Essen. . Bei 350 bis 400 Filmen pro Jahr im Kino kann kaum noch jemand den Überblick behalten. Aber da man derzeit schneller denn je einen Film über Pay TV oder DVD und Blu-ray nachholen kann, lohnt sich ein entspannter Blick zurück. Hier sind zehn Titel, die das Kinojahr geprägt haben.
Etwa 350 bis 400 neue Filme buhlen jedes Jahr um die Aufmerksamkeit des Kinogängers. Für manche Filme wird die Situation damit immer schwieriger, denn eine solche Fülle bringt gleichzeitig auch Unübersichtlichkeit und eine nur kurze Verweildauer im Spielplan mit sich. Eine Rückbesinnung lohnt deshalb immer: In Zeiten von DVD und Blu-ray und einer immer kürzeren Verwertungskette kann vieles schnell nachgeholt werden. Die hier genannten Titel bilden so etwas wie die Auslese des Jahrgangs 2011.
Bei den Oscars liebt man Leinwandfiguren mit Handicap. Und tatsächlich fiel die Trophäe in diesem Jahr Colin Firth zu, der in Tom Hoopers The King’s Speech den stotternden britischen König George VI. verkörpert. Eigentlich aber steht ihm Geoffrey Rush in nichts nach: Als australischer Therapeut rückt er den Leiden des verstockten Herrschers mit unorthodoxen Methoden zu Leibe.
Bei den Hinterwäldnern
Die Ozark Mountains im südlichen Missouri sind nicht unbedingt bekannt dafür, dass hier oft gefilmt würde. Kein Wunder, denn in dieser Gegend leben Menschen am Existenzminimum, die in schäbigen Hütten hausen, umgeben von Müll und Sperrgut. Hier begibt sich in Winter’s Bone die junge Ree auf die nicht ungefährliche Suche nach ihrem Vater. Geradezu stoisch erträgt die großartige Jennifer Lawrence in dieser Rolle Enttäuschung und Gewalt.
Nur in England kann jemand auf den Gedanken kommen, aus dem Thema Terrorismus eine Komödie zu formen. Chris Morris ist so ein Typ, was dazu geführt hat, dass man sich in seinem Kinoerstling Four Lions über trottelige Dschihad-Krieger amüsieren kann. Nichts liegt dem Regisseur ferner, als sich über den Islam lustig zu machen. Er will lediglich zeigen, welcher Dilettantismus sich hinter dem Begriff „Selbstmordattentäter“ verbergen kann.
Der Tod kommt alle acht Minuten
Mit dem Thriller Source Code empfiehlt sich David Bowies Sohn Duncan Jones als begnadeter Erzähler kompliziert anmutender Geschichten. In diesem Fall geht es um einen US-Soldaten (Jake Gyllenhaal), der bei der Suche nach einem Attentäter immer wieder im Acht-Minuten-Rhythmus bis zu seinem nächsten vorläufigen Tod agieren kann. Eine Parabel auf den entwurzelten, Orientierung suchenden Gegenwartsmenschen.
Einen Film aus dem Iran bekommt man nicht oft in unserem Kinobetrieb zu sehen. Asghar Farhadis Film Nadar und Simin - Eine Trennung ist denn auch weniger ein Problemfilm aus dem Morgenland. Er packt uns vor allem deshalb, weil die hier aufgeworfenen Fragen von Recht und Moral jeden angehen und zur Auseinandersetzung zwingen. Im Umfeld einer Scheidung wird hier zwei Stunden geradezu qualvoll nach der Wahrheit gesucht.
Eine Liebe im Rückwärtsgang
Der US-Regisseur Derek Cianfrance beschreibt in Blue Valentine das Verschwinden einer Liebe im Rückwärtsgang. Umso stärker berühren die Bilder, die am Ende zwei auseinander driftende Menschen zeigen, um kurz danach mit dem jungen Glück des Anfangs einen schmerzhaften Kontrast zu schaffen. Ryan Gosling und Michelle Williams sind als Schauspieler dabei ein Ereignis.
Tiefste Hoffnungslosigkeit und schönste Utopie stehen in den Filmen Aki Kausrismäkis wie selbstverständlich nebeneinander. Aber noch selten ging er mit seinen Protagonisten so liebevoll um wie in Le Havre. Ein Schuhputzer entdeckt einen kleinen afrikanischen Migranten – und versteckt ihn. Das gibt seinem Leben einen neuen Sinn und fördert die Solidarität der Nachbarn. Das Ganze in knappen Dialogen, mit gemächlichem Schnitttempo und herrlich altmodischem Technicolor.
Die Erde strebt dem Untergang zu
Allem Skandal um Lars von Triers Nazi-Äußerungen zum Trotz ist sein Melancholia zumindest optisch der Film des Jahres. In grandiosen Bildern strebt die Erde hier ihrem offensichtlichen Ende entgegen. Es gibt keine Hoffnung, es bleibt nur das würdige Abschiednehmen. Der Regisseur erzählt all das mit Hilfe des Schicksals zweier Schwestern, die mit wachsender Angst plötzlich ihre Rollen im Leben tauschen.
Pedro Almodóvar hatte noch nie Angst vor sensationslüsternen Stoffen. Die Haut, in der ich wohne schießt dabei mit seiner Rachevision den Vogel ab. Ein Mediziner kidnappt den jungen Mann, dem er die Schuld am Tod der eigenen Tochter gibt, und benutzt ihn für ein groteskes Hautexperiment. Kolportage in höchstem Maße, aber virtuos mit Fragen nach der Identität des Individuums gespickt.
Der etwas andere Gangsterfilm
Eigentlich ist es eine Standardsituation des Gangsterfilms: Eine Halbweltfigur kommt frei und wird gleich darauf von der Vergangenheit eingeholt. Aber so, wie Regisseur William Monahan das in London Boulevard inszeniert, wirkt das alles völlig unverbraucht. Eher widerwillig schleicht sich da eine zum Scheitern verurteilte Liebe ein, seltsame Charaktere halten die Aufmerksamkeit auf einem hohen Level. Lakonisch, zynisch und manchmal auch beängstigend realistisch.