Essen. Auf die letzten vier Monate im Leben des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten konzentriert sich Steven Spielberg in „Lincoln“: Der Brite Daniel Day-Lewis brilliert in der Hauptrolle als ein Realpolitiker, der für sein Ziel, die Sklaverei endgültig abzuschaffen, alles riskiert.

Er habe in seiner Jugend insgesamt kaum ein ganzes Jahr lang die Schule besucht, hat Abraham Lincoln später einmal behauptet. Nicht gerade viel, betrachtet man die Karriere dieses Mannes aus Kentucky, der schließlich 1861 zum 16. Präsidenten der USA gewählt wurde, der den Sezessionskrieg gegen die Südstaaten führte und es schließlich auf politischem Wege erreichte, die Sklaverei zu beenden. Sich mit dem Mythos dieses gerade heute wieder verehrten Mannes zu beschäftigen, auf dessen private Bibel Barack Obama gerade erst seinen zweiten Amtseid geschworen hat, das braucht Fingerspitzengefühl.

Vier letzt Monate im Leben eines Mannes

Steven Spielberg beweist seine Eignung schon dadurch, dass er sich in seinem „Lincoln“ nur mit den letzten vier Monaten im Leben dieses Mannes beschäftigt. Und das nicht, um einen Countdown zu schaffen hin zum tödlichen Attentat auf Lincoln 1865. Sondern weil man genau in dieser Zeit Lincoln als Realpolitiker erleben kann, der um jeden Preis den 13. Zusatz zur Verfassung noch durchs Parlament bringen will, bevor der Krieg mit dem Süden beendet ist. Bei Mitsprache der Konföderierten würde wohl kaum noch eine Mehrheit für die Abschaffung der Sklaverei zustande kommen. Gleichzeitig aber würde das schnelle Verbot der Sklavenhaltung den Süden finanziell in die Knie zwingen.

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Spielberg zeigt Lincoln als politischen Kämpfer, der schon damals nicht vor Stimmenfang auf der Gegenseite zurückschreckte. Insgesamt fehlen dem republikanischen Präsidenten 22 Voten, die er nun von findigen Verhandlungsführern durch Überredung, finanzielle Offerten oder auch durch leise Erpressung eintreiben lässt. Und was wie ein trockenes Politdrama beginnt, erhält nun ganz unmerklich durch den Wettlauf gegen die Zeit und das Finden einer Mehrheit für den Zusatz einen so nie erwarteten Spannungsbogen.

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Die Unterhändler des Südens sind schon auf dem Weg, da müssen sogar noch in den eigenen Reihen Abgeordnete vom richtigen Weg überzeugt werden. Der radikale Abolitionist Stevens (Tommy Lee Jones) beispielsweise, dem der Zusatz viel zu kurz greift und der sich seiner schwarzen Haushälterin verpflichtet fühlt, mit der er ein langjähriges Verhältnis pflegt.

Bilder mit gedämpften Licht

Spielbergs As im Ärmel ist die Besetzung der Titelfigur mit Daniel Day-Lewis. Das ist ein Schauspieler, der nur wenige Filme dreht, sich aber stets tief den darzustellenden Charakter einarbeitet und hier alles tut, um Lincoln nicht als Ikone erscheinen zu lassen. Wortkarg durchschreitet er die Bilder, vom ehelichen Schlafzimmer mit Gattin Mary (Sally Field) bis zum von toten Körpern übersäten Schlachtfeld. Manchmal sagt er gar nichts, da spürt man nur die Last des Erfolges, die er sich auferlegt hat. Und wenn er spricht, dann wird er nie direkt, sondern erzählt lieber mit sanfter Stimme Geschichten und Parabeln. Als wolle er seinen Zuhörern die Möglichkeit zur Interpretation zu geben.

Ein Fest der Sprache

Kameramann Janusz Kaminski, der mit Spielberg schon ein Dutzend Filme realisiert hat, setzt in „Lincoln“ ganz auf irdene Farben und gedämpftes Licht, dass den hageren, fast zwei Meter großen Präsidenten mit seinem Zylinder manchmal wie ein Schattenwesen wirken lässt, wie schon gezeichnet vom nahenden Attentat.

Das Drehbuch des Theaterautoren Tony Kushner („Angels in America“) setzt ganz auf die Sprache, vor allem im Parlament, wenn Politiker mit klingenscharfer Diktion über Gegner und deren Meinung herfallen. So exquisit formuliert hat man das damals sicher nicht gehört. Aber es macht mächtig Spaß, in einem großen Film eine ganze Horde hervorragenden Hollywood-Mimen sich derart verbal duellieren zu sehen.