Essen. . Um die Comic-Figuren der „X-Men“ stand es zuletzt nicht mehr so gut im Kino. Doch die Durststrecke scheint vorbei: Mit „X-Men: Erste Entscheidung“ liefert Matthew Vaughn („Kick-Ass“) jetzt ein höchst unterhaltsames Prequel, das die Anfänge der Mutanten zeigt.
Comic-Freunde lieben die sogenannten „Origin“-Geschichten. Jene Bildererzählungen also, in denen geschildert wird, wie unser Superheld zu dem wurde, was er heute ist. Nicht selten sind diese Entwicklungsgeschichten ohnehin viel besser als alles, was später nachkommt. Der zigste Kampf mit dem gleichen Superverbrecher kann auch sehr öde sein.
Die „X-Men“ sind ein besonders geeignetes Feld für derlei Erforschung der Anfänge: Ihr erstes Auftreten im Comic-Book-Format fällt in die Zeit des Kalten Krieges, was Regisseur Matthew Vaughn nun veranlasst hat, mit „X-Men: Erste Entscheidung“ auch genau da zu beginnen. Die Geschichte der Kubakrise beispielsweise muss deshalb komplett umgeschrieben werden.
Die „X-Men“-Mutanten mit ihren jeweils ganz speziellen Superkräften unterteilen sich bekanntlich in die Gruppe um Professor X (für Charles Xavier), die den Menschen wohlgesonnen ist – und in die kritische Schar um Erik Lehnsherr alias „Magneto“, der eine Koexistenz zwischen Normalbürgern und Mutanten als nicht machbar ablehnt und deshalb ein eigenes Süppchen kocht.
Die Mutter wird erschossen
Wie das alles entstanden ist, wie sich alles gruppiert hat, das erfahren wir nun aus der X-Men-Folge „Erste Entscheidung“, die bestes Entertainment bietet und dafür eine ebenso erstaunliche wie ambivalente Charaktere aufbietet.
Schon die ersten Bilder verweisen auf den Anfang des ersten „X-Men“-Films (2000) von Bryan Singer. Sie zeigen Szenen aus dem KZ Auschwitz von 1944, wo der kleine Erik Lehnsherr in emotionalem Aufruhr seinen mentalen Fähigkeiten freien Lauf lässt. Lagerarzt Sebastian Schmidt, ein fieser Mengele-Typ (Kevin Bacon), will sich diese Kräfte zunutze machen, erschießt Eriks Mutter vor den Augen des Sohnes, um ihn erneut in den Zustand größtmöglicher Wut zu versetzen.
Typischer Bond-Schurke
Etwa 18 Jahre später ist aus Schmidt ein erstaunlich jung gebliebener Sebastian Shaw geworden, der gerade dabei ist, die USA und die Sowjetunion in nuklearen Dimensionen aufeinander zu hetzen. Dass er in seiner U-Boot-Kommandozentrale dabei so wirkt wie ein typischer Schurke aus den gerade aufkommenden Bond-Filmen, ist in dieser bunten History-Show sicher kein Zufall.
Wohl ahnend, dass die Welt auf einen atomaren Konflikt zusteuert und Superkräfte demnächst sicher benötigt werden, rekrutieren Xavier (James McAvoy) und Lehnsherr (ein Star ist geboren: Michael Fassbender) reihenweise Mutanten und stellen sich der CIA zur Verfügung. Wie geschickt Vaughn, Regisseur der nicht unumstrittenen Comic-Verfilmung „Kick-Ass“, hier reale Geschichte mit dem Schicksal der X-Men verknotet, das ist durchaus mehr als nur großes Popcornkino.
Auf Schallwellen gleiten
Die Suche nach Menschen, die das gleiche Schicksal haben wie sie, bedeutet für die Freunde Xavier und Lehnsherr die Vergewisserung, nicht mehr allein zu sein mit diesen seltsamen Gaben. Sie stöbern junge Frauen und Männer auf , die noch viel seltsamer erscheinen. Banshee etwa, die Schallwellen erzeugen und darauf gleiten kann; Beast, der mühelos zur Tiergestalt wechselt; oder Mystique, die ihre blaue Schuppenhaut bisher nur allzu gern versteckt hat. Ihnen dabei zuzuschauen, wie sie ihre Begabung erproben und als wie mühsam sich das herausstellt, das ist der fröhliche Teil dieses „Prequels“.
Im Zentrum aber steht das Zerwürfnis zwischen den beiden Protagonisten, das in Eriks Fall nicht nur ein planes Abdriften auf die finstere Seite der Macht ist. Schließlich hat die Welt nach Beilegung der Kuba-Krise nur allzu deutlich gemacht, wie gern sie alle Mutanten auf einen Streich vernichten würde. Da kann man jeden verstehen, dem da die Wut hochkommt.