Cannes. . Am Mittwoch beginnen in Cannes die 66. Filmfestspiele, die bisher immer noch als das wichtigste und einflussreichste Festival der Welt gelten. Doch in diesem Jahr bröckelt es auch hier in Sachen Uraufführung: Der Eröffnungsfilm „Der große Gatsby“ ist in den USA längst angelaufen.

Der stolze Festival-Pfau Cannes muss Federn lassen. Wenn am Mittwoch zum Auftakt der 66. Filmfestspiele mit „Der große Gatsby“ von Baz Luhrmann ein cineastisches Feuerwerk gezündet werden soll, dann läuft das Remake der Bestsellerverfilmung nach F. Scott Fitzgerald nicht nur in seiner US-Heimat bereits im Kino, auch in Indien, Kanada, Deutschland oder Vietnam ist Leonardo DiCaprio dann als millionenschwerer Lebemann auf der Leinwand zu sehen.

Nicht nur auf das Recht der ersten Nacht muss das weltweit wichtigste Filmfest bei der Eröffnung verzichten, seine skandalträchtigen Enfants terribles schwänzen gleich ganz. Pedro Almodóvar startete mit seiner schrillen Flugzeug-Klamotte „Fliegende Liebende“ lieber vorab im unbedeutenden Istanbul, derweil der Däne Lars von Trier mit seinem in Köln gedrehten Sex-Stück „Nymphomaniac” offiziell „nicht fertig“ sein will. Fast traditionell fehlt das deutsche Kino unter Palmen, diesmal völlig zu Recht, weil es gar keine Kandidaten gäbe - kein Ruhmesblatt für die hiesige Branche, deren Fördersystem mit millionenschweren Subventionen nur ganz kleine Kinobrötchen hervorbringt.

Webfehler am roten Teppich

Derlei Webfehler am roten Teppich kann Cannes gleichwohl gelassen nehmen, das cineastische Füllhorn ist hier immer gut gefüllt, dafür sorgen schon die Stammgäste. Die Coen-Brüder etwa waren bereits acht Mal an der Croisette, Jim Jarmusch bringt es auf sechs Besuche und Steven Soderbergh war schon vierfach vertreten – und wird hier seine Karriere beenden, wo sie anno 1989 mit „Sex, Lügen und Video“ und einer Goldenen Palme begann.

Nach 29 Filmen hat der 50-jährige Regisseur genug von profitsüchtigen Produzenten der Traumfabrik und hängt seinen kreativen Job frustriert an den Nagel. Sein letztes Werk „Behind the Candelabra“, die Lovestory des schwulen Pianisten Liberace, wollte trotz Starbesetzung mit Michael Douglas und Matt Damon kein Studio finanzieren und konnte nur mit dem ambitionierten TV-Sender HBO gestemmt werden. Schon allein deshalb gilt dieser letzte Soderbergh-Streich vorab als großer Gold-Favorit.

Regisseur Ozon gibt sich poetisch

Der auffallend hochkarätigen Jury, zu der unter anderem Nicole Kidman, Christoph Waltz, Ang Lee und ein Präsident namens Steven Spielberg gehören, blüht freilich eine Qual der Wahl unter den 19 Wettbewerbsfilmen. Der Berlinale-Sieger Asghar Farhadi setzt nach dem gefeierten „Nader und Simin“ weiter auf Scheidung und lässt in „The Past“ einen iranischen Ehemann seine französische Familie verlassen, worauf sich die Gattin trennen will.

Frankreichs Regie-Liebling François Ozon gibt sich poetisch und porträtiert in „Jeune et Jolie“ das 17-jährige Model Marine Vacth mit vier Liedern in vier Jahreszeiten. Eine junge Frau steht auch bei Abdellatif Kechiche im Zentrum, der in „La vie d’Adele“ eine dreistündige lesbische Lovestory präsentiert. Roman Polanski bringt derweil eine weitere Verfilmung des erotischen Romanklassikers „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch auf die Leinwand. Die lüsterne Hauptrolle, die einst schon Klaus Kinski spielte, übernimmt diesmal Mathieu Amalric.

Beziehungsgeflechte dominieren

Beziehungsgeflechte in allen Facetten dominieren auffallend wie selten das diesjährige Programm. Im Tschad muss ein junger Mann seine Träume opfern, um den schwerkranken Onkel zu retten. In Mexiko bringt die Romanze der Tochter mit einem Polizisten die Familie in Gefahr. In Japan stellt ein Ehepaar fest, dass ihr Kind bei der Geburt vertauscht wurde. In den USA muss ein dementer Vater versorgt werden. In Holland zerbricht die Fassade einer vornehmen Familie.

Übersicht zu den 66. Filmfestspielen von Cannes
Übersicht zu den 66. Filmfestspielen von Cannes

Wie üblich bleibt auch der melancholische Kino-Liebesbote Jim Jarmusch seinem Thema treu: In „Only Lovers Left Alive“ lässt er den deprimierten Underground-Musiker Adam nach langer Trennung seine geheimnisvolle Geliebte Eva wiederfinden.

Knallharter Thriller-Kontrast

Als knallharter Kontrast zu dem ganzen Liebesreigen fehlt auch diesmal die beliebte Rache in allerlei Variationen nicht. Sei es die Killer-Geschichte „Shield of Straw“ aus Japan, der Cop-Thriller „Zulu“ aus Südafrika, das Drogendrama „Only God Forgives“ des dänischen Wunderkinds Nicolas Winding Refn oder der gute alte „Michael Kohlhaas“, in dem diesmal Mads Mikkelsen den rechtschaffenen Pferdehändler gibt, der zur Selbstjustiz greift. Mit Heinrich von Kleist ist Deutschland dann doch noch in Cannes vertreten.

An Stars herrscht wie üblich kein Mangel. Auf der Glamour-Liste stehen u.a. Robert Redford, Leonardo DiCaprio, Justin Timberlake, Emma Watson, Marion Cotillard, Charlotte Rampling, Matt Damon, Michael Douglas, Ryan Gosling oder Kristin Scott Thomas. Selbst Legenden wie Kim Novak und Jerry Lewis haben sich angekündigt. Da kann der Festival-Pfau dann doch noch mit geschwellter Promi-Brust unter Palmen stolzieren.