Potsdam/Berlin. Neid, Misstrauen, Druck und Zukunftsangst beim Polizeiruf 110 aus Brandenburg. Ihr vierter Fall “Vor aller Augen“ führt Kommissarin Lenski und Kollege Krause in eine Werft, die ums Überleben kämpft. Anstand und Moral können dabei schnell auf der Strecke bleiben.
Cooler Gang, zielgerichteter Blick: Seite an Seite schreiten Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) und Polizeihauptmeister Horst Krause (Horst Krause) durch den Staub der Westernstadt. Auch wenn der Colt im Halfter bleibt - scharf geschossen wird durchaus in der neuen Folge der Krimireihe "Polizeiruf 110" aus Brandenburg.
Neid, Missgunst, Verzweiflung und Unbarmherzigkeit bestimmen die Atmosphäre des vierten Falls des Ermittler-Duos, den die ARD an diesem Sonntag (5.5, 20.15 Uhr) ausstrahlt. "Vor aller Augen" aus der Feder von Grimme-Preisträger Bernd Böhlich ist ein ruhiger Krimi mit beeindruckender Bildersprache - und beklemmender Kälte.
Auf Firmenchefin mit Diabetes wird Mordanschlag verübt
Es sind Bilder, die sich einprägen: Eiskalt blickt Geschäftsführerin Michaela Stolze (Catherine Flemming) in die Kamera. Scheinbar ohne Furcht stellt sie sich im Westernsaloon einem Messerwerfer.
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Angestachelt von Sekretärin Petra Weingart (Daniela Hoffmann) drängen die Kollegen laut johlend den eingeschüchterten Werftleiter Jens Petzold (Sven Lehmann), sich der Mutprobe zu stellen. Szenen eines Motivationstrainings der Bootswerft Stolze in einer Westernstadt.
Nicht nur diese Idee der neuen Geschäftsführerin stößt bei der Mannschaft auf Ablehnung. Statt eines neuen Wir-Gefühls führen die Gräben in Abgründe. Michaela Stolze bricht am Morgen nach der Party im Saloon zusammen - nackt. Sie leidet seit mehreren Jahren an starkem Diabetes und muss sich regelmäßig mit Insulin versorgen. Doch hat sie wirklich vergessen, ihr Medikament zu nehmen? Der Arzt glaubt nicht daran.
Klima aus Misstrauen, Angst und Neid
"Sheriff" Lenski und "Chief" Krause - inzwischen bestens aufeinander eingespielt - stoßen bei ihren Ermittlungen zwischen Westernsaloon und Unternehmen auf ein Klima aus Misstrauen, Angst und Neid.
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Der Werft geht es schlecht und Stolze führt ein strenges Regiment, um dringend notwendige Veränderungen durchzusetzen - was auch bei ihrem Vater und Vorgänger (Otto Sander) auf Ablehnung stößt.
Während die Chefin in der Klinik um ihr Leben kämpft, wird sie Opfer eines Mordanschlags. Ein hochprozentiges, giftiges Lösungsmittel wird in die Infusion der Kranken geschüttet. Ein Motiv hätten vor allem Werftleiter Petzold oder Konstrukteur Gisbert Franke (Martin Feifel). Aber auch Stolze Senior gerät in Verdacht.
Eine Geschichte von Enttäuschten und Verlierern
Autor und Regisseur Böhlich erzählt in seinem zehnten "Polizeiruf 110" die Geschichte von Enttäuschten und Verlierern. Dabei wählt der zweifache Grimme-Preisträger ("Landschaft mit Dornen", "Polizeiruf 110: Totes Gleis") einen eigenwilligen, teils skurrilen Weg. "Vor aller Augen" lebt weniger von Spannung, erst recht nicht von Action - was teils zu Längen führt.
Die Bilder und Charaktere beeindrucken jedoch. Sie erzählen von Zukunftsängsten, Strukturwandel, Gewinnstreben - und wie Moral, Anstand und Mitgefühl darunter leiden. Dabei versteht es Böhlich, die Geschichten über Menschen in enger Verbindung mit den Landschaften zu erzählen - in diesem Fall beispielsweise der Uckermark in Brandenburg. Das direkte Zusammenspiel der pragmatischen Lenski und dem bedächtigen Krause kommt dabei jedoch fast zu kurz. (dpa)