Essen. . Grimms Märchen sind stark gefragt. Allein zwei Filme um Schneewittchen kommen jetzt in kurzem Abstand heraus. Die Komödie „Spieglein Spieglein“ von Tarsem Singh macht den Anfang, Ende Mai folgt mit „Snow White and the Huntsman“ eine ziemlich düstere Deutung.

Anders als im Grimmschen Märchen kann man die vermeintlich böse Königin in Tarsem Singhs Film „Spieglein Spieglein“ nur zu gut verstehen. Ihr Machtkampf als Stiefmutter in den mittleren Jahren mit ihrer wunderhübschen jungen Tochter und eigentlichen Tronerbin Schneewittchen, das ist auch eine Spiege- lung Hollywoods – das Aufbäumen des alternden Stars gegen die scheußliche Selbstgewissheit junger Nachrücker.

Regelmäßig kommt die „Prozedur“

Dass Julia Roberts in diesem Fall die Königin verkörpert, macht alles nur noch lebensnaher. Für die Schönheit ist diese Königin tatsächlich vor nichts fies, wenn sie sich regelmäßig der „Prozedur“ unterwirft. Dann werden ihr mittels echtem Bienen-Stich die Lippen aufgespritzt, die Maniküre übernehmen abscheuliche Maden-Völker und nach dem Schlammbad lecken ihr kleine Fische die Hände sauber. Vielleicht reicht es danach ja noch einmal für den jungen Prinzen Alcott (Armie Hammer), der eigentlich der Tochter nachstellt.

Zwerge bilden eine Räuberbande

Man merkt schon durch diese kurze Beschreibung, dass der gebürtige Inder Tarsem Singh („The Cell“) seine Märchenverfilmung bestimmt nicht traditionell verstanden wissen möchte. Es geht ja noch weiter: Aus den sieben Zwergen macht der Regisseur kurzerhand eine Räuberbande aus kleinwüchsigen Kerlen, die man in der Stadt nicht dulden wollte und die deshalb nun auf gefederten Stelzen Kutschen überfällt. Dass die Zwerge das Diebesgut bisher nicht an die Armen verteilt haben, mag daran liegen, dass ihnen bisher noch so etwas wie ein Robin Hood gefehlt hat.

Prinzessin mit sozialem Gewissen

Schneewittchen (Lily Collins, die Tochter von Phil), im Wald ausgesetzt und nicht umgebracht vom barmherzigen Haushofmeister der Königin (Nathan Lane), hätte das Zeug dazu, dies zu ändern. Sie spürt nach anfänglicher Naivität ein soziales Gewissen, seit sie in der Stadt war und mitansehen musste, wie die Bürger dort unter den fortgesetzten Steu-ererhöhungen ächzen und hungern. Schon bald weiß sie den schmucken Prinz Alcott an ihrer Seite, dem soziale Gerechtigkeit eigentlich schnuppe wäre, würde sie nicht von Schneewittchen verkörpert. Erst allerdings muss man diesen reisenden Schönling aus den Fängen der Königin befreien, die ihn mangels weiblicher Anziehungskraft per Zauber in ihren hechelnden Schmusehund verwandelt hat.

Bilderträumer des Kinos

Regisseur Tarsem Singh gilt als ein Bilderträumer des Kinos. In „The Cell“ hat er Jennifer Lopez einst ins Gehirn eines im Koma liegenden Serienkillers katapultiert, um dort nach Informationen zu forschen. Und in „The Fall“ lässt er auf wundersame Weise Handlungsebenen sich überlappen und imaginiert mit phantastischer Kraft die Visionen eines depressiven, beinamputierten Soldaten. In „Spieglein, Spieglein“ kommt diese überbordende Phantasie nicht ganz so zum Tragen, doch es ist immer noch genug möglich – vom wuchtigen Königsschloss auf schmalster Felsenklippe bis hin zum finster-bedrohlichen Märchenwald inklusive Ungeheuer. Selbst das will Schneewittchen, selbst ist die Jungfrau, persönlich erledigen.

Farbsatte Kostüme

Vor allem aber lebt der Film diesmal von den verschwenderischen und farbsatten Kostümen der Japanerin Eiko Ishioka, die für „Bram Stoker’s Dracula“ einst den Oscar bekam und die im Januar verstorben ist. Ihre Gewänder haben bisher alle Sing-Filme geprägt. Diesmal kann man ihre ausladenden Schuppenröcke, ihre monströsen Krägen, die stets aufgebauschten Puffärmel und unendlich viel mehr bewundern.

Und der vergiftete rote Apfel? Der kommt hier erst ganz zum Schluss und dann auch nur, um den Film mit einem sehr schönen Gag ausklingen zu lassen.