Essen. . Auf den neuen Film von Pedro Almodóvar wartet man fast so gespannt, wie früher auf Neues von Hitchcock. Man will wissen, ob dieser Melodramatiker des Kinos sich noch einmal übertreffen kann. „Die Haut, in der ich wohne“ ist der beste Beweis dafür.
Der spanische Regie-Melodramatiker Pedro Almodóvar hat uns schon manche Überraschung zugemutet. Man denke nur an die Schwangerschaft einer komatösen Patientin in „Sprich mit ihr“. Oder den beharrlichen Hang zum Leben, der in „Volver“ auch längst verstorbene Frauen noch umtriebig werden lässt. Mit „Die Haut, in der ich wohne“ jedoch stellt er all das noch in den Schatten und liefert uns als Ergebnis eine nahe am Wahnsinn beheimatete Geschichte voll von phantastischer Imagination.
Das ließ denn auch Antonio Banderas nicht ruhen, den Star von Almodóvars Frühwerk: Nach 21 Jahren spielt er nun erstmals wieder bei seinem einstigen Gönner und verkörpert den Plastischen Chirurgen Robert Ledgard. Dieser Mediziner ist nur von dem Gedanken beseelt, endlich eine künstliche Haut zu erschaffen, die dem Menschen tatsächlich auch Schutzhülle wäre. Hätte er sie bereits an seiner Frau verpflanzen können, die würde möglicherweise noch leben nach dem schweren Autounfall und hätte nicht schrecklicher Entstellungen wegen Selbstmord begangen. Nun steht er vor dem Durchbruch, hat eine robuste und makellose Haut durch Anteile vom Hausschwein erreicht – und braucht nun dringend einen Probanden.
Der Traum eines Voyeurs
Da der Film mit Zeitsprüngen arbeitet, könnte dies die schöne junge Vera (Elena Anaya) sein, die einzige Patientin in Ledgards heimischer Privatklinik. Sie trägt als Schutz jedenfalls einen hautfarbenen Ganzkörperanzug, wird von der Haushälterin Marilia (Marisa Paredes) versorgt, darf das Gebäude nicht verlassen und wird vom Doktor auf Schritt und Tritt beobachtet. Die große, nur einseitig durchschaubare Scheibe, die Veras Zimmer von dem des Arztes trennt, ist der Traum eines jeden Voyeurs und macht den Kinobesucher unweigerlich zum Kumpanen dieses Experiments. Alles scheint gut zu laufen, bis zur Zeit des Karnevals plötzlich ein Mann im Tigerkostüm vor der Haustür steht und mit ihm der Untergang des Hauses Ledgard seinen Anfang nimmt.
Das jedoch ist eigentlich nur die Oberfläche eines Films, bei dem die Sehnsucht nach extremer Rache, die verwandtschaftlichen Beziehungen der Protagonisten und vor allem deren geschlechtliche Zugehörigkeit noch für manche Überraschung sorgen werden. Wer den dem Film zu Grunde liegenden Roman des Franzosen Thierry Jonquet nicht zufällig kennt (und das dürften hierzulande nicht viele sein), der steht am Ende vor Horror in schönster Blüte. Die Experimente eines Frankenstein oder eines Dr. Moreau nehmen sich daneben noch beinahe gnädig aus, wenn sie dabei auch nicht jene Schönheit hervorbringen, wie das Ledgards Absicht ist. Almodóvar nimmt die Monstrosität der Geschichte leichten Herzens in Kauf, weil es ihm um das medizinische Experiment geht. „Haut legt die Rasse fest“, schreibt er in seinen Produktionsnotizen, „sie reflektiert unsere Gefühle und unsere Herkunft.“ Wir sollen also das Versuchskaninchen Vera nicht einfach betrachten, sondern hinterfragen: Aus welcher Haut ist sie eigentlich gefahren? Büßt man damit auch seine Identität ein?
Verliebt ins Knallige
Der Wahnsinn des Arztes erinnert an Georges Franjus düsteres Meisterwerk „Augen ohne Gesicht“. Almodóvar beruft sich daneben auch auf das Kino von Bunuel, Hitchcock und Fritz Lang. Tatsächlich habe er eine Zeit lang an einen Schwarzweißfilm gedacht, schreibt er, am liebsten noch stumm. Doch dafür ist dieser Regisseur denn doch zu verliebt ins Knallige, auch im Bereich der Farbtöne. Nun arbeitet er stattdessen mit heller Ausleuchtung der Innenräume gegen den dunklen Look der Geschichte. Und er hält seine Schauspieler an, mit reduziertem Gesichtsausdruck gegen das Unfassliche anzuspielen. Die unbewegte Mine, mit der Antonio Banderas durch die Glasscheibe sein Werk betrachtet, macht das Entsetzen jedoch nur noch größer.