Essen. Das Warten hat ein Ende: Nachdem sich die Fans von Depeche Mode wochenlang mit irgendwie aus dem Studio gelangten Raubkopien aus Russland über Wasser halten mussten (und sich somit die Vorfreude aufs neue Album verdarben), steht seit Freitag „Sounds of the Universe“ in den Läden.

Depeche Mode zeigen auf ihrem neuen Album eindrucksvoll, was sie schon längst nicht mehr sind: eine Synthie-Pop-Band. Die Drei aus Basildon, die dort schon lange nicht mehr leben, sind Rockstars, die sich weg vom puren Elektro-Pop hin zu einem eigenen Genre, das vielleicht Synthie-Rock-Pop heißen könnte, bewegen.

Hohe Ansprüche der Fans

Das Problem für Depeche Mode ist dabei, den immer sehr hohen Ansprüchen ihrer Fans gerecht zu werden, die seit „Violator“ und „Songs of Faith and Devotion“ weiterhin auf den nächsten ganz großen Wurf ihrer Lieblingsband warten. Depeche Mode müssen so poppig sein, dass die Musik massentauglich bleibt, und extravagant bis rockig genug, um ihre Fans zu bedienen – und nebenbei noch die beste Synthie-Band der Welt sein. Pop heißt eben auch, neue Wege zu gehen und neue Akzente zu setzen. An diesen Erwartungen muss jede Band zwangsläufig scheitern, was nicht heißen soll, dass „Sounds of the Universe“ ein misslungenes Album ist. Im Gegenteil. Depeche Mode ist hier etwas Großes gelungen – wenn auch nicht beim ersten Hören.

Der neue Longplayer zeigt, in welche Richtung sich Depeche Mode bewegen: im Rückwärtsgang geradewegs in die Zukunft. Noch nie hat sich die Band auf einem Album so oft selbst zitiert. Das liegt einerseits an Martin Gores Sammelleidenschaft für alte, analoge Synthesizer, möglicherweise aber auch schlicht am Fehlen eines Sound-Tüftlers vom Schlage Alan Wilders. Gar nicht auszudenken, was der aus den starken Songs des Albums noch herausgekitzelt hätte.

Anleihen aus der Vergangenheit

Auf „Sounds of the Universe“ finden sich haufenweise Anleihen aus vorangegangenen Alben, selbst aus seligen „Speak & Spell“-Zeiten. Wer das Instrumental-Stück „Oberkorn – it’s a small Town“ kennt und mag, wird bei einigen Songs auf dem neuen Alben immer wieder in die frühen 80er zurückgeworfen – zugegeben auf sehr angenehme Weise. Nur: Früher hätte es das bei Depeche Mode eben nicht gegeben. Da musste jedes Album neu, revolutionär und eine Neuerfindung der Band sein.

Beispielhaft für alles, was das neue Album ausmacht, steht der Opener „In Chains“. Konsequent wie nie zuvor setzen Depeche Mode auf dem Longplayer Gitarren ein, wenn deren Gebrauch auch an einigen Stellen etwas nervig ist – wie eben bei „In Chains“. Ständig muss sich der Hörer fragen, warum das harte Gitarren-Riff nur auf den linken Kanal gespielt wurde. Vor allem beim Hören über Kopfhörer schmerzt das im Ohr. Umso trauriger, weil „Sounds of the Universe“ eigentlich ein erstklassiges Kopfhörer-Album ist. Denn die feinen Nuancen und Details, die auch dieses Album bietet, kommen erst dann richtig zum Vorschein, wenn die Musik entweder über Kopfhörer oder angemessen (sehr) laut über eine Anlage gespielt wird. Aber auch ohne derlei Hilfsmittel wird schnell klar, was Andy Fletcher meinte, als er sagte, das neue Album sei kein „Bubblegum Pop“.

Hämmerchen und Glöckchen

„Sounds of the Universe“ ist eben kein Album für nebenbei oder fürs Auto. Die Musik erschließt sich sehr langsam. Die Platte will erobert werden. Das deutete sich schon bei der Single-Auskopplung „Wrong“ an und wird gleich durch „In Chains“ noch einmal dick unterstrichen. Das Stück – und damit das Album – beginnt mit sphärenartigen Elektro-Sounds. Völlig unkommerziell, gar nichts für den Massengeschmack. Das klingt eher so, als würde ein großes Synthie-Orchester gerade seine Instrumente stimmen. Was Depeche Mode auf „Playing the Angel“ mit dem ohrenzerfetzenden Gitarrenriff begannen, setzen sie hier in einer soften Synthie-Variante fort. Auch die neue Freude am Zitieren alter Depeche-Songs wird anhand von „In Chains“ schnell klar. Der Gesang setzt ein und erinnert sofort an „In your Room“, was der Basslauf dann noch verstärkt. Im weiteren Verlauf des Stücks kommt einiges aus Depeche Modes Vergangenheit zum Vorschein: hier ein Hämmerchen, dort ein Glöckchen, analoge Synthesizer – alles, was schon auf Alben wie „Construction Time Again“ oder „Some Great Reward“ verzückte.

Songs wie „Hole to feed“ oder „Wrong“, die stark rhythmusbetont stampfen, stehen sinnbildlich für den neuen Weg von Depeche Mode. Auch hier wieder eingearbeitete Gitarren-Riffs, bei „Wrong“ allerdings nicht so penetrant. Wobei die erste Single-Auskopplung den anderen Songs auf dem Album einen weiteren Punkt ganz klar voraus hat: Das Lied erweckt den Eindruck, als sei es konsequent zu Ende produziert worden. Bei allen anderen Stücken schleicht sich der Wunsch ein, die Band hätte sich für jeden Track noch einen Tag Zeit gegönnt, um ihm einen letzten Feinschliff zu verpassen. Das Album wirkt auf diese Weise ungewöhnlich unfertig. Manche Songs klingen etwas breiig, da fehlt das Feintuning. Das würde den Pet Shop Boys nie passieren.

Gitarre als Roter Faden

„Sounds of the Universe“ besteht nicht unbedingt aus Songs, die ohne weiteres für sich stehen könnten. Die Symbiose schafft „Wrong“, das als Single starke Vorzüge bietet. Der Rote Faden des neuen Albums sind Gitarren-Riffs, eine gut funktionierende gesangliche Zusammenarbeit von David Gahan und Martin Gore sowie klangliche Rückgriffe auf die Vergangenheit. Nach diesem Rezept funktionieren alles Songs auf „Sounds of the Universe“.

Was auch dem neuesten Werk von Depeche Mode allerdings abgeht, ist der Ideenreichtum vergangener Tage. Martin Gore schreibt immer noch tolle Songs mit tollen Melodien wie bei der potenziellen Single „Peace“ oder das wunderbar von ihm gesungene „Jezebel“ – das beste Stück Gore-Gesang seit „Home“ wäre mal wieder eine Single wert. Doch diese feinen, kleinen, unschuldigen Melodien oder Sequenzen, die Depeche Mode einmal so besonders machten, fehlen. Dabei ist „Peace“ eine Ausnahme. Der Song erinnert stark an Zeiten, als Oma immer sagte: „Da singen die Mönche“, wenn der Enkel „Black Celebration“ aufgelegt hatte. Die neuen Songs von Depeche Mode setzen zu großen Teilen auf die Stimmgewalt von Dave Gahan. Und dass er davon jede Menge hat, zeigt er nicht nur bei seinen Eigenkompositionen wie der Demo-Version von „Come back“, die es leider nicht aufs Album geschafft hat, und „Miles away / The truth is“. Gahan trägt dieses Album mehr denn je, Martin Gore begleitet ihn mehr und besser denn je. Gesanglich dürfte „Sounds of the Universe“ das bisher beste Depeche-Album sein, auch wenn Gahan mit seinen Elvis-Anwandlungen auf „Miles away / The truth is“ etwas übers Ziel hinaus schießt.

Dennoch: „Sounds of the Universe“ ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Es gehört zwar mit Sicherheit zu den besten Alben der Briten, ist allemal besser als sein „Playing the Angel“, weil stimmiger und ohne Totalausfälle wie sie der Vorgänger zu bieten hatte. Es ist aber ein Album, in das man sich hineinhören muss. Wer es nach dem ersten Hören weglegt, begeht einen Fehler. Trotzdem bleibt das große Manko, dass alle Songs unfertig wirken. Mit „In chains“, „Hole to feed“, „Fragile tension“, „In sympathy“, „Peace“, „Come back“ und „Jezebel“ bietet es gleich eine ganze Reihe an möglichen Single-Auskopplungen, die allerdings alle auf die eine oder andere Weise noch eine Überarbeitung bräuchten. Depeche Mode sind eben kein Pop mehr, sondern Rock - und der darf auch mal schmutzig sein.

Seltsame Preisgestaltung

Doch ohne Wehrmutstropfen geht's auch beim neuen Depeche Mode-Album nicht. Die Preisgestaltung verwundert schon sehr. Das Album ist in drei verschiedenen Version sowie verschiedenen Download-Varianten zu den unterschiedlichsten Preisen erhältlich.

Wer nur die Musik haben möchte, wird bei Amazon fündig: Der Download des kompletten Albums in guter Qualität (MP3 mit 256 Kbit) kostet dort nur 4,89 Euro. Beim Konkurrenten iTunes kostet das Album 9,99 Euro. Beide Anbieter packen noch einen Extra-Track mit dazu.

Für 9,99 Euro gibt's im Laden die CD von "Sounds of the Universe" - ohne Extra-Track, dafür aber mit Verpackung und Booklet. Wer etwas mehr will, bekommt für 19,99 Euro die reguläre CD, dazu noch eine DVD mit einigen Remixen, Videos sowie mit dem kompletten Album in Dolby Digital 5.1. Das reicht noch nicht? Kein Problem. Zwischen 65 Euro und 79 Euro, je nach Geschäft, kostet die Deluxe Edition. Diese Edition kommt in einer enorm überdimensionierten Box mit Hardcover-Büchern, sowie drei CDs und einer DVD. Der besondere Leckerbissen: Auf einer CD befinden sich fünf weitere hervorragende Songs, die eigentlich allesamt auf das reguläre Album gehört hätten. Allen voran "Ghost" und ganz besonders "Oh well". Noch darüber hinaus befinden sich auf der dritten CD Demo-Versionen verschiedener neuer und alter Songs.

Warum Depeche Mode hier nicht konsequenterweise ein Doppelalbum herausgebracht haben, bleibt wohl das Geheimnis der Band. Wer die fünf weiteren Songs besitzen möchte, wird gezwungen die Box zu kaufen und mindestens 64 Euro auszugeben. Das Wort "Beutelschneiderei" drängt sich hier auf.

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