Bochum. Man hatte ein Marianne-Faithfull-Konzert erwartet an diesem ersten Abend der RuhrTriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle. Denn mit solch einer Ankündigung kann man gut Karten verkaufen, immerhin ist das inzwischen ein beinahe mythischer Name mit immer noch vorhandener Sogwirkung.

Wohl kaum jemand hätte sich aufgerafft, um Tickets für Carla Bozulich zu kaufen. Doch zum Konzert von Marianne Faithfull kamen sie, die begeisterten Besucher der RuhrTriennale, in die Jahrhunderthalle.

So funktioniert die Dramaturgie bei der Konzertreihe „Century of Song”: Zuerst gibt's die Entdeckung, danach erst darf man sich vergewissern, dass es Frau Faithfull noch immer gut geht. Mit jemand wie Bozulich aber hatte wohl niemand gerechnet – eine verstörend vielseitige Künstlerin aus L.A., seit 27 Jahren im Geschäft, aber selbst Szene-Kennern noch immer eine große Unbekannte.

Düsterer Gesang

Carla Bozulich in der Jahrhunderthalle. (Foto: Ursula Kaufmann)
Carla Bozulich in der Jahrhunderthalle. (Foto: Ursula Kaufmann) © Ursula Kaufmann | Ursula Kaufmann





Wer ihren Stil beschreiben will, ist hoffnungslos überfordert. Bei Bozulich funktioniert cooler Lounge Jazz ebenso wie sehnsuchtsvoller Country-Twang, zwischendurch räumt sie mit bedrohlich eindringlichen Cover-Versionen wie „I'm Beginning to See the Light” von Velvet Underground ab. Ihre wahre Kunst aber besteht in dem, was Nachschlagewerke als „Noise” (Lärm) bezeichnen.

Dann entfaltet die wunderbare Begleitband unter Leitung von Marc Ribot geheimnisvolle Soundscapes, die mehr Atmosphäre sind denn wirkliche Musik. Bei „Evangelista” knarzt und knirscht ein Klangteppich, meint man Särge sich öffnen zu hören, gelegentlich läutet ein Totenglöckchen. Mit düsterem Gesang und prächtig bei Stimme dämmert den Zuhörern allmählich, warum der Abend „Heaven and Hell” überschrieben ist.

Bei den neu geprobten Songs hapert es heftig

Wenn sie mal gerade die Hände frei hat, also nicht mit E-Gitarre oder Stimmverzerrer hantiert, dann würgt Carla Bozulich (schwarze Stiefel, grauer Tüllrock) das Mikro derart inniglich, als wollte sie ihm ein besseres Dasein im Jenseits ermöglichen.

Kein Zeichen von Ungeduld im Publikum, zu erstaunlich, sind die zwei Stunden, bis „La Faithfull” im dunklen Hosenanzug endlich auftritt. Die Arme hat sie ausgebreitet, als wolle sie ihr Publikum umarmen, als wolle sie aber auch deutlich machen, dass hier eine Überlebende aus drogen-triefendem Gestern noch immer blendend in Form ist.

Letzteres kann sie an diesem Abend nicht immer unter Beweis stellen. Vor allem bei den neu geprobten Songs hapert es denn doch heftig. Kurt Weills „Bilbao Song” schafft sie nur mit Hilfe von Textblatt und Brille, bei Bob Dylans „To Ramona” klappt's mit den Einsätzen nicht immer, tastet sie sich deutlich unsicher durch die umfangreichen Lyrics.

Wer erinnert sich nicht an sie?




„Do You Remember Me?” lautet die erste gesungene Zeile des Programms. Sie stammt aus einem Song von Roger Waters und ist natürlich persönlich gemeint. Wer erinnert sich nicht an diese Künstlerin, die heute 62 Lenze zählt, mit knapp 18 bereits ihren ersten Hit („As Tears Go By”) und eine längere Liaison mit Mick Jagger hatte. Und wenn es sich nicht gerade um die Novitäten im Programm handelt, dann kann Marianne Faithfull auch heute noch das Publikum packen.

Mit ihrer bekannt dunklen, brüchigen Stimme führt sie die Zuhörer sehr überzeugend in die Geisteswelt von Serienmördern (Randy Newmans „In Germany Before the War”) oder in die Gesellschaft abgezockter Arbeiter (Lennons „Working Class Hero”).

Es ist ein karges, inklusive Zugaben nur elf Titel starkes Programm, das die Künstlerin hier präsentiert. Und auch wenn's manchmal alles andere als prächtig war, möchte das Publikum am liebsten auf die Stühle steigen. Die blonde, vollschlanke Faithfull ist für viele die beste Vergewisserung der eigenen Lebendigkeit.