Berlin. Wer in einem Gefangenlager Nordkoreas eingesperrt wird, hat kaum Chancen, jemals wieder dort herauszukommen. Einer hat es dennoch geschafft: Shin Dong-hyuk. In der Arte-Dokumentation “Camp 14 - Total Control Zone“ spricht er über das Leben im Lager, die Qualen, die Todesangst.
Als erstes fällt Shin Dong-hyuk eine öffentliche Hinrichtung ein. Er steht mit fünf Jahren neben seiner Mutter im "Camp 14" und hält ihre Hand. Strafgefangene stehen vor ihm mit verbundenen Augen, Schüsse fallen, Shin zittert. Auch nach fast 30 Jahren lässt ihn das Bild nicht los. Aus seiner frühesten Erinnerung ist ein Trauma geworden. Shin ist ein Überlebender aus dem Gulag Nordkoreas. Er wurde 1982 im "Camp 14" geboren, dort wuchs er auf, zwischen Zellen, Folterkammern und Stacheldraht. Und dennoch: Shin ist das Kind eines Wunders.
Denn als wohl einziger Gefangener ist ihm die Flucht aus "Camp 14" gelungen. Mit 22 Jahren klettert er durch den Elektrozaun - über den Rücken eines Mithäftlings hinweg, der kurz davor durch einen Stromschlag gestorben war. Der leblose Körper bleibt am Zaun hängen. Was Shin später in der Freiheit berichtet, lässt Südkoreas Geheimdienst zweifeln. Wochenlang wird er verhört und an den Lügendetektor angeschlossen. Dann steht fest: Shin erzählt die Wahrheit.
Ein Protokoll der Unmenschlichkeit
Einige Jahre später kauert der schmächtige Mann auf dem Boden seiner Wohnung in Seoul vor der Kamera von Marc Wiese. Wieder berichtet Shin über das Leben im Lager, die Qualen, die Todesangst. An diesem Mittwoch (5. März, 20.15 Uhr) kommt das Schicksal von Shin Dong-hyuk, eines Kronzeugen gegen das System der Straflager in Nordkorea, ins Fernsehen. Der Kulturkanal Arte zeigt Weises auf mehreren Festivals ausgezeichnete Dokumentation "Camp 14 - Total Control Zone".
Wieses Film ist ein Protokoll der Unmenschlichkeit und zugleich ein Zeugnis des Überlebenswillens. Wer einmal in einer Todesstätte Nordkoreas eingesperrt wird, hat kaum Chancen, wieder dort herauszukommen.
Bis zu seiner Flucht aus dem Lager etwa 80 Kilometer nördlich von Pjöngjang hatte Shin von der Welt außerhalb keine Ahnung. Seine Eltern haben sich im Lager kennengelernt, dort ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen. Shin wusste nicht, dass es Geld gibt, vom Staatsgründer Kim Il-sung oder seinem Sohn Kim Jong-il hatte er nie etwas gehört. Doch er war neugierig. Von einem Mitgefangenen habe er gehört, dass es draußen Fleisch gebe und dass man sich von Reis satt essen kann. Das einzige Fleisch, das Shin kannte, war das der Ratten, die seine Eltern ab und zu erwischten und im Zimmer grillten. Tagein, tagaus bekam er wie alle Häftlinge nur Maispampe vorgesetzt.
Hinrichtungen mit Sonderration Fleisch und Alkohol belohnt
In Wieses 100-Minuten-Produktion muss Shin immer wieder abbrechen. Die Stimme stockt, wenn er berichtet, dass er seine Mutter und seinen Bruder verraten habe - in der Hoffnung auf eine Extra-Portion Essen. Er glaube, dass sein Bruder, der Zwangsarbeiter in der Zementfabrik des Lagers ist, flüchten wolle, erzählt er seinem Lehrer. Shin wird sofort festgenommen und kommt sieben Monate in Isolationshaft. Dort wird er brutal gefoltert. Am Tag seiner Freilassung wird er direkt zur Hinrichtung seiner Mutter und seines Bruder gefahren.
Für seine Dokumentation hat Wiese auch zwei Angehörige von Nordkoreas Terrorsystem interviewt. Hyuk Kwon war bis zu seiner Flucht Kommandant der Wärter im Camp 22, Oh Yang-nam Mitarbeiter des Gemeindienstes. Sie berichten fast regungslos, wie sie Gefangene quälten oder Frauen schwängerten und dann erschießen ließen. Für eine Hinrichtung gab es Sonderration Fleisch und Alkohol.
Das Lagersystem Nordkoreas besteht nach wie vor. Wiese öffnet den Blick auf eine Welt, die schaudern lässt, in der ein Menschenleben nichts wert ist. In einem jüngsten Bericht der Vereinten Nationen haben Experten dem Diktator Kim Jong-un eine persönliche Schuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegeben. Die Bevölkerung werde absichtlich ausgehungert und in Arbeitslagern gefoltert. Das Regime streitet alles ab. (dpa)