Duisburg. Paartanz der Irrlichter - Iggy Pop und Tine Kindermann zelebrierten im Rahmen der Reihe "Century of Song" bei der Ruhrtriennale einen Abend unter dem Motto "Love and Death" in der zugigen Gießhalle des Landschaftsparks Nord.
Die Sehnsucht nach dem Anderen, der ganz anderen Erfahrung ist längst der Motor unserer Kultur geworden. So singt sich Tine Kindermann ausgerechnet mit jahrhundertealten deutschen Volksliedern in die Aufmerksamkeit der ultracoolsten Metropolen-Insassen von New York; und so strömen wir zu Konzerten in kalte, zugige Industrieruinen, die ihre störrische Eigenheit auch dann bewahrt haben, wenn sie längst mit einigem Komfort aufgemöbelt worden sind. Zwei Abende der Ruhrtriennale brachten jetzt beides zusammen, doch der wahre Einbruch des ganz Anderen blieb einem ganz anderen vorbehalten: Iggy Pop.
Liebe und Tod
Der Mann, der den Punk erfand, als die Sex Pistols noch sehnsüchtig auf das Schellen der Pausenklingel warteten, trotzt der eigenen Verkrüppelung durch sein langjähriges Hüftleiden heute, mit 62, auf die denkbar groteskeste Weise: Er geht damit auf die Bühne, er stellt es aus, ausgerechnet er, dessen Körper noch vor wenigen Jahren so wirkte, als altere an seiner Stelle ein Bild irgendwo auf einem Speicher. Und dann gibt es doch wieder die Momente, in denen er ekstatisch zuckt und springt und hinternwackelt und seine Jeans das Wort Gürtellinie einer gründlichen Neudefinition unterzieht. Wörtlicher als auf diese morbide Weise wären „Love and Death”, Liebe und Tod als Motto des Abends kaum zu nehmen gewesen.
Eigentlich sollte er ja „Sex and Death” heißen, verriet Marc Ribot, der als Kurator der Triennale-Reihe „Century of Song” mit seiner überragenden Band das musikalische Rückgrat bildete. Aber dieser Titel wäre den eher züchtigen Liedern Tine Kindermanns („Frau Wirtin”, „Wo soll ich mich hinwenden” oder „Es waren zwei Königskinder”) nicht gerecht geworden, die in der irrlichternden Vertonung durch Ribot und seine Freunde ihre ganze Gespenstigkeit entwickelten, erst recht im Hall der offenen Gießhalle in Duisburg. Mit Mr. Pop stellte sie noch einmal „Lili Marleen” unter die Laterne und konterte seinen Grummelbass beim Prévert-Klassiker „Les feuilles mortes”, der den vielen Bizarrerien abends eine weitere hinzufügte.
Silberstreif am Horizont
Marc Ribot & Friends
Brillante Band
Frank London, der Mann an den Tasten und der Trompete, war einer der heimlichen Helden des Abends: Die Band mit Keefus Ciancia (p), Shahazad Ismaily (b) und Ches Smith (dr) spielte nicht nur absolut geschmeidig, sie trieb ihren Chef Marc Ribot an der Gitarre zu heller Spielfreude, die sich in punkigen Passagen lustvoll krachend entlud.
Damit es düster genug blieb, mussten lebensgierige Pop-Hits wie „The Passenger”, „Lust for Life” oder „Wild Thing” selbstverständlich draußen bleiben, selbst sein markantes Krokodilsgrinsen hatte Seltenheitswert. Was die eingefleischten Popisten vor der Bühne nicht davon abhielt, ihr Idol wie eh und je zu befingern, um zum lärmenden Pop-Standard „Cock In My Pocket” nach oben zu stürmen und die Ausweitung der Partyzone auf die einstige Kathedrale der Arbeit zu feiern. Kein Grund für Überstunden: Die heftig geforderte Zugabe war nicht mehr drin.
Was am ehesten an der Weigerung von Iggy Pop gelegen haben dürfte, der am Freitagabend nach einer Dreiviertelstunde umgehend wieder abrauschte. Seine Sidemen wirkten bei allem Einsatz durchaus noch motiviert. Frank London etwa, der Mann an den Tasten und der Trompete, war einer der heimlichen Helden des Abends: Die Band mit Keefus Ciancia (p), Shahazad Ismaily (b) und Ches Smith (dr) spielte nicht nur absolut geschmeidig, sie trieb ihren Chef Marc Ribot an der Gitarre zu heller Spielfreude, die sich in punkigen Passagen lustvoll krachend entlud; da wurde der ansonsten leicht professoral wirkente Meister der Saiten plötzlich wie ein Jungspund - ein Silberstreif am düsteren Horizont dieses Abends.