Essen. T.C. Boyles neuer Roman „Hart auf hart“: Zwei steigen aus und jagen dem amerikanischen Traum vom selbstbestimmten Leben nach – und zwar schwer bewaffnet.
US-Autor T.C. Boyle ist ein Seismograf seines Landes: Wenn er von den Rändern der Gesellschaft erzählt, dann zielt er doch stets direkt in deren Mitte, ihr Herz. Im neuen Roman „Hart auf hart“ lässt er einen jungen Mann namens Adam dem amerikanischen Traum vom selbstbestimmten Leben nachjagen – und zwar schwer bewaffnet.
Am Anfang war ein Mord, vielmehr: eine Tat aus Notwehr. Sten, Ex-Schulleiter und Ex-Marine, unternimmt mit Gattin Carolee eine Kreuzfahrt. In Costa Rica sind sie mit dem Bus unterwegs, als sie überfallen werden. Sten – „einmal Marine, immer Marine“ – überwältigt den Anführer, „ein simpler Würgegriff“. Aber tödlich. Zu Hause in Mendocino im nördlichen Kalifornien wird er als Held gefeiert. Und kurz darauf Mitglied einer Bürgerwehr, die sich zum Schutz der Wälder gegründet hat: Im Jackson State Forest bauen „die Mexikaner“ im großen Stil Drogen an – und vergiften die Tiere: Tote Kaninchen fressen keine zarten Marihuana-Pflänzchen mehr auf.
Trost mit Spaghetti und ein wenig Körperwärme
Und vielleicht, das legt T.C. Boyle nahe, ist diese Art selbstgewisser, selbstgerechter Selbstjustiz nicht allzu weit entfernt von der Aberkennung jeglicher Staatsmacht. An Adams Seite stellt er die vierzigjährige Sara, die eine simple Verkehrskontrolle zum letztgültigen Bruch bewegt: Weil sie sich weigert, sich anzuschnallen, wird sie festgenommen und ihr geliebter Hund Kutya ins Tierheim verbracht. „Ich habe keinen Vertrag mit Ihnen“, sagt Sara den Polizisten: „Sie sind bloß ein Schauspieler. Jemand in einem Kostüm. Als hätten Sie sich für Halloween verkleidet.“
Auch interessant
Wie Sara dann Adam kennenlernt, wie die beiden Kutya befreien, wie sie sich hinter hohen Mauern vor der feindlichen Welt verschanzen – das erzählt Boyle mit dem Witz und der Bissigkeit, die man vor allem aus seinem Frühwerk kennt. Adam träumt sich in die Welt John Colters hinein, der im 18. Jahrhundert als Trapper und Abenteurer die Wildnis durchstreifte. Auch Adam hat ein geheimes Lager im Wald, er trägt Tarnanzug, einen Rucksack voller Vorräte und Schnaps. Und genießt doch, hier dürfen wir uns gemeinsam mit T.C. Boyle amüsieren, die Vorzüge der Zivilisation: Einen großen Teller voller Spaghetti mit Tomatensauce, die die immerhin 15 Jahre ältere Sara so wunderbar zuzubereiten weiß. Und den Sex mit ihr. Ganz bürgerlich, im dunklen Schlafzimmer.
Ironie und doch tiefe Demut
„Die amerikanische Seele ist ihrem Wesen nach hart, einzelgängerisch, stoisch und ein Mörder“, so urteilte einst D. H. Lawrence; den Satz hat Boyle seinem Roman mit auf den Weg gegeben – und stellt ihn mit jeder Zeile auf den Prüfstand. Zwar reißen Sara und ihre Freundin Christabel anrüchige Witzchen über Adams durchtrainierten, „harten“ Körper. Doch ist der 25-Jährige, der zwischen Drogenrausch und Verfolgungswahn durch die Welt taumelt, keineswegs der kernige Naturbursche, der er gerne wäre. Als die Dinge aus dem Ruder laufen, als Menschen sterben und der Jäger zum Gejagten wird, da steht Adam wieder vor Sara und bittet – um einen Teller Spaghetti und ein wenig körperlichen Trost.
Auch interessant
T.C. Boyle, dessen Romane größtenteils in einer abgeschiedenen Hütte in den Sequoia Mountains entstehen, lässt hier bei aller Ironie tiefe Demut spüren: Auch im Land der Freiheit, der unbegrenzten Möglichkeiten ist der Mensch nicht in der Lage, der Natur Herr zu werden – oder sich auch nur als Individuum in ihr zu behaupten.
Wie schon in seinen beiden jüngsten Inselromanen, „San Miguel“ und „Wenn das Schlachten vorbei ist“, begibt sich Boyle auf die unwegsamen Pfade, die das schwierige Verhältnis von Mensch und Natur ausloten. „Hart auf hart“ ist ein höchst gelungenes Zivilisationsprodukt, es feiert die Kulturtechnik des Schreibens und nutzt sie zugleich, um die Begrenztheit menschlichen Vermögens aufzuzeigen.
T.C. Boyle: Hart auf hart. Hanser, 400 S., 22,90 €, E-Book 16,99 €