Herbert Grönemeyer feiert Hafenfest in Gelsenkirchen
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Gelsenkirchen. . Heimat ist, wenn Gelsenkirchen aus voller Seele „Bochum“ singt: Herbert Grönemeyer ist wieder zu Hause; auf seiner Tour „Schiffsverkehr“ hat „Herbie“ im Heimathafen angelegt. Ein Hafenfest! Vor Mitternacht kam am Dienstag jedenfalls keiner in die Koje.
Als stolzer Schoner ist die Bühne in der Arena vor Anker gegangen, fünf Masten tragen Leinwände wie Segel und darauf das Bild des Sängers mit Südwester auf dem schütter werdenden Haar. Den Feldstecher vor Augen, beginnt dieser Film-Grönemeyer mit zwei neuen Songs, die vom Sehnen singen nach hoher See: „Schiffsverkehr“ und „Fernweh“. Doch warum in die Ferne schweifen? Hier ist das Publikum ganz nah. Und der leibhaftige Herbert ein tanzender Musikmatrose in roten Schuhen, der 50 000 in der Halle im Handumdrehen angeheuert hat, wie immer. In meinem Ruhrpott bin ich Kapitän!
Kein Schiffbruch, dass das geschlossene Schalker Stadion nach Open-Air-Abenden in den echten Hafen- und Hansestädten Hamburg oder Rostock eher wirkt wie ein Trockendock; dem Ruhrgebiet mag die Bühnen-Promenade mit Laternen zum Festhalten ohnehin bodenständig-vertrauter vorkommen. Sollte sich allerdings jemand gewundert haben über dieses Plattenwerk Nummer 13, das der Bochumer Neu-Berliner plötzlich so nah am Wasser gebaut hat: Wer zuhört an diesem Abend, entdeckt mit „Zum Meer“, mit „Land unter“, mit dem „Strand des Lebens“ in „Mensch“ und dem gemeinsamen „Boot“ in „Ein Stück Himmel“ ein offenbar altes Grönemeyer-Thema staunend neu.
Technik fischt im Trüben
Und der – lässt sich von der mitgrölenden Masse „aus dem Sturm“ retten und sonnt sich in ihrem Gesang. Mehrfach steht Grönemeyer still in diesem Tosen und sieht sehr gerührt aus. Man möchte sein Lächeln fast selig nennen, „wunderschön“ nennt er den Abend mehrfach und einmal sogar „innig“: „Viel schöner wird’s nicht mehr im Leben.“ Hat er eigentlich abgenommen, der Herbert? Man achtet ja auf sowas, wenn einer heimkommt nach Jahren – es sind auch schon wieder zwei, seit er im Bochumer Regen zu den Sinfonikern sang.
Diesmal bleibt bis auf die Augen alles trocken, nur die Technik fischt anfangs hörbar im Trüben, worin der Background-Gesang absäuft und die neuen Texte untergehen. Das ist auch schon in anderen Arenen so gewesen und schade für den, der die Lieder des neuen Albums noch nicht selbst singen kann und deshalb hören wollte. Aber nun: Im akustischen Brei versinken ja auch jene seltsamen Textzeilen („Monotonie ist wie ein Schuss ins Knie, und weiter bringt sie einen nie“), über deren Sinn die Fans seit ihrem Auftauchen im März grübeln. Fast ist es ein Trost, dass solche zuletzt heftig geschlagen Reime etwas überspült werden. Und steht da nicht extra „HRBRT“ hinter der Bühne, als typisch Herbertsche Konsonantensammlung? Es sieht übrigens aus wie „Heart“.
Herbie in Gelsenkirchen
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Andächtige Stille
Aber was braucht es schon Vokale, die füllen die Fans an. Die sind stimmlich spätestens bei „Bochum“ alle an Bord und dem Barden vollständig verfallen, als er ihnen bereits in der ersten halben Stunde die „Currywurst“ serviert. Sie tanzen mit Grönemeyer („Kopf hoch, tanzen“), und sie weinen mit ihm („Der Weg“), sie reisen mit ihm durch stürmische See, aber auch trübe Gewässer. Denn manchmal gibt der Mann auf der Kommandobrücke den schwermütigen Leichtmatrosen, und man weiß nie, wann er eigentlich am besten ist. Als Rocker oder bei Balladen am Flügel? Zu „Deine Zeit“, ein Stück über die Demenzerkrankung seiner Mutter, herrscht andächtige Stille in der Halle; hier sind nach über 30 Jahren viele, die selbst alternde Eltern haben.
Dann wieder spielt der 55-Jährige mit seinem Chor wie auf einem Instrument, dirigiert „Zeit, dass sich was dreht“, studiert „So wie ich“ ein und sieht dabei irgendwann so zerzaust aus, als wäre er tatsächlich aus dem Bett gestiegen, in dem ein Video ihn bei „Alkohol“ schlafend zeigte. Aber vielleicht war es auch nur der Wind an Deck. Nach eineinhalb Stunden hat er das erste Mal „Tschüss“ gesagt, nach einer weiteren lässt er seine großartigen Musiker mal eben „Mambo“ aus dem Ärmel schütteln: Das Volk hat es gewünscht.
Die Sperrstunde der Konzert-Arena ist eine halbe Stunde alt, da sitzt Herbert Grönemeyer noch immer am Flügel, bringt später die Band wieder zusammen und beruhigt die unersättlich begeisterte Menge nach mehr als drei Stunden endlich mit dem „Lied zur guten Nacht“. Die Mastlaternen sind schon lange erloschen, es geht auf zwölf, und in einer der letzten Textzeilen heißt es: „Zieh deine Stecker raus.“ Anders war diese Wiedersehensfeier wohl wirklich nicht zu stoppen.
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