Essen/Berlin. Mit der “Scharia Polizei“ köderte der ARD-Talk “Hart aber fair“. Doch um Innenpolitik ging es Moderator Plasberg weniger als um die Frage, warum sich deutsche Jugendliche für Allah in die Luft sprengen. Grünen-Politiker Volker Beck nahm die “Scharia-Polizei“ ohnehin nicht ganz ernst - und spottete.

So leer sein Stuhl zunächst in der Runde auch blieb, so gehaltvoll war die Punktlandung, mit der Journalist Ulrich Kienzle nach 40 Minuten Flugverspätung in die Sendung platzte. Dem 78-jährigen Nahost-Experten gelang auf Anhieb, womit sich sowohl Talkmaster Frank Plasberg, als auch seine vier anderen „Hart aber fair“-Gästen schwer taten: Beim Thema Salafismus den richtigen Ton zu treffen. Kritisch, aber nicht ausgrenzend.

Mehr als zwei Wochen nach den ersten Berichten über Patrouillen einer selbsternannten „Scharia Polizei“ durch Wuppertal, bat die ARD am Montagabend zum Talk über die „Streife mit Allah“. Frank Plasberg ließ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), Volker Beck (innenpolitischer Sprecher der Grünen), Islam-Lehrerin Lamya Kaddor, den Leipziger Imam Sheikh Hassan Dabbagh und Ulrich Kienzle jedoch bereits bei seiner Einstiegsthese merken, dass die NRW-Sittenwächter nur als Aufhänger dienen sollten, um eine Brücke zwischen Deutschland und dem Dschihad zu schlagen.

Thema blieb seltsam unklar

Ein Spektrum, zu groß, um tiefgründige Diskussionen zu ermöglichen. Vor allem, wenn man wie Plasberg allen Studiogästen anscheinend genügend Platz zur Selbstdarstellung geben will.

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Der „Hart aber fair“-Talk litt darunter, dass Plasberg sich nicht auf ein Thema festlegte, sondern möglichst alle Schlagzeilen durchteaserte. Mit dem lokalen Phänomen der „Scharia-Polizei“ im Rheinland wurde lediglich geködert, aktuelle Entwicklungen wie Gegengruppierungen aus der Nazi- und Hooliganszene fanden keine Erwähnung. Unklar bleibt, ob Plasberg eigentlich über Probleme mit Salafisten oder den Islam in Deutschland debattieren wollte. Die Themenblöcke endeten bei der IS-Miliz, nicht bei Innenpolitik oder Integrationsfragen.

Plasberg baut falsche Gegensätze auf

Bereits die offizielle Fragestellung der Sendung, vor welchem Islam „wir“ Angst haben müssen, distanzierte sich nicht ausreichend vom Unterschied zwischen Muslimen und Extremisten. Plasberg taumelte plötzlich, als er im Gespräch mit der Islam-Wissenschaftlerin Lamya Kaddor falsche Gegensätze zwischen „deutsch“ und „muslimisch“ aufbaute und damit ungewollt einen Kern der Problematik traf. „Auch wir Muslime sind Teil der Gesellschaft“, konterte die Publizistin. „Immer noch wird erzählt, wir seien keine Deutschen.“ Stammelnd warf der Moderator als Gegenbeispiel ein: „Ich bin Deutscher und kein Jude“. Ein Blackout.

Generell lieferte Plasberg eine schlechte Performance ab, moderierte falsch und zu wenig. Ihm ging es vor allem um den Aspekt, warum Jugendliche aus Deutschland sich für Allah in die Luft sprengen. Obwohl er die Antwort bekam, dass labile Teenager in einer fanatischen Gemeinschaft plötzlich eine Identität finden und bereit sind, für das vermeintlich Gute um einen Platz im Paradies zu kämpfen, wiederholte er seine eine Frage nur anders formuliert in fast allen Abschnitten der Sendung.

"Ahmed hat nicht die gleichen Chancen wie Andreas"

Islam-Lehrerin Kaddor beleuchtete hingegen, dass viele Muslime auch mit deutscher Staatsbürgerschaft Diskriminierungserfahrungen in der Bundesrepublik machen. „Wenn jemand Ahmed heißt, hat er nicht die gleichen Chancen wie ein Andreas.“

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Auch Sheikh Hassan Dabbagh wollte mit Vorurteilen aufräumen und begann die Sendung mit Erzählungen, dass einem mit langem Bart längere Kontrollen am Flughafen erwarten und behauptete, dass in Deutschland mittlerweile eine pawlowsche Konditionierung stattgefunden hätte, wonach Leute bei Bomben und Terrorismus immer gleich an den Islam denken würden. Doch dann schlug Kienzles Stunde: „Nicht alle Salafisten sind Totschläger. Es gibt solche und solche. Friedliche, die so ins Paradies wollen, aber auch gewalttätige. Alle, die in den Krieg ziehen, haben mit Salafismus zu tun“, berichtete er. „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber die meisten Terroristen haben mit Salafismus zu tun.“

ARD-Einladung des Salafisten gilt als umstritten 
Punktete bei Plasberg: Volker Beck.
Punktete bei Plasberg: Volker Beck. © Karlheinz Schindler

Obwohl Sheikh Hassan Dabbagh ein Salafist ist, versuchte der Hass-Prediger aus Leipzig vergebens, diese Etikettierung während der Sendung abzuwehren. Nach einem Einspieler über die Muslimin Sounia Siahi, die in Düsseldorf von drei salafistischen „Halbstarken“ angesprochen wurde, sie solle doch ein Kopftuch tragen, wurde er ideologisch in die Enge getrieben. Dabbagh bestätigte nach einer Anmerkung des Reporters Kienzle, dass sein Weltbild es ihm verbiete, Frauen die Hand zu geben. „Das ist ein Problem für sie, weil sie keine Toleranz gelernt haben“, sprach er in die Runde und offenbarte somit eine Argumentationsweise, mit der Prediger wie er, Pierre Vogel und Sven Lau heutzutage versuchen, ihren Fanatismus mit Pluralismus zu tarnen.

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Die ARD-Einladung von Dabbagh gilt als umstritten. Natürlich können Debatten nur leben, wenn alle Positionen vertreten sind, allerdings wird Dabbagh auf Grund seiner fundamentalistischen Propaganda seit einer Weile nicht umsonst vom Verfassungsschutz beobachtet. Auch bei „Hart aber fair“ driftete er mit vielen fadenscheinigen Argumenten ins Abseits, selbst wenn der Imam sich von den „PR-Aktionen“ seiner Glaubensbrüder aus Wuppertal distanzierte. Die „Tagesthemen“ mit Caren Miosga begannen verspätet, weil sein irreführender Vergleich zwischen dem israelischen Militär und der Terrormiliz IS noch von Beck korrigiert werden musste.

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"Halbstarke Idioten in Warnwesten"

Bayerns Innenminister Herrmann verteidigte, dass nachdem „fünf Männekes“ (Plasberg) durch Wuppertal marschierten, eine nationale Salafismus-Debatte entstanden ist. „Immer wieder werden Versuche gestartet.“ Die „Scharia-Polizei“ bezeichnete er als „Test, wie weit man gehen kann“. Toleranz gegenüber Intoleranz gäbe es unter ihm nicht: „Wenn man sich Syrien anschaut, dann sind das handfeste Sicherheitsfragen. Salafisten wollen unsere Freiheit beschneiden. Wir müssen religiöse Sittenwächter ernst nehmen.“

Mehrmals punkten konnte Grünen-Politiker Beck mit seinen sachlichen Ausführungen. Das NRW-Innenministerium um Ralf Jäger habe richtig reagiert und die Aktivitäten der „Scharia-Polizei“ unterbunden. Bundespolitisch sprach Beck jedoch von einem „aufgescheuchten Hühnerhaufen“: „Fünf halbstarke Idioten nehmen sich eine Weste aus dem Kofferraum, kleben 'Scharia-Polizei' drauf und alle werden verrückt. Das sind doch jetzt die Helden in ihrer Szene. In diesem Drehbuch dürfen wir als verantwortliche Politiker nicht mitspielen. Wir müssen Härte zeigen und keine Ausnahme dulden, aber ansonsten Gelassenheit zeigen.“ Auch Herrman sah ein: „Viele Muslime sind normal integriert. Wir reden von einer Minderheit, die total radikalisiert ist.“

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Alarmbereitschaft angemessen?

Nahost-Experte Kienzle hingegen empfand die nationale Alarmbereitschaft als angemessen: „Die Einladung ins Paradies klingt toll für junge Leute. Leben wie im 7. Jahrhundert kombiniert mit moderner Technik, das ist Blutrausch mit Hightech. Das ist das Gefährliche am Salafismus: Es wird massakriert und dabei Allah gerufen. Das sind Vollidioten, die als Kanonenfutter benutzt werden.“

Während Volker Beck für mehr Sozialarbeiter plädierte, die „Demokratie vermitteln“, sah Kienzle andere Personen in der Pflicht: „Die Immame müssen helfen. Die Salafisten sind auf dem Vormarsch und erobern mehr Köpfe. Die sind die Gefahr. Nicht mehr Polizisten, sondern mehr Theologen können helfen.“