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Er gilt als d e r Komponist der Romantik. Als Mann aus Genie und Zweifel. Am 8. Juni vor 200 Jahren wurde Robert Schumann geboren. Lars von der Gönna sprach über Schumann mit seinem Biografen Martin Geck.

Wahnsinn, eine hochbegabte Frau und Romantik. Wieviel haben wir mit diesem Dreiklang von Robert Schumann erfasst?

Wesentliches, nur nicht genug über die Musik, die natürlich das Wichtigste ist – die Vielfalt dieses Schaffens und die Widersprüchlichkeit in Kunst und Leben.

Wie spiegelt sich die Widersprüchlichkeit in Schumanns Leben?

Etwa in den langen Jahren der Verlobungszeit. Da ist er auf der einen Seite sehr zielbewusst auf die damals erst 12-jährige Clara Wieck zugegangen, natürlich ihrem Alter entsprechend, aber schon ziemlich bald mit einer Idee von Ehe im Blick. Und wie er dabei geblieben ist, über diese vielen Jahre hinweg, gegen die Widerstände des Schwiegervaters, das zeugt von großer Energie.

Das ist der eine Schumann...

Gleichzeitig gibt es Niedergeschlagenheit, Depression und, wie Schumann geschrieben hat, „ein wüstes Leben”.

Wüst?

Wüst insofern, als er etwa viel gesoffen hat und auf schwere Zigarren fixiert war. Er hat sich selbst darüber oft ehrlich in seinem Tagebuch geäußert. Als er wieder einmal von einem schweren Rausch mit anschließendem Erbrechen aufgewacht war, schrieb er, dass die Fantasie daraufhin „schwebender und erhöhter” gewesen sei.

Erbrechen, um Kunst schaffen zu können? Vom ganz Niedrigen zum ganz Hohen?

Ich glaube, dass dergleichen auch für andere Künstler nicht untypisch ist. Und wenn wir an Menschen aus unserer Gesellschaft denken, die im Rampenlicht stehen, ob Pop-Musiker oder Politiker, dann stellen wir fest, dass deren Leben oftmals ebenso ein Auf und Ab ist. Ich bin mir nur nicht so sicher, dass man von denen noch in 150 Jahren so viel hören wird wie wir jetzt von Schumann.

Wo sehen Sie Schumanns Rolle in der Riege der großen Komponisten?

Schumann hat Traditionsbewusstsein und Fortschritt vereint. In seinem Schaffen steckt viel Zukunftsmusik, manches weist fast ins 20. Jahrhundert. Schumanns Musik gibt nicht nur Antworten, sie stellt auch Fragen. Wenn man auf die Klavierbegleitung bei seinem Lied „Im wunderschönen Monat Mai” achtet, endet sie in einem unabgeschlossenen Akkord. Das steht für eine offene Zukunft. So etwas ist bis dahin noch nicht vorgekommen. Das hatten Schubert und Mendelssohn nicht gewagt.

Schumann schreibt „Mensch und Musiker versuchten sich immer gleichzeitig bei mir auszusprechen“. Gibt es dafür konkrete Beispiele?

Ja, und manche sind wirklich ganz aus dem Leben gegriffen. Es gab einen Vogel, den die Schumannschen Kinder sehr geliebt haben. Leider hat der Papa ihn mit Markklößchen überfüttert. Der Vogel verendete. Und Schumann komponierte das Stück „Erster Verlust”.

Schumanns Frau war eine hochbegabte Pianistin. Was weiß man über die Rollenverteilung?

Es gibt die eher feministische Sicht, Clara Schumann habe sich geopfert für das Genie ihres Mannes und ihre Virtuosenlaufbahn zurückgestellt. Das verzerrt die Realität. In der Ehezeit ist sie immer wieder als Pianistin gefeiert worden. Und gewiss sah sie das Leben mit Robert und ihren acht Kindern nicht als Opfer an, wenn auch als große Herausforderung. Da gab es auch viel privates Glück und das Privileg von einem so begnadeten Künstler inspiriert zu werden. Hier zeigt sich ein inzwischen fast altmodisches Ideal von Ehe. Insofern als sich die Partner für Dinge, die ungünstig laufen, nicht die Schuld in die Schuhe schieben, sondern ihren Lebensweg als gemeinsames Schicksal betrachten. Noch wenige Monate, bevor Schumann sich in die Nervenklinik einweisen ließ, schrieb Clara: „Bin ich nicht das glücklichste Weib auf der Erde?”

Was war der zentrale Grund für Schumann, freiwillig in die Nervenklinik zu gehen?

Er wollte vor allem Verantwortung abgeben, er konnte die Last nicht mehr tragen.

In der Anstalt hat er Landkarten studiert...

Naturwissenschaften haben ihn immer fasziniert. Realismus und Fantasie schließen sich bei ihm nicht aus. Als er dann in der Klinik eingesperrt war, half nur noch die Fantasie. Mit der schiffte er im Eismeer, ehe sein Leben im Dunkel versank.