Washington. Jessica Chastain ist der Star im Osama-Bin-Laden-Film “Zero Dark Thirty“. Dank Wandlungsfähigkeit und Ausdrucksstärke kann sie auf der Leinwand auch ohne Worte beeindrucken und erhielt 2012 ihre erste Oscar-Nominierung. Ihr Entdecker war kein geringerer als Al Pacino.

Am Ende der aufwendigsten Menschenjagd, die Amerika je gestartet hat, tut die Leere, die Maya in sich spürt beim Zusehen beinahe weh. Ganz allein, blass, erschüttert und befriedigt zugleich sitzt die junge CIA-Agentin, die Osama Bin Laden in seinem pakistanischen Versteck aufgespürt hat, in einem großen Frachtflugzeug. Der Staatsfeind Nr. 1 - getötet. Die Schmach des 11. September - gerächt. Mission erledigt. Was nun? Maya weiß es nicht. Die Schlussszenen in „Zero Dark Thirty“, dem kontroversesten Hollywood-Film seit langem, bringen staunenswert zur Geltung, was eine der faszinierendsten Schauspielerinnen ihrer Generation zu leisten imstande ist: phänomenale Wandlungsfähigkeit und das vollständige, scheinbar unangestrengte Abtauchen in eine Rolle. Jessica Chastain. Im März winkt ihr der erste Oscar.

Die derzeit bekannteste unbekannte Darstellerin ist eine Zufallsentdeckung. Kein Geringer als Al Pacino öffnete der nur 1,63 Meter großen Frau mit den feuerroten Haaren, den hohen Wangenknochen, den grünen Augen, der Alabasterhaut und dem porzellanblassen Teint aus Sonoma Valley nördlich von San Francisco die Türen zur Traumfabrik. Als sie mit ihm in Oscar Wildes „Salome“ arbeitete, machte Pacino den großen Film-Magier Terence Malick auf das „Genie“ der 35-Jährigen aufmerksam. Brad Pitt, ihr Ehemann in dem halluzinogenen „The Tree Of Life“, sprach später von einer „Eleganz“, die angeboren sein müsse.

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Erste Oscar-Nominierung 2012

Von Malick war es bis zur nächsten Vorzeige-Adresse - Steven Spielberg - nicht weiter. Für die Rolle der drallen Celia im Südstaaten-Rassendrama „The Help“ bekam die Tochter eines Feuerwehrmannes und einer veganischen Chefköchin 2012 ihre erste Oscar-Nominierung. Dazwischen drückte sie einem halben Dutzend weiterer Filme von „Take Shelter“ bis „The Dept“ ihren Stempel auf, wo ihr die Rolle einer israelischen Mossad-Agentin zugedacht war. Broadway-Theater-Engagements wie zurzeit in „The Heiress“ runden ihr Arbeitspensum ab.

Jessica Chastain hatte ihr Erweckungserlebnis als kleines Mädchen. Mit ihrer Großmutter sah die damals 7-Jährige, die mit zwei Schwestern und zwei Brüdern aufwuchs, das Musical „Joseph and the amazing Technicolour Dreamcoat“ von Andrew Lloyd Webber. „Als sich Vorhang hob, stand ein kleines Mädchen als Erzählerin auf der Bühne“, sagte sie dem Branchenblatt Variety, „da wusste ich, was aus mir werden sollte.“ Nach der Highschool in Sacramento zog sie nach New York. Ein Vorstellungstermin an der renommierten Juilliard School, Chastain sprach die Juliet aus Shakespeares, endete mit einem Stipendium. Die Stille und Tiefe, die Chastain beim Kammerspielen umgibt, die Emotionen, die sie auslöst, ohne auch nur ein Wort zu sagen, rührte schon damals ihre Lehrer.

Privat sehr zurückgezogen

Für ihre Hauptrolle in „Zero Dark Thirty“, der am 31. Januar in die deutschen Kinos kommt, hat sich Chastain akribisch vorbereitet und jedes noch so kleine Detail über die echte „Maya“ aufgesogen; jene CIA-Analystin, die den Navy Seals gegen viele interne Widerstände beharrlich den Weg zu Osama Bin Laden bahnte und seither von der Spitze des Geheimdienstes zum Schweigen verurteilt ist. Die Zerrissenheit, die Amerikas Kampf gegen den Terror kennzeichnet, die schleichend größer werdende Gewissheit, dass man nicht ungeschoren davonkommt, wenn man das Böse dauernd wegzubomben versucht - niemand bildet diese Gemütslage eindringlicher ab als Jessica Chastain.

Sie selbst ist bei aller Öffentlichkeit bis heute ein Rätsel geblieben. Lange war, sie verweigerte schlicht die Aussage, nicht mal ihr Alter zweifelsfrei klar. Sie isst veganisch, geht aus Angst vor dem Verlust von Privatheit keine Beziehungen mit anderen Schauspielern ein, liest seit Jugendzeiten Shakespeare rauf und runter und scheucht in der Freizeit am liebsten ihre beiden Hunde am Pier von Santa Monica über den Strand.

In „Zero Dark Thirty“ vergießt Jessica Chastain am Ende nur eine Träne. Eher untypisch. Andere Regisseure berichten von starken emotionalen Ausbrüchen während der Dreharbeiten und raten der Schauspielerin zu einem sparsameren Umgang mit dem Weinen. Unnötig. „Macht euch keine Sorgen“, entgegnet Jessica Chastain, „ich habe eine nie versiegende Quelle.“