Dortmund. Wenn Visions 20. Geburtstag feiert, müssen die Gratulanten laut, wild, klangstark sein. In die Schar reiht sich die wiedervereinte Band „Selig” ein, die mit Hippie-Metal zu den wichtigsten deutschen Bands der 90ern zählte - bis der große Bruch kam. Ein Interview mit Jan Plewka.

Hat sich die Euphorie über die Rückkehr von Selig auf Eure Konzerte übertragen?

Jan Plewka: Zeit ist gerade wieder wie in einem Rausch. Mit Selig haben wir uns einen guten Familiennamen gegeben. Wenn man jetzt bei der Tour die Gesichter vor und auf der Bühne gesehen hat, dann war ein seliges Lächeln auf dem Gesicht. Wir waren einen Monat auf Tour und haben diesen Zustand gefeiert. Aber wir machen jetzt Pause voneinander, das ist eine Abmachung in den seligen neuen Zeiten. Trotzdem sind wir Arbeitstiere und denken: Das beste kommt noch. Es macht sehr viel Spaß, dafür zu arbeiten und wieder diese Schnittmenge zu haben, denn die hat einem gefehlt in den zehn Jahre Pause.

„Schau Schau” klingt aber trotzdem erstmal nach einem alten Selig-Song. Wie empfindest Du das?

Plewka: Ich finde das sehr positiv. Damals wollten wir mit der ersten Platte als Reiter der Apokalypse durch jede Wand und die Welt verändern. Bei der zweiten Platte haben wir als junge Wölfe nach Dämonen getaucht. Und auf der dritten Platte haben wir angefangen zu experimentieren - da hört man richtig, wie wir nicht mehr wir waren und uns entfremdet haben. Wir waren damals zynisch, bitter und böse geworden. Nach zehn Jahren ist dieser Unzufriedenheits-Panzer weggeweht. Das hat aber zehn Jahre gedauert: Wenn Christian, der Gitarrist, die Straße runterkam, habe ich mich im Hauseingang versteckt. Wie in einer schlimmen Liebesbeziehung. Aber dann haben wir uns zusammengerauft. Dass ist irre, dass wir jetzt wieder zusammen Musik machen. Wir haben eine unglaubliche Demut bekommen vor der Blume Selig.

Wie habt Ihr es geschafft, den Groll zu vergessen?

Plewka: Durch Reden. Verständnis füreinander haben. Wir sind fünf Egozentriker und jeder hat eine ganz schöne Macke. Wenn die auftauchen, wissen wir, das gehört dazu - sonst könnte man nicht so gut Gitarre spielen oder Bass. Wir sehen uns gegenseitig als Gesamtkunstwerk an. Damals haben wir noch versucht, die Macken des anderen auszubügeln. Wir haben gelernt, dass man Menschen nicht verändern kann, sondern akzeptieren muss.

Du bist ein Jahr nach Schweden gegangen, hast Pilze gesammelt und warst spazieren. Was hast Du aus der Zeit mitgenommen?

Plewka: Mich. Hätte ich das nicht gemacht, hätte ich mich nicht mehr gefunden. Ein Psychologe hätte uns allen gut getan zu der Zeit. Ich dachte ich komme durch diese Krise selbst durch. Ich hab den Dämonen wirklich hallo gesagt. Da muss ich nicht mehr hin. Wär ich hier geblieben, ich weiß nicht, ob das gut gegangen wär.

Glaubst Du, dass Ihr jetzt nicht mehr dieser Selbstzerfleischung anheim fallen könnt?

Plewka: Wenn du diesen Job machst als Rockmusiker, musst Du irgendwie eine Liebe zur Selbstzerfleischung haben. Es ist so anstrengend und nervenaufreibend. Wenn Du auf der Bühne stehst, musst Du wesentlich und offen sein, sonst glauben die Leute und Du Dir selbst das nicht. Wir sind dafür da, um mit Leidenschaft die Welt zu retten. Aber diese Selbstzerfleischung wird nicht mehr so weit gehen. Wir wissen jetzt Bescheid, über welche Grenzen man nicht mehr gehen darf.

Der Titel des Albums „Und Endlich Unendlich” klingt so, als hättet Ihr jetzt den Optimismus, dass es mit Selig ewig weitergeht.

Plewka: Das haben wir auch. Als wir anfingen, hatten wir eine große Naivität, die Welt zu sehen: Lass uns so leben, wie die Dichter schreiben, immer den Moment feiern. Und diesen Blick hatten wir verloren. Jetzt haben wir unsere zweite Naivität wiedererlangt. Diese vierte Selig-Platte ist die positivste, die wir je gemacht haben. Es geht um uns. Zwischen all den Zeilen steckt Frieden und Vergebung und Bruderschaft.

Die Zeit ist aber eine voller Kälte und Leistungsdruck. War es schwierig, ein Gegengewicht zu setzen?

Plewka: Für uns nicht. Wir wissen, dass die Welt krisengeschüttelt ist. Aber diese Freude, dass die Familie sich wieder gefunden hat, gibt Kraft. Die Wissenschaft hat festgestellt, dass wenn man zusammen Musik macht, die gleichen Endorphine ausgeschüttet werden wie beim Sex. Und diesen alten Sex wiederzuhaben, ist großartig. Natürlich will man das als exzentrische Band teilen mit den anderen Menschen.

  • Selig tritt am 29. Oktober, 20 Uhr, im VIP-Bereich des Signal Iduna Parks auf. Support: Boris Gott.