Essen. Das Freeletics-Trainingsprogramm verspricht Riesenerfolge nach wenigen Wochen. Doch die Methode mit dem virtuellen Coach birgt auch Risiken.

Aphrodite, Zeus, Hera – so heißen die Trainingsprogramme bei Freeletics, einem Fitness-Trend aus dem Internet. Sie alle sind nach Figuren aus der griechischen Mythologie benannt. Wie passend, schließlich hat das Ziel der Freeletics-Anhänger auch etwas mit einer griechischen Gottheit zu tun: Sie wollen einen Adoniskörper.

Oder zumindest ein paar Pfunde verlieren, ein bisschen fitter werden. Speckröllchen sollen sich verwandeln in hübsch anzusehende Muskeln. Ein bisschen mehr Puste, ein flacher Bauch, ein straffer Po. Das alles soll Lohn sein für Wochen und Monate voll von gemeinen Fitnessübungen, Muskelkater – und Schweinehunden.

Workout mit Handy-App

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    Das gleichnamige Unternehmen hinter dem Freeletics-Fitnessprogramm darf sich einer wachsenden Sportlergemeinde erfreuen. Im März 2012 gegründet, vermeldete das Münchener Start-up-Unternehmen im Mai 2014 mehr als eine Million Nutzer weltweit. Heute seien es schon mehr als 25 Millionen. Sie trainieren, vernetzen sich, teilen ihre Trainings-Erfolge in sozialen Netzwerken und spornen sich so zu immer höheren Leistungen an. Mit Selbstporträts und freiem Oberkörper zeigen sie: Ich hab's geschafft – vom Pummelchen zum Traumkörper in 100 Tagen.

    Beim Fitness-Trend Freeletic spielt das Handy eine wichtige Rolle.
    Beim Fitness-Trend Freeletic spielt das Handy eine wichtige Rolle. © Volker Hartmann

    Registrierte Nutzer können sich über die Freeletics-Homepage oder über eine App für mobile Endgeräte Trainingspläne herunterladen, die auf die eigenen körperlichen Voraussetzungen und Trainingsziele abgestimmt sind. Je nach Laufzeit kostet der personalisierte Trainingsplan zwischen 1,54 Euro und 2,69 Euro pro Woche.

    Die einzelnen Übungen und wie der Sportler sie richtig ausführt, erklären kurze Video-Clips. Das Training, heißt es auf der Internetseite, sei intensiv und äußerst effektiv. 15 bis 45 Minuten dauert eine Einheit, ein so genanntes Workout. Wer möchte, kann zudem einen Ernährungsplan dazu buchen.

    Schweißtreibende Workouts zu Hause, im Büro oder an der frischen Luft

    Das Besondere an Freeletics: Trainieren können die Anhänger des Fitness-Trends, die sogenannten Freien Athleten, überall und zu jeder Zeit. Denn um ein Workout auszuführen, braucht es, bis auf wenige Ausnahmen, keine Geräte oder Gewichte. Trainiert wird mit dem eigenen Körpergewicht. 100 Burpees, die fiese Übung, bei der der Athlet aus dem Liegestütz in die Hocke hüpft und anschließend einen Strecksprung macht. Dazu 100 Liegestütze, 200 Sit-ups und 200 Kniebeugen.

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    Zwar lasse sich ein Trend erkennen, wirklich neu sei Freeletics aber im Grunde nicht, sagt Christoph Edeler, Sportwissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund. Es gebe immer mal wieder neue Sportarten und Bewegungen, die in ähnlicher Form schon mal da gewesen seien.

    „Hochintensiv, kurze Zeitdauer, kurze Erholungspausen, viel mit eigenem Körpergewicht und ohne Geräte arbeiten – das ist, ein bisschen abgewandelt, mit dem ganz normalen alt bekannten Zirkeltraining vergleichbar“, sagt der Sportexperte. Das sogenannte HIT, das High Intensity Training, sei in der Sportwissenschaft bereits vor etwa sechs bis acht Jahren als Thema aufgekommen.

    „Aber das Konzept dahinter ist natürlich schon eine kluge Geschichte, die marketingmäßig super aufgezogen wurde“, erklärt Edeler den Erfolg von Freeletics. Selbst die Tatsache, dass die Freien Athleten die Übungen lediglich unter einer Video-Anleitung ausführen, sieht er relativ gelassen. „Wenn man Bewegungen fehlerhaft ausführt, ist das sicher nicht optimal“, sagt er, „aber im Großen und Ganzen reguliert sich der Körper selber.“

    Aufpassen müssten nur die Personen, die Vorerkrankungen oder ungünstige körperliche Prämissen haben. Durch die schnellen Bewegungsausführungen könne es zu Verletzungen kommen. „Vor allem Anfängerinnen und Anfänger sollten sich Unterstützung holen. “

    Freeletics-Macher warnen vor seltener Krankheit

    Entsprechend überschaubar sei die Gefahr, sich zu verletzen, solange die Bewegung einigermaßen genau ausgeführt werde. „Wenn man im Fitnessstudio mit hohen Gewichten trainiert, kann viel mehr passieren“, ist sich der Sportwissenschaftler sicher. Ganz ungefährlich scheint der Internet-Trendsport dennoch nicht zu sein. Auf der Homepage warnen die Freeletics-Unternehmer selbst vor einer Krankheit mit dem komplizierten Namen Rhabdomyolyse.

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    Bei der Erkrankung würden Teile der Skelettmuskulatur zerfallen. Das Muskelprotein Myoglobin werde freigesetzt, gelange über die Blutbahn bis zu den Nieren und könne dort im schlimmsten Fall zu Nierenversagen mit tödlichem Ausgang führen. Sie sei zwar äußerst selten und werde nur in einem Prozent der Fälle durch zu hartes Training und Überbelastung verursacht, dennoch handle es sich hierbei um eine ernste Angelegenheit, heißt es auf freeletics.com.

    Das klingt gefährlich, dem Sportwissenschaftler Edeler ist das Krankheitsbild aber unbekannt. „Ich kann mir vorstellen, dass das Unternehmen aus versicherungstechnischen Gründen darauf hinweisen muss“, sagt er. Grundsätzlich seien Sport und Bewegung immer eine gute Sache. „Am Ende des Tages kommt es aber auf das Wie an. Wenn man übertreibt, ist Sport eben nicht mehr gesund.“

    Insgesamt sei es also immer besser, gemeinsam mit anderen Sportlern zu trainieren. „Im besten Fall mit Leuten, die sich auskennen“, rät Edeler. Genau das tun viele Freie Athleten. Im Internet vernetzen sie sich, bilden Gruppen auf Facebook und treffen sich in Parks oder auf Sportplätzen, um gemeinsam ihr Trainingsprogramm durchzuziehen.

    Freie Athleten verabreden sich über Facebook zum gemeinsamen Training

    Im Ruhrgebiet gibt es etliche Freeletics-Gruppen, die sich bei Facebook verabreden. Im Winter treffen sich die Sportler vor der Orangerie im Grugapark. „Eigentlich ist hier jeden Tag was los“, sagt Siegfried Dick. Eine Handvoll Freie Athleten trifft sich in den Abendstunden, breitet die Matten aus und zieht die individuellen Trainingspläne durch.

    Eine junge Frau macht in schneller Abfolge Hocksprünge und Ausfallschritte. Die anderen haben ihre Matten ausgebreitet und quälen sich mit Burpees, Kniebeugen und Sit-ups. Die Handys liegen griffbereit daneben. Manche Geräte zählen laut die Sekunden bis zur nächsten Regenerationsminute herunter oder geben Applaus, wenn eine Übung abgeschlossen ist.

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    „Es ist definitiv ratsam, sich gegenseitig zu unterstützen und auszutauschen“, sagt Siegfried. Gerade wenn Anfänger in die Gruppe kämen, könne man die richtige Ausführung der Übungen besprechen. Sportlern, die nicht selbst bei Freeletics registriert sind, geben die anderen Mitglieder Übungen an die Hand.

    „Während des Workouts ist die Interaktion allerdings sehr limitiert“, erklärt Siegfried. Motivation entstehe eher durch die Gruppendynamik. „Wenn man sieht, dass die anderen weniger Pausen machen oder schneller sind, spornt das an.“ Gequatscht werde vor und nach dem Workout. Aphrodite, Zeus und Co. haben es eben in sich. Zum Reden reicht da die Puste kaum.