Bochum. . Christopher von Deylen ist mit seinem Musik-Projekt „Schiller“ auf Tournee durch Deutschland. Am Rande des Konzerts in Bochum sprach DerWesten mit von Deylen über Live-Erlebnisse und die Überraschung, dass das Publikum seine Musik mag.

Schiller, das Musik-Projekt des Elektro-Tüftlers Christopher von Deylen, tourt zurzeit durch Deutschland. Anders als bei seiner viel beachteten „Atemlos“-Tour, die das Publikum in großen Hallen begeisterte, spielt Schiller nun in kleineren Locations. Dazu hat von Deylen ein kleineres Set, reduziert auf instrumentale Elektro-Stücke erstellt. DerWesten sprach mit dem Musiker über seine Einflüsse, seine Musik und über das Besondere an Live-Konzerten.

Wenn meine CD-Sammlung nicht alphabetisch sortiert wäre, in welchem Umfeld würde sich eine Schiller-CD am wohlsten fühlen? Bei Kraftwerk oder vielleicht Mike Oldfield?

Christopher von Deylen: Da Schiller so viel in sich trägt und ich selber so viele Stilrichtungen aufnehme, würde ich sie schon zur Pop-Musik stellen. Man kann natürlich darüber streiten, ob Mike Oldfield Pop-Musik ist oder nicht – und so eben auch bei Schiller. Es gibt Elektronik-Elemente, Ambient-Elemente und diverse andere, die bei Schiller zu finden sind. Aber letztlich bleibt wohl nichts anderes übrig, als es Pop-Musik zu nennen.

Auf der kleinen Bühne spielt Schiller mit reduzierter Lichtshow. Foto: Reinke
Auf der kleinen Bühne spielt Schiller mit reduzierter Lichtshow. Foto: Reinke

Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der elektronische Musik noch etwas Besonderes war. Welche Rolle haben deutsche Pioniere wie Kraftwerk oder Tangerine Dream gespielt?

Von Deylen: Eine entscheidende. Vor allem Tangerine Dream. Kraftwerk habe ich nie so verinnerlicht, auch wenn ich großen Respekt vor der musikalischen Ökonomie habe, mit der sie gearbeitet haben. Aber da fühle ich mich nicht so emotional angesprochen. Tangerine Dream wird natürlich manchmal schon etwas süßlich, aber insgesamt spricht mich das mehr an. Die Musik von Tangerine Dream aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern kenne ich auswendig. Da kann ich meinen Wurzeln nicht entrinnen.

Was halten Sie von dem Vergleich mit Mike Oldfield?

Von Deylen: Naja, Mike Oldfield hat ja oft sehr orchestral gearbeitet. Das mache ich ja kaum. Was die Bedeutung von Gastmusikern und die Mischung aus single-tauglichen und sehr langen Stücken angeht, ja. Als wir das Set für die Tour zusammenhatten, fiel uns auf, dass die Setlist ein wenig so ist, wie ein Oldfield-Album. Auf der A-Seite sind die etwas kompakteren Titel, auf der B-Seite ist das lange Stück. Das ist auf der Tour auch so. Vor der Pause sind die kürzeren Stücke, nach der Pause die längeren. Vor Oldfield habe ich großen Respekt, auch wenn man einigen Stücken inzwischen anhört, dass sie alt sind. Aber vor dem Hintergrund, wann sie entstanden sind, sind sie großartig. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre zehn Jahre früher in die Musik gekommen, weil es da noch möglich war, etwas gänzlich Neues zu schaffen. Von dem Gedanken muss man sich inzwischen wohl verabschieden.

Wie würden Sie selbst „Schiller“ beschreiben?

Von Deylen: Oh, das ist schwierig. Schiller könnte man als musikalisches Lebensgefühl bezeichnen, das im Kern eine romantische Melancholie beinhaltet. Das ist die musikalische Emotion, die Schiller transportiert. Wer das macht, ist nicht so wichtig. Ich glaube, das ist auch für die Menschen nicht so wichtig. Die Musik soll im Vordergrund stehen. Es geht nicht um einen Protagonisten oder Menschen, der die Musik als Anhängsel transportiert. Ich bin selbst immer wieder überrascht, dass es ein Publikum gibt, das sich dadurch angesprochen fühlt. Ich mache meine Musik ja gar nicht für ein Publikum, sondern eigentlich nur, weil es ich nicht anders kann und will. Dass das Publikum diesen Schritt mitgeht, ist immer wieder unheimlich schön, aber auch überraschend.

Ist diese Reaktion des Publikums dann auch der Reiz, den ein Konzert ausmacht?

Christopher von Deylen an seinen Keyboards. Foto: Reinke
Christopher von Deylen an seinen Keyboards. Foto: Reinke

Von Deylen: Ja, auf jeden Fall. Ich habe mich lange nicht getraut live zu spielen, weil ich nicht wusste, wie ich das machen sollte. Ich hatte Bedenken, meine „Komfortzone“ Studio zu verlassen, wo ich so lange basteln kann, bis mir ein Stück gefällt. Auf der Bühne ist man verletzlich. Man kann sich verspielen, es kann etwas passieren oder ausfallen. Das ist ein gewisses Risiko. Wenn man dann aber einen Abend einigermaßen heil und musikalisch unversehrt überstanden hat, ist das ein großes Glücksgefühl. Das will man dann am nächsten Tag wieder haben.

Bei einem Elektro-Konzert laufen im Hintergrund zahlreiche Rechner. Wie groß ist der Anteil wirklich live gespielter Musik?

Von Deylen: Das variiert von Titel zu Titel. Es gibt Songs, bei denen der Sequenzer quasi das fünfte Bandmitglied ist. Das halte ich für legitim, weil ein Sequenzer genau die Machinenhaftigkeit transportiert. Er kann eine achttönige Folge unendlich oft wiederholen. Um eine gewisse Magie zu erzeugen muss das aber ganz genau getaktet sein, und das kann der Mensch eben nicht. Wobei man nicht vergessen darf, dass der Sequenzer natürlich von einem Menschen programmiert werden muss. Bei dieser Tournee habe ich versucht, es so aufzuteilen, dass der Sequenzer wirklich nur das macht, was der Mensch nicht machen kann. So entsteht ein sehr ausgewogenes Verhältnis, weil wir vier Menschen auf der Bühne live spielen und jeden Abend anders aufeinander und auf den Sequenzer reagieren.

Wie viel Raum ist da für Spontaneität?

Von Deylen: Wir haben bei vielen Stücken eine Art Reprise überlegt, die wir ohne Sequenzer spielen. Da variieren wir die Länge und wer wann einsetzt. Das macht großen Spaß, weil man den Songs so noch eine gewisse Einmaligkeit mitgeben kann.

Wie kam die Idee zustande, jetzt in kleinen Hallen zu spielen?

Von Deylen: Noch vor der letzten großen Tour wollte ich eigentlich so etwas machen. Bei einer Rockband würde man es eine Unplugged-Tour nennen. Da ich aber keine Rockband bin, würde ich es eher eine Re-plugged-Tour nennen. Ich möchte mich auf die elektronische Essenz konzentrieren. Es gab immer wieder Lieder, die ich in der Rockband-Besetzung nicht so spielen konnte, wie ich es mir vorgestellt habe. Jetzt kann ich sie elektronischer spielen. Ich bin überrascht, dass das Publikum dieses Konzept sehr gut annimmt und sich von der Musik gefangen nehmen lässt. Sehr schön ist, dass wir nun auch in Städten spielen können, in die wir mit der großen Tour gar nicht kommen könnten. Das gilt auch für die Locations. Die Jahrhunderthalle hier in Bochum ist super. Das ist beeindruckend. Aber alle unsere Spielorte bringen Eigenarten mit. Ob das der rot-plüschige Admirals-Palast in Berlin ist oder die Konzertkirche in Neubrandenburg, in der wir gespielt haben. Daran haben wir alle mittlerweile großen Spaß.

Ein Blick in die Zukunft: Haben Sie schon die nächste Reise gebucht, um Inspiration für neue Projekte zu tanken?

Von Deylen: Das werde ich oft gefragt. Aber ich bin ja gerade mit der Tour auf Reise und ich freue mich im Moment auf einen Frühling in Berlin, den ich noch nie so richtig erleben konnte. Die Reisen waren aber ohnehin nie lange im Voraus geplant und hatten auch nie ein Konzept vorher. Die haben mich eher ereilt, daher bin ich gespannt, was da so im Sommer auf mich zukommt.