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Essen. Daniel Miller ist so etwas wie der Nestor der elektronischen Musik-Szene. Er hat Bands wie D.A.F. und Einstürzende Neubauten groß gemacht und das Kult-Label Mute gegründet, bei dem bis heute Depeche Mode unter Vertrag sind.

Daniel Miller ist einer der Gründerväter der modernen elektronischen Musik. Nachdem er selbst mit einigen Elektro-Projekten eher mäßigen Erfolg hatte, versuchte er sich als Produzent und Label-Betreiber. Mit Erfolg - Millers größter Wurf dürfte der Vertrag mit Depeche Mode gewesen sein. Die Band ist bis heute bei Mute unter Vertrag und das Zugpferd des Labels. Millers neuester Schachzug ist eine Zusammenarbeit mit Kraftwerk.

Depeche Mode (hier Sänger Dave Gahan) gehören zu Zugpferden von Daniel Millers Label Mute. Foto: ddp
Depeche Mode (hier Sänger Dave Gahan) gehören zu Zugpferden von Daniel Millers Label Mute. Foto: ddp © ddp

DerWesten sprach mit Daniel Miller im Vorfeld des c/o-Pop-Festivals in Köln darüber, was es heißt, eine Plattenfirma zu besitzen, und über die Bedeutung elektronischer Musik und den deutschen Einfluss auf diese Musikrichtung.

Mr. Miller, Sie sind Gast des c/o-Pop-Festivals. In der Ankündigung heißt es, Sie wollten mit dem Publikum Erinnerungen und Weisheit teilen. Fangen wir mit den Erinnerungen an: Wie haben Sie damals Mute Records gegründet?

Daniel Miller: Hmm, ich habe Mute Records eigentlich gar nicht gründen wollen. Ich wollte bloß eine Single herausbringen, und das habe ich gemacht. Dann kam eins zum anderen und plötzlich habe ich mich in einer Plattenfirma wiedergefunden.

Dann zur Weisheit: Was ist Ihre Botschaft an die Plattenindustrie im Jahr 2009?

Miller: Gebt nicht auf! Nein, ich weiß nicht... Meine Hauptbotschaft ist: Wenn du für deine Künstler kämpfst, gewinnst du am Ende selbst – und der Künstler natürlich auch.

Bedeutet das, dass eine Plattenfirma zu betreiben auch heißt, seinem persönlichen Geschmack zu folgen? Mute deckt ja eine ganze Bandbreite von Künstlern ab. Kommerziell erfolgreiche wie Depeche Mode oder Erasure und auch unkommerzielle Sachen wie Throbbing Gristle.

Miller: Das hängt von der Art Plattenfirma ab. Viele bringen Musik raus, die sie selbst nicht mögen. Wichtiger als einen Geschmack zu haben, ist aber, seinen Geschmack zu verstehen. Man muss Musik einordnen können und wissen, wo man mit seinem Musik-Geschmack steht.

Branchentreff der Kreativindustrie

Daniel Miller ist am Freitag, 14. August von 17.15 bis 18.15 Uhr Gast der c/o pop; die Veranstaltung findet im Café des Schauspielhauses Köln statt.

Die Musikmesse c/o pop findet zum sechsten Mal vom 12. bis 16. August in verschiedenen veranstaltungsorten in Köln statt: 5 Tage Musikprogramm, 20 Konferenz-Veranstaltungen, 25 Veranstaltungsorte, 50 Konzerte, 75 Aussteller, 200 internationale Künstler machen die Veranstaltung zu einer der bedeutensten in Deutschland.

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Mute hat einen riesigen Back-Katalog und hat in der jüngeren Vergangenheit Special Editions zum Beispiel von Depeche Mode herausgebracht, oder eine DVD-Sammlung von Throbbing Gristle. Wie wichtig ist ein Back-Katalog zum Überleben?

Miller: Ein Back-Katalog ist nicht überlebenswichtig, aber es ist toll, einen zu haben. Vor allem, wenn viele der Musiker, mit denen man am Anfang gearbeitet hat, noch aktiv sind. Wir können ihr Werk erhalten und mit ihnen an Re-Releases arbeiten, so dass es auch der Karriere nutzt und ihr Werk angemessen präsentiert.

Wie wichtig ist Vinyl zum Überleben?

Miller: Naja, ich war immer ein Fan von Vinyl, aber ich muss mich auch fragen: Wie oft sitze ich zu Hause und höre eine Vinyl-Platte an? Eigentlich nie! Aber trotzdem mag ich den Klang, das Gefühl und das Aussehen von Schallplatten. Ich habe einen Plattenspieler, aber ich bin kein Vinyl-Fanatiker. Das war ein wichtiger Teil der Musikgeschichte.

Mute hat sehr früh auf deutsche Bands gesetzt: Einstürzende Neubauten, D.A.F., Andreas Dorau. Wie wichtig war und ist deutsche Musik?

Miller: Deutsche Pop-Musik war seit den späten 60ern wichtig für mich, als ich Can oder Amon Düül gehört habe. Und später natürlich Kraftwerk. Diese Bands haben eine musikalische Revolution ausgelöst. Nach der Punk-Zeit war ich gespannt, wie die deutsche Musik reagieren würde. Da gab es den Krautrock als Antwort auf die anglo-amerikanische Musik. Die erste Band dieser neuen Generation, die ich gehört hatte, war D.A.F. Die fand ich interessant, die Neubauten auch.

Ist eine Plattenfirma zu betreiben so etwas wie Musik zu sammeln, die man mag? Sie haben Can gehört, sie später auf Ihrem Label gehabt, das gleiche mit D.A.F. und den Einstürzenden Neubauten. Durch Ihre Plattenfirma können Sie Teile Ihrer Jugend quasi für immer besitzen.

Miller: Ja, in einem gewissen Maß, stimmt. Jetzt arbeiten wir sogar mit Kraftwerk - der Kreis schließt sich! In dem Fall ist es aber weniger ein Sammeltrieb als die Sorge um ihr Vermächtnis. Es ist natürlich ein Nervenkitzel, mit den Jungs zu arbeiten, die mich zu allem inspiriert haben, was ich als junger Musiker gemacht habe. Aber es geht auch darum, sich um ihr Vermächntis zu kümmern und für die Band zu tun, was sie braucht. Das ist ein Jugendtraum – nein, ich habe früher ja nicht mal geträumt, diese Bands unter Vertrag zu haben.

Als Sie mit Mute angefangen haben, war elektronische Musik eher minimalistisch. Heute gibt es bombastischen Techno, Dancefloor, aufwändige Produktionen von Depeche Mode. Wo sehen Sie elektronische Musik heute?

Miller: Als Mute anfing, gab es kaum elektronische Musik, erst recht keine elektronische Pop-Musik. Es gab Kraftwerk, Tangerine Dream, Jean Michel Jarre. Das war sehr reine elektronische Musik. Ich war mehr daran interessiert, was mit der Musik nach dem Punk passiert, und da haben Synthesizer eine große Rolle gespielt. Heute zieht sich elektronische Musik durch alle Genres von Rock bis Hip Hop. Da muss man erst mal definieren, was elektronische Musik überhaupt ist. Meine Definition von elektronischer Musik ist ganz einfach: Das ist Musik, die man nicht mit anderen Instrumenten machen kann.

Wenn ich an Techno, Minimal Techno, Hip Hop oder R’n’B denke, dann ist das Musik, die es ohne elektronische Instrumente nicht g��be. Oder eben anders. Es würde anders klingen. Eigentlich ist die Frage sehr schwierig zu beantworten, weil es inzwischen so viele Arten elektronischer Musik gibt und es für jedermann möglich ist, sie zu machen. Als ich 1977 meinen ersten Synthesizer gekauft habe, hatte ich quasi gar keine Wahl. Das war eine Preisfrage! Ich konnte gar nicht daran denken, einen Mini-Moog oder so etwas zu kaufen. Aber ich habe einen sehr guten japanischen Synthy bekommen. Heute ist alles zugänglich, und es ist einfach, elektronische Musik zu machen – nicht unbedingt gute.

Warum, glauben Sie, erleben analoge Synthesizer gerade so eine Renaissance? Haben die eine besondere Klangqualität?

Miller: Die haben sie mit Sicherheit. Aber ich glaube, der eigentliche Grund, warum analoge Synthesizer wieder im Kommen sind, ist, dass sie einfach mehr Spaß machen.

In wie weit?

Miller: Sie reagieren auf alles, was man macht. Man muss selbst Hand anlegen, einen Knopf drücken, irgendwo drehen und sofort passiert etwas. Sie sind wie echte Instrumente. Und man kann mit ihnen immer noch schöne, unvorhergesehene Ergebnisse erzielen. Das ist bei Software-Synthesizern so nicht möglich. Nicht, dass ich Software-Synthesizer schlecht fände – im Gegenteil! Die haben die Möglichkeiten, Musik zu machen, auf großartige Weise revolutioniert. Aber es macht einfach riesigen Spaß, mit analogen Synthesizern zu arbeiten.

Ist das der Grund, warum auch große Bands wie Depeche Mode oder die Pet Shop Boys wieder den Weg zurück zu analogen Synthies gewählt haben?

Miller: Ja, bestimmt. Depeche hatten eine große Software-Phase und hatten die Möglichkeiten ausgiebig genutzt. Sie benutzen immer noch viel Software. Aber es ist eben aufregender mit analogen Synthesizern zu arbeiten. Der Sound ist anders, es ist eine ursprünglichere Art, Musik zu machen. Da ist mehr Chaos und Unvorhersehbares.

In letzter Zeit gibt es mehr und mehr Musikerinnen, die sich mit analogen Synthesizern auseinandersetzen: La Roux, Little Boots oder Client. Sind Synthys nicht eher Spielzeuge für Jungs?

Miller: Wenn man weiß, wie ein Instrument bedient werden muss, kann man seine Gefühle sehr gut damit ausdrücken. Da knistert es richtig. Das geht natürlich auch mit Synthesizern. Da spielt es keine Rolle, ob da ein Mann oder eine Frau spielt. Schlagzeuge gelten ja beispielsweise auch als männliches Instrument. Oder E-Gitarren. Aber es gibt hervorragende Schlagzeugerinnen. Hauptsache, es klingt gut!