Essen. . Wes Anderson gilt seit „The Royal Tenenbaums“ vielen Filmfans als Kultregisseur. Seitdem jedoch haben die Zuschauerzahlen für seine Werke stetig abgenommen. Vielleicht auch, weil bei aller Schrägheit der Themen nie sehr viel Emotion zu erkennen war. Das ist jetzt anders geworden.
Da sage noch einer, der Amerikaner Wes Anderson („Die Royal Tenenbaums“, „Die Tiefseetaucher“) könne nur schräge Filme inszenieren, die nirgendwo einen emotionalen Ankerplatz zu bieten hätten. Mit seiner neuen Arbeit „Moonrise Kingdom“ jedenfalls, die letzte Woche das Filmfestival von Cannes eröffnet hat, beweist er uns das Gegenteil: Hier steht im Zentrum die zu Herzen gehende Zuneigung zwischen zwei Zwölfjährigen, die beide noch nicht viel zeigen von ihrer Leidenschaft, sich zur Sicherheit aber schon mal pro forma trauen lassen.
Ordnungskräfte alarmiert
Sam Shakusky (Jared Gilman) flüchtet gleich zu Beginn aus einem Pfadfinderlager auf einer kleinen Insel vor der Küste Neuenglands, um sich mit der Juristentochter Suzy (Kara Hayward) auf und davon zu machen. Was im übrigen nicht sehr weit sein kann bei den Ausmaßen dieses Eilands. Trotzdem sind ihnen schon bald sämtliche auffindbaren Ordnungskräfte auf den Fersen. Sams Scout Master Ward (Edward Norton) samt seinen Pfadfindern ist da ebenso dabei wie der Insel-Sheriff Sharp (Bruce Willis), Suzys Eltern (Bill Murray, Frances McDormand) und das Jugendamt in Gestalt von Tilda Swinton. Sam, muss man wissen, ist ein Waisenkind, dem das Heim droht, weil ihn auch seine letzten Pflegeeltern gerade erst vor die Tür gesetzt haben.
Ein Kuss wirkt elektrisierend
Anderson zeigt uns Kinder, die sich ganz erwachsen geben möchten, Zuneigung auf den ersten Blick verspüren, Liebesbriefe aber noch eher ungelenk verfassen. Ganz zart deutet der Film an, dass der künstlerisch begabte Sam ohne jede Kenntnis der Physiognomie seiner Angebeteten sich bereits an einem Aktbild versucht hat. Und es ist nur folgerichtig, dass ein Kuss zwischen beiden elektrisierend wirkt – da sind noch Reste von einem Blitz in Sam, von dem er kurz zuvor getroffen wurde. Wir sehen aber auch Erwachsene, die ihre Kinderzeit einfach nicht verlassen wollen und deshalb bei den Pfadfindern Karriere machen. Edward Nortons Scout Master gehört dazu, vor allem aber Harvey Keitel als betagter, ordenbehangener Commander, dem man zweifellos Besseres wünschen würde, als sich immer noch mit kleinen Jungs in Khaki-Uniform abzugeben.
Drei Tage vor dem Sturm
Die Ereignisse des Films tragen sich 1965 zu, was Anderson viele Möglichkeiten für eine pittoreske Bildgestaltung liefert. Und alles geschieht unmittelbar bevor ein brachiales Unwetter die handelnden Personen und die gesamte Insel noch einmal derart kräftig durchschüttelt, auf dass am Ende die Dinge in den richtigen Bahnen laufen. Kathys Mutter sieht nun von ihren keuschen Treffen mit dem Sheriff ab, bei denen man sie unter freiem Himmel jedoch nur Zigaretten rauchen sieht. Und Sam wiederum ist nun Stammgast im puppenhaften Heim der Familie seiner „Frau“, wovon die Eltern jedoch keine Ahnung haben.
Oft liegt Dunst auf den Bildern, was ihnen und natürlich auch der Handlung eine gewisse Irrealität verleiht. Nicht das Verkehrteste in einem Film von Wes Anderson.