Cannes. . Die Tage von Cannes nähern sich ihrem Ende, am Sonntag wird die Goldene Palme verliehen. Anders als in manchen anderen Jahren ist das Rennen noch ziemlich offen, selbst die Skandalnudel Lars von Trier kann sich noch Chance ausrechnen.
Lars von Trier hat in diesem Jahr Cannes auf die Palme gebracht mit seiner peinlichen „Ja, ich bin ein Nazi“-Provokation. Ob es der notorische Provokateur am Sonntag dennoch zu einer Palme bringt, könnte bei einem Jury-Chef Robert De Niro höchst spannend werden. Sein rigoroses Weltuntergangs-Drama „Melancholia“ ist unbestritten einzigartig. Ob künstlerische Qualität oder „Quälität“ hängt bei von Trier immer vom Auge und Gefühlszustand des Betrachters ab.
Kino, das polarisiert ist das Salz in jeder Festival-Suppe, also automatisch palmenverdächtig. Das gilt im Höchstmaß für den Ausnahme-Regisseur Terrence Malick und dessen lange erwartetes Werk „Tree of Life“. Verquaste Spiritualität schimpften die einen, philosophisch visionärer Bilder-Trip schnalzten die anderen bei dem verschachtelten Vater-Trauma-Drama mit Brad Pitt. Unbestritten auch hier die einzigartige Handschrift eines Künstlers, dessen fünftes Werk in vier Jahrzehnten auf alle Fälle Filmgeschichte schreiben wird. Malick und von Trier – zwei ebenso spektakuläre wie umstrittene Leuchttürme in einem Festivaljahrgang, der diesmal mehr als das übliche „durchwachsen“ zu bieten vermochte.
Flüchtlingsdrama von Aki Kaurismäki
Als Überraschung entpuppte sich der sonst so misantrope Finne Aki Kaurismäki, der in seinem lakonischen Flüchtlingsdrama „Le Havre“ das hohe Lied auf Solidarität und Nächstenliebe anstimmt. Gänzlich unverkitscht und mit lässigen Anspielungen auf die Filmgeschichte erzählt Kaurismäki die Story eines Schuhputzers, der gemeinsam mit Nachbarn und einem grantigen Kommissar einem jungen Flüchtling hilft. Auf den Schauspielerpreis kann sich der umwerfende Hauptdarsteller André Wilms auf jeden Fall Hoffnung machen. Gleiches könnte auch für Milan Peschel gelten in dem eindrucksvollen Sterbedrama „Halt auf freier Strecke“ von Andreas Dresen, das die Zuschauer zu Tränen rührte. Peschel ist absolut palmenwürdig - wäre der Film im Wettbewerb, statt in der Nebensektion „Un Certain Regard“ gelandet.
Verspielter denn je, dafür harmloser als sonst, präsentierte sich Pedro Almodóvar mit einer Geschichte, die so verrückt ist, dass man sie als Trash abtun kann - oder als famos versponnene Spielerei. „Die Haut, in der ich lebe“ handelt von einem Schönheitschirurgen, der sich am Vergewaltiger seiner Tochter damit rächt, dass er ihn einer Geschlechtsumwandlung unterzieht. Damit nicht genug, verpasst er ihm das Gesicht seiner verstorbenen Frau und verliebt sich in ihn. Völliger Quatsch, aber clever und bilderstark inszeniert.