich ein verunsicherter Künstler geworden, der sein Image los werden wollte. Jetzt erinnert Dylan mit „Another Self Portrait“ an eben diese Zeit.
Musikkritiker Greil Marcus vom Magazin Rolling Stone redete nicht lange um den heißen Brei herum. „Was soll dieser Scheiß?“ lautete 1970 die erste Zeile seiner Besprechung des neuen Dylan-Albums „Self Portrait“. Ein ratlos gewordener Künstler hatte hier auf einem Doppelalbum von allem etwas zusammengewürfelt: rumpelnde Live-Aufnahmen mit The Band, alte Folksongs, knödelnde Country-Music, seltsame Dinge wie den Frauen-Choral „All the Tired Horses“ und das Gesumme auf „Wigwam“.
Der gleiche Greil Marcus, Ironie der Geschichte, hat jetzt einen langen Text geschrieben für „Another Self Portrait“, der soeben erschienenen zehnten Edition der gefeierten „Bootleg Series“. Dylan kehrt hier zurück zu jener Zeit zwischen 1969 und 1971, in der er verzweifelt versuchte, vom Sockel der Pop-Ikone herunterzukommen.
Für Fans eine Fundgrube
Für Dylan-Fans sind diese 35 Stücke auf zwei CDs – mal alternative Versionen, mal Urfassungen, viele unveröffentlichte Titel – eine wahre Fundgrube. Dylan experimentiert herum, was das Zeug hält. „If Not For You“ unterlegt er mit einer dominierenden Violine, „Sign on the Window“wird von großem Orchester ummantelt, „New Morning“ von einer Bläserattacke eröffnet, die an „Got to Get You Into My Life“ von den Beatles erinnert. Zwei Beispiele der Zusammenarbeit mit George Harrison sind enthalten, darunter das unveröffentlichte, selbstironische „Working On A Guru“.
Hätte sich Dylan damals auf die hier zahlreich vertretenen Traditionals wie „Tattle O’Day“ oder „Railroad Bill“ beschränkt, man hätte zumindest eine frühe Form von „World Gone Wrong“ gehabt, eine klare Hinwendung zum Traditionellen. Aber entscheiden konnte sich Dylan damals nicht, und darum ist auch dies hier wieder ein großer Gemischtwarenladen. Doch Greil Marcus verhehlt inzwischen nicht, dass auch das unterhaltsam sein kann.