Essen. Italien hat sein Leben und seine Arbeit verändert. Matthew Bellamy, Sänger des Trios Muse, spricht im Interview über das aktuelle Album der Band, Leidenschaft, den Wert der Familie und wie kleine, unscheinbare Männer zum Sexsymbol werden können.

Matthew Bellamy. (c) imago
Matthew Bellamy. (c) imago

Als kleine englische Schulband aus Devon ging das Trio Muse vor 15 Jahren an den Start. Ein großer Sprung in ihrer Laufbahn war die 2006 veröffentlichte Platte „Black Holes and Revelations” – in künstlerischer wie auch kommerzieller Sicht. Und dann ihre Konzerte im neu erbauten Londoner Wimbley-Stadion. Noch opulenter gehen die Erben von Bands wie Queen oder Rush diesmal zu Werke, am Ende ihres fünften Albums „The Resistance” wagen sie sich mit „Exogenesis” sogar an eine viertelstündige Piano-Symphonie. Doch jetzt ist erstmal Teatime. Steffen Rüthsprach mit Matthew Bellamy, der 31 Jahre alte Songschreiber und Sänger, sitzt in einem Café in Hamburg, und trinkt zu einem Stück Käsekirschkuchen ein Tässchen Kamillentee.

Matt, du als alter Verschwörungstheoretiker: Ist Michael Jackson wirklich tot?

Matthew Bellamy: Ich denke, den Tod Jacksons würde nicht einmal ich leugnen wollen. Er hat diese ganzen Schmerz- und Narkosemittel in Verbindung mit dem gigantischen Stress und Druck nicht ausgehalten.

Was sind deine Drogen?

Matthew Bellamy: Ich kann sehr schlecht entspannen. Mein Kopf arbeitet immer, und ich kann schlecht einschlafen. Deshalb nehme ich manchmal Melatonin. Ansonsten halte ich mich von Drogen fern, so etwas wie Kokain würde mich nur noch hyperaktiver machen. Diese schöne Tasse Kamillentee ist eine sehr gute Droge für mich.

Du lebst mit deiner Verlobten Gaia Pollani am Comer See in Italien. Dort habt ihr euer Studio, in dem ihr „The Resistance” aufgenommen habt. Wie italienisch fühlst du dich inzwischen?

Matthew Bellamy: Wenn du im Ausland lebst, dann tauchst du entweder sehr tief in deine neue Kultur ein. Oder es passiert das Gegenteil und du ziehst dich englisch an, isst englische Sachen und liest nur englische Zeitungen. Bei mir ist letzteres der Fall.

Wollt ihr in Italien bleiben?

Matthew Bellamy: Nein. Wir haben uns ja auch in England kennengelernt, führten lange eine Fernbeziehung, bevor ich vor zwei Jahren zu ihr zog. Meine Freundin beendet in Mailand gerade ihr Studium, sobald sie fertig ist, wollen wir wieder nach England. Sie ist Psychologin, Spezialgebiet Sextherapie.

Im Ernst?

Matthew Bellamy: Im Ernst. Manche Unterhaltungen mit ihr sind nicht ganz ohne Komplikationen (lacht).

Wie kompliziert war denn die Arbeit an der Platte?

Matthew Bellamy: Erstaunlich unkompliziert. Zum ersten Mal haben wir alles selbst produziert, noch dazu im eigenen Studio, das in einer Art umgebauten Höhle liegt. Niemand war da, der unsere Musik verwässern konnte, das war sehr wohltuend. Die Aufnahmen zu „Black Holes” waren dagegen ein richtiger Kampf, der uns kreativ auslaugte. Diesmal war es fast wieder so wie beim ersten Album: Die Ideen waren schon da, man musste nicht besonders tief nach Ideen graben. Wir hatten viel zu sagen.

Thematisierst du in „I belong to you” deine Beziehung?

Matthew Bellamy: Zum einen das. Zum anderen aber auch die Liebesgeschichte des Paares in „1984”. Für die beiden ist Liebe die letzte Zuflucht, der letzte Ort der Freiheit, inmitten dieser totalitären Diktatur. Letztlich sage ich: Die Liebe ist unser Widerstand. Der letzte wirklich private Ort.

Auch die aktuelle Single „The Uprising” handelt von einem Aufstand gegen Unterdrückung. War George Orwells berühmter Roman eure Inspirationsquelle für diese Platte?

Matthew Bellamy: Ja! Das Buch habe ich gelesen, kurz bevor ich Anfang 2008 mit Songschreiben anfing. Es geht ziemlich konkret um die Situation in England, wo die Menschen nicht damit einverstanden sind, dass die Regierung ihnen immer stärker auf die Finger schaut, sie immer mehr überwacht und ihre Daten speichert.

Bist du ein Rebell?

Matthew Bellamy: Zumindest bin ich ein Mensch mit gesundem Menscheverstand. Aber zugegeben, die Idee von Protest und Revolution gefällt mir.

Und um wen geht es in dem Lied „Guiding Light”?

Matthew Bellamy: Ich habe immer versucht, an Gott zu glauben, aber ich schaffe es nicht. Ich bin Atheist. Also singe ich auch da über meine Freundin. Ich selbst fand das erst komisch, aber in Italien finden sie das alle super, wenn die Liebste und die Familie in die Songs integriert wird. Familie ist in Italien wichtiger als alles andere. Mittlerweile kann ich das nachvollziehen. Familie bleibt. Während die Band ja irgendwann Geschichte sein könnte. Ich weiß nicht, wie lange Muse frisch und aufregend genug sein werden. Wenn irgendwann die Luft raus ist, machen wir was anderes aus unserem Leben.

Was hast du dir bei der Mini-Oper am Ende des Albums gedacht?

Matthew Bellamy: „Exogenesis” hat mit seinen scharfen Wendungen und seiner Dramatik schon wieder mit meinen Italien-Erfahrungen zu tun. In meiner Beziehung gibt es extreme Hochs und Tiefs, aber das scheint normal zu sein bei Italienerinnen und Italienern. Unsere Auseinandersetzungen, unsere Leidenschaft fließt auch irgendwie in die Songs mit ein. Schon interessant, dieses Zusammenleben mit einer Frau.

Du wurdest von der Frauenzeitschrift „Cosmopolitan” zum „Sexiest Man in Rockmusic” gewählt. Wie das?

Matthew Bellamy: Wenn ich das wüsste. Scheinbar sind kleine, unscheinbare Männer der neue Trend. Oder aber unsere Fans sind dermaßen verblendet, dass sie für alles abstimmen, was mit uns zu tun hat.

Das Album „The Resistance” erscheint am 11. September.