Düsseldorf. . Genialer Elektropop oder „Futuristenkitsch“? Im 43. Jahr seines Bestehens feiert das Düsseldorfer Quartett “Kraftwerk“ größere Erfolge denn je: Acht Auftritte in der Kunstsammlung NRW und eine Fotografie-Ausstellung im NRW Forum Kultur und Wirtschaft.

Vier Herren, deren Bewegungsdrang den von Statuen nur knapp übertrifft, stehen an Laptop-Pulten. Dahinter: Eine futuristisch bespielte Videowand. Bei den Konzerten von „Kraftwerk“ wird nur halb so viel getanzt wie gestaunt. Da mutet es fast zwangsläufig an, dass die Düsseldorfer Elektropioniere mal im Museum landen würden.

Im Herbst 2011 ließ sich das Quartett, das neben den stilistisch so anders gepolten „Scorpions“ nach wie vor der führende deutsche Pop-Exportartikel ist, im Münchner Lenbachhaus bestaunen. Als die Band dann im April 2012 im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) eine „Kraftwerk-Retrospektive“ aus acht Konzerten in Folge anbot, waren die Auftritte wenige Minuten nach Ankündigung ausverkauft.

„Fahr’n, fahr’n, fahr’n . . .“

Die ebenso sinnfällig wie merkfähig betitelte Konzertfolge „1 2 3 4 5 6 7 8“ gastiert nun im Februar in der Tate Modern in London, doch zuvor rockt „Kraftwerk“ seine Heimatstadt Düsseldorf. Die Band, an der seit dem Ausscheiden von Florian Schneider vor vier Jahren von den Gründern nun noch der studierte Architekt Ralf Hütter beteiligt ist, spielt ab Freitag Abend für Abend in der Staatsgalerie des Landes, der Kunstsammlung NRW, am Grabbeplatz im Herzen von Düsseldorf.

Es beginnt mit „Autobahn“ von 1974, dem ersten Erfolgsalbum der vier Jahre zuvor gegründeten Band. „Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“ kann beinahe jeder Deutsche über 30 mitsingen, und schon hier griff das Erfolgsrezept, das dann auch für Ohrwurm-Klassiker wie „Trans Europa Express“ oder „Das Model“ sorgen sollte: Größte Sparsamkeit bei der Verwendung von Noten- und Wortmaterial, gekoppelt mit denkbar höchster Eingängigkeit der Tonfolgen. Hier eine Terz hinauf, dort ein kleiner Synkopensprung, und fertig war der melodische Minimalismus im Avantgarde-Kostüm.

Der "Kraftwerk"-Erfolg hat mit dem Deutschen-Klischee zu tun

„Kraftwerk“ ist längst eine Marke. Deren internationaler Erfolg hat wohl auch damit zu tun, dass der Name genau wie das Auftreten der Band dem weltweite Klischee vom roboterhaft arbeitenden Deutschen entspricht, inklusive rollbares „R“ im Doppelpack.

Was die Band selbst stets als

fortgesetzte Fortschrittsfreudigkeit der 20er-Jahre deklarierte - als Fortsetzung von Fritz Langs „Metropolis“ mit musikalischen Mitteln - tat der provokationslüsterne „Spiegel“ einst als „Futuristenkitsch“ ab. Doch der „Kraftwerk“-Blick auf Technik und Gesellschaft ist längst ambivalent: Schon die Platte „(Wir sind) Die Roboter“ spielte mit der Zweischneidigkeit von Mensch gewordener Mechanik. Und bereits das „Computerwelt“-Album von 1981, wie die allermeisten eingespielt im legendären Kling-Klang-Studio unweit des Düsseldorfer Hauptbahnhofs, wusste von der epochalen Prägekraft dieser Maschine – zwei Jahre, bevor der erste PC auf den Markt kam. Gelegentlich wird es sogar eindeutig: Wenn die Band „Radioaktivität“ (1975) spielt, brummt nicht selten eine alarmierende Bassfrequenz durch den Saal, zu der immer mal wieder erweiterten Namensfolge von Hiroshima, Sellafield, Harrisburg und Tschernobyl auf der Video-Wand.

„Kandinsky, Malewitsch . . .“

Und vielleicht noch wichtiger: Die Energie, die von „Kraftwerk“ ausging, elektrisierte ganze Generationen von Musikern. Der Rhythmus-Sound von „Trans Europa Express“ verwandelte sich in den Schwarzen-Gettos der USA in Breakdance und HipHop, der futuristische Sound stand Pate bei einer ganzen Reihe von „New Wave“-Bands von „Ultravox“ und „Joy Division“ bis „Depeche Mode“. Die Bandbreite der „Kraftwerk“-Fans unter Musikern reicht von Björk bis U2-Sänger Bono Vox.

Marion Ackermann, als Chefin der Kunstsammlung NRW in den nächsten Tagen oberste „Kraftwerk“-Gastgeberin, hält die Gruppe jedenfalls für ein Produkt „der aufbrechenden Düsseldorfer Kunstszene der 1960er-Jahre“ und sieht „Bezüge zu Künstlern der europäischen Avantgarde wie Kandinsky, Ma­lewitsch oder Mon­drian, zum Konstruktivismus und Minimalismus“. Was die Band selbstverständlich nur noch reifer fürs Museum macht.