Essen. . „Philomena“, das ist ein oscarverdächtiger Film, der jetzt in die Kinos kommt. Vor 50 Jahren gaben Nonnen den dreijährigen Anthony zur Adoption frei, ohne die Mutter zu fragen. Jetzt stellt diese, gespielt von Judi Dench („M“, James Bond) gemeinsam mit einem Journalisten Nachforschungen an.

Es wäre zweifellos der Stoff für einen grandiosen Schmachtfetzen. Da haben wir eine Irin namens Philomena, reich an Jahren, die lange schon nach ihrem verschwundenen Sohn sucht, den man ihr vor 50 Jahren einfach weggenommen hat. Und da haben wir den zynischen Journalisten Martin Sixsmith, der endlich mal wieder ein wenig Erfolg vertragen könnte. Was wäre da besser, als eine tief bewegende Geschichte zu schreiben, auch wenn Martin selbst rührende Storys über „menschliche Schicksale“ eher geschmacklos findet.

Reales Schicksal als Vorlage

Glücklicherweise teilt auch ein erfahrener Regisseur wie Stephen Frears („Die Queen“) diese Meinung, weshalb „Philomena“, basierend auf einem realen Schicksal, ein großer Film geworden ist. Voll Anteilname zwar für die Hauptfigur, aber mit einem feinen Humor versehen, der jeden Anflug von Tränendrüsen-Mentalität im Keim erstickt. Trotzdem steht am Ende ein Kinoerlebnis, das man nicht verpassen sollte.

Der Hauptgrund dafür ist zunächst einmal die wunderbare Judi Dench als Philomena, die trotz ihres schweren Schicksals und ihrer zahlreichen Rückschläge nie am Leben und an ihrem Glauben verzweifelt. Im Rückblick erleben wir, wie sie als junges Mädchen schwanger und von den Eltern in ein irisches Nonnenkloster abgeschoben wird. Sie bringt ihren Sohn Anthony zur Welt, wird danach von den Nonnen weiter als billige Arbeitskraft ausgebeutet und darf ihr Kind nur einmal in der Woche für eine Stunde sehen. Im Alter von drei Jahren wird der Junge dann, ohne die Mutter vorher zu fragen, einer amerikanischen Familie zur Adoption übergeben.

Journalist Sixsmith, hinreißend gespielt von dem britischen Komödianten Steve Coogan (hier auch Drehbuchautor und Produzent), will ein solch berührendes Schicksal lieber nicht an sich heranlassen. Trotzdem begleitet er Philomena bei einem erneuten Besuch im Kloster, fühlt aber sehr schnell, dass von Seiten der Ordensschwestern hier kräftig gemauert wird.

Ob es das schlechte Gewissen ist, das die Dienerinnen Gottes so schnell verstummen lässt, oder die Tatsache, dass einst nicht wenig Geld für solch räuberische Adoptionen gezahlt wurde – Sixsmith jedenfalls ist nach dieser Visite entschlossen, dieser irischen Lady bei ihren Nachforschungen zu helfen. Er zäumt das Pferd von hinten auf und beginnt mit seinen Recherchen in den USA, was die Dinge endlich ins Rollen bringt.

Zwei Menschen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten

Mögen die äußeren Erfolge sich auch anbahnen, Stephen Frears geht es sehr viel mehr um die Binnenbeziehung zweier Menschen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Hier der immer ein wenig hochnäsig wirkende Bildungsbürger Sixsmith, der immerhin schon eine gescheiterte Karriere als Regierungssprecher hinter sich hat. Und dort die einfach gestrickte Philomena mit ihrer Leichtgläubigkeit, ihrem offenen Wesen und ihrer Vorliebe für billige Liebesromane.

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Frears formt daraus mit sanftem Humor ein seltsames Paar, dessen unterschiedliche Blicke auf die Welt immer wieder für hinreißende Momente sorgen. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn Sixsmith sie in Washington zu einem Besuch des Lincoln Memorial einlädt, Philomena aber lieber im Hotel bleiben möchte, um sich eine Humor-Klamotte im Fernsehen anzusehen.

Es ist die Kunst dieses Films, dass die Annäherung der beiden Suchenden sich nahezu unmerklich vollzieht. Der Journalist beginnt die alte Dame immer besser zu begreifen, akzeptiert ihre Naivität in vielen Dingen ebenso wie ihr unerschütterliches Vertrauen in Gott. Sie ist eine Frau des Vergebens, nicht der Anklage, die an ihrem Glauben auch dann noch festhält, wenn Wahrheiten ans Licht kommen, die noch viel erschütternder anmuten als der Kinderhandel von Seiten des Klosters. Regisseur Frears passt sich mit dem Stil seines Films dieser sanften Person an. Nie mutiert „Philomena“ zum Pamphlet, nie werden flammende Reden gegen die Kirche gehalten. Was man sieht und miterlebt ist schlimm genug.

Wertung: fünf von fünf Sternen