Dortmund. Der Mythos Mayday hat in der Nacht zum 1. Mai wieder 25.000 Techno-Fans in die Dortmunder Westfalenhallen gelockt. 50 internationale Stars der elektronischen Musik-Szene wie Paul van Dyk, ATB, Moguai, Carl Cox und Ferry Corsten steuerten wie Puppenspieler die Bewegungen der Besucher auf der Tanzfläche.
Es ist einer der Momente, der den DJ zum Dompteur von tausenden Leibern macht. Mitten im Bass-Gewitter, kurz bevor die Melodie einsetzt, zieht Andre Tanneberger alias ATB den Regler an seinem Mischpult herunter. Eine merkwürdige Stille legt sich in die Dortmunder Westfalenhalle 1. Dann brandet Jubel auf. Der Bochumer Dj legt seine Hand provozierend ans Ohr. Immer lauter wird das Schreien der Mayday-Jünger. Die durchgeschwitzten Leiber fordern den Bass, die Melodie – sie wollen sich weiter ihren ekstatischen Bewegungen hingeben.
Ein Lächeln huscht über das Gesicht des DJs – und ATB lässt die brachiale Gewalt von mehreren hunderttausend Watt wieder auf die Masse in der Arena los. So funktioniert die Interaktion zwischen DJ und Tänzern seit mehr als 20 Jahren bei der „Mutter aller Raves“.
Mayday ist wie riesiger Club voller Energie
„Die große Westfalenhalle ist wie ein riesiger Club voller Energie“, schwärmt der Recklinghauser Moguai im DerWesten-Interview. Es ist mittlerweile der zehnte Auftritt des DJs, der wie ATB derzeit in den USA wie ein Popstar gefeiert wird. „Ich bin ein Freund von Traditionen, und hier hat sich in all den Jahren nichts verändert“, freut sich der Produzent.
Noch immer zieht der Mythos Mayday jährlich 25.000 Techno-Fans in der Nacht zum 1. Mai nach Dortmund. Einige Raver kleiden sich traditionsgemäß bunt und schrill, ziehen Fellstulpen über Arme und Beine und verwandeln ihr Haar in neonfarbene Stachel. Die weiblichen Techno-Fans wählen meist bequeme Kleidung – manchmal reichen nur ein paar sexy Stofffetzen. Aber auch der unauffällige Jeans-/T-Shirt-Träger fühlt sich auf der Mayday wohl. Toleranz ist hier oberstes Gebot. Kein Dresscode, keine Vorurteile – für die Raver zählt in dieser Nacht nur die Musik der nationalen und internationalen Stars.
Techno hat bereits seinen Oldie-Bereich
Über 50 DJs und Live-Acts präsentierten in fünf Hallen die Vielfalt der elektronischen Musik. Die Raver konnten zwischen Techno, House, Trance, Hardcore und einem Oldie-Bereich – dem sogenannten „Twenty Young Dome“ wählen. Die Jugendkultur-Bewegung hat nach 20 Jahren längst ihre musikalische Vergangenheit. In dieser Area durfte ein in der Rave-Szene längst in der Versenkung verschwundener Mark’Oh mit den älteren Semestern in Erinnerungen schwelgen. 1995 war der Dorstener noch mit einer Techno-Version von Michael Holms „Tränen lügen nicht“ auf Platz 1 der deutschen Single-Charts gelandet.
Die Superstars der Mayday 2012 heißen allerdings Paul van Dyk, Westbam, Moguai, ATB und Felix Kröcher. Sie drückten dem diesjährigen Motto „Made in Germany“ ihren Stempel auf. Unterstützung bekamen sie von internationalen Künstlern wie Ferry Corsten (Niederlande), Carl Cox (England) und Marcus Schössow (Schweden). Während Ferry Corsten vor allem mit eigenen Trance-Kompositionen für Gänsehaut-Stimmung in der großen Arena sorgte, zeigte der 49-jährige Carl Cox, dass er die im Durchschnitt nicht mal halb so alten Raver wie ein Puppenspieler zu seinem Techno-Sound tanzen lassen kann.
ATB fordert von DJs mehr Showelement auf der Bühne
Der Veranstalter i-Motion zeigte sich sehr zufrieden mit der Resonanz. Auch wenn es nach dem Rekord zum Jubiläum im vergangenen Jahr 2000 Raver weniger nach Dortmund zog. „Deutschland ist ein schwieriger Markt für solche Großveranstaltungen – hier sind schon einige gescheitert“, so i-Motion-Chef Nikolaus Schär.
„25.000 Besucher sind eine Sensation ohne Unterstützung der Öffentlichkeit“, pflichtet Andre Tanneberger bei. „Die elektronische Musik erhält doch abseits von David Guetta von den Medien null Unterstützung“, ärgert sich der Bochumer. Tanneberger sieht eine Zukunfts-Chance in einem Wandel des DJ-Daseins: „Auf der Bühne muss es mehr Showelemente geben.“ So hatte ATB bei seinem Auftritt Jan Löchel (Vocal-Coach bei „The Voice of Germany“) als Live-Sänger mitgebracht. Mit Erfolg: Auf der Mayday 2012 gehörte ATB zu den am meisten bejubelten Akteuren.