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Die Zeitgenossen nahmen diese seltsame Band kaum wahr. Mit dem Rücken zum Publikum spielten sie einen überreizten, übersteuerten Rock 'n' Roll, ihre Texte konnten unpolitischer kaum sein. Und doch: The Velvet Underground beeinflussten Generationen von Musikern, sie entdeckten nicht weniger als die dunkle Seite der Rockmusik. Manche behaupten gar, die Amerikaner ohne jeden Charterfolg hätten eine echte Revolution ausgelöst.

Davon schienen die Velvets meilenweit entfernt, als sie 1967 ihr Debüt „The Velvet Underground & Nico“ einspielten: Für 2000 Dollar verzichteten Velvet Underground auf moderne Techniken – die Klangqualität ist unterirdisch. Ganz anders als die Stars der angesagten Hippies waren die Velvets alles andere als politisch wie etwa ein Bob Dylan, ihre Musik war nicht schön wie die eines Scott McKenzie.

Die Probleme der Zeit interessieren sie nicht, singt Lou Reed in „Beginning to see the light“: „There are many problems in these times. But none of them are mine.“ Reeds Texte behandelten den Alltag in grauen Farben: Im monotonen „Waiting for the man“ besingt Reed, wie ein weißer Junge in Harlem auf seinen Dealer wartet.

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Warhol wollte Sängerin Nico

Ohne jede Verklausulierung gehen die Velvets noch einen Schritt weiter: In „Heroin“ erheben sie den Drogenrausch zur Hymne, im orgastischen Finale scheinen alle Dämme zu brechen: Übersteuerte Gitarren, dazu John Cales elektrische Viola in schiefen Tönen.

Dazwischen immer wieder schöne Balladen wie „Femme Fatale“, der schönen Nico auf Leib und Stimme geschrieben. Die Deutsche, mit bürgerlichem Namen Christa Päffgen, stieß auf Wunsch des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol zu dem Quartett. Das war die Gegenleistung dafür, dass Warhol die Band protegierte.

Für die Velvets schuf er aufwendige Multimedia-Shows. Die Band spielte vor zwei Leinwänden, auf denen Warhol-Filme liefen, Lichteffekte machten das düstere Spektakel perfekt. Was bei großen Bands heute zum Konzert-Standard gehört, brachten Warhol und Velvet Underground Mitte der 60er Jahre auf die Club-Bühne.

Sprechgesang auf Kauderwelsch

Nico war bis dato als Fotomodell in Erscheinung getreten. Gerade Frontmann und Sänger Lou Reed war von der Weißen mit der dunklen Stimme wenig angetan. Und doch ist es die tiefe Stimme, mit der Nico etwa „All tomorrows parties“ besingt, die untrennbar zu Velvet Underground gehört.

Sang Reed, stand Nico nur so da. Reed brachte eher eine Art Sprechgesang im Mikro unter, sein Kauderwelsch blieb oft unverstanden. Mit einer ganz ähnlichen Mischung aus Sprechen und Singen war 30 Jahre später Beck überaus erfolgreich.

Zweiter musikalischer Kopf der Velvets war Multi-Instrumentalist John Cale. Der Violaspieler hatte ein klassisches Musikstudium absolviert, spielte minimalistischen Rock auch an Klavier, Gitarre, Bass.

Cale und Reed harmonierten nur musikalisch. „Er ist genau so stur und egozentrisch wie ich“, sagte Cale einmal über Reed. 1968, als die Velvets auf Tour mühsam ihren Lebensunterhalt erspielten, sollen sich die beiden oft geprügelt haben. Cale stieg aus, die charismatische Nico hatte Reed ein Jahr zuvor gefeuert.

Ihrer Zeit voraus

Blieben Sterling Morrison (Gitarre, Bass) und Maureen Tucker von der Original-Bestzung. Tucker war eine ungewöhnliche Schlagzeugerin. Sie war die erste Frau an den Trommeln einer Rockband und: Tucker spielte im Stehen.

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Von DerWesten

Mit Cales Weggang verließ das Avantgardistische die Band. Der Sound wurde jetzt Folk lastiger, sensibler – in einem Wort: konventioneller.

Der Ruhm kam spät. Als 1985 unveröffentlichtes Material der Band auf Vinyl gepresst erschien, passte die Musik in die Zeit, als sei sie gerade erst geschrieben worden. Das Album „VU“ erreichte Platz 25 der britischen Charts – 15 Jahre nach ihrer Auflösung hatten die Velvets ihren größten Erfolg.

Über ihr 67er Debüt sagte Produzent und Musiker Brian Eno einmal, dass nur „10 000 Stück davon verkauft wurden. Aber jeder, der es kaufte, gründete eine Band“. Die Liste ist lang. Eno selbst gründete Roxy Music, David Bowie war dem minimalistischen Velvet-Sound verpflichtet, Joy Division, New Order, Talking Heads. Auch die düstere Optik: Schwarze Klamotten, Sonnenbrillen – zu Stilikonen wurden die Velvets erst Jahre nach ihrer Auflösung 1970.

Ein Präsident als Fan

Drei wandelten weiter auf Solo-Pfaden. Lou Reed am erfolgreichsten. Doch auch Nico und John Cale spielten viel beachtete Platten ein.

Einer, der die Velvets schon in den 60ern wahrnahm, war Václav Havel, späterer tschechischer Präsident. Dem „Spiegel“ sagte er 1993: „Unsere Revolution hat auch eine musikalische Seite. 1968 brachte ich eine LP von Velvet Underground mit nach Prag. Diese Platte regte die Untergrund-Musiker hierzulande an.“ Die wurden verfolgt, wogegen die Bürger unter anderem protestierten.

Eine Legende? Vielleicht. Vielleicht gibt es aber tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem samtenen Untergrund (Velvet Underground) und der Samtenen Revolution.

Die Charts des Jahres

Scott McKenzies „San Francisco“ ist ein echter Evergreen, gilt als Hymne der Hippie-Kultur – und landete 1967 dennoch nur auf dem zweiten Platz der deutschen Jahreshitparade. Die Spitze sicherte sich der Siegertitel des damaligen Grand Prix Eurovision: Die englische Sängerin Sandie Shaw hatte mit „Puppet on a String“ einen europaweiten Bestseller. In ihrem Mutterland reichte es nur zu Platz fünf. Dort setzte sich, trotz Beatlemania, 1967 Engelbert Humperdinck mit gleich zwei Titeln („The Last Waltz“ und „Release Me“) an die Spitze. (Quelle: charts-surfer.de)

1. Sandie Shaw: Puppet on a string

2. Scott McKenzie: San Francisco

3. David Garrick: Dear Mrs. Applebee

4. Roy Black: Meine Liebe zu Dir

5. The Monkees: I’m A Believer

6. The Rolling Stones: Let’s Spend The Night Together

7. Roy Black: Frag nur dein Herz

8. Manfred Mann: Ha! Ha! Said the Clown

9. The Beatles: All You Need Is Love

10. The Beatles: Penny Lane