Bochum. Fußball in der Kneipe gucken – das gibt es schon ewig. Seit einiger Zeit zeigen Wirte nicht nur Kicker, sondern auch Kommissare bei der Arbeit. Endlich wieder ein neuer Tatort. DerWesten hat mit anderen Krimi-Fans in einer Bochumer Kneipe geguckt.

Die leeren Teller stehen vor den Gästen, die Biergläser sind fast ausgetrunken. Doch vom Personal ist nichts zu sehen. Was auf den ersten Blick wie schlechter Service aussieht, ist sonntagabends in der Bochumer Kneipe „Ebstein“ völlig normal.

Eine Kellnerin, die ständig durch den Raum läuft, würde jetzt nur stören, denn Sonntagabend ist Tatort-Abend. Rund 25 Gäste kommen jede Woche, um hier gemeinsam den Krimi im Ersten zu verfolgen, jetzt sind es nur zehn Leute. „Das liegt am guten Wetter“, sagt Wirtin Britta Maar.

Besonders Singles suchen die Tatort-Gemeinschaft

Seit zwei Jahren gibt es den Tatort-Abend im „Ebstein“, entstanden ist die Idee durch Gespräche am Tresen. „Wir haben gemerkt, dass viele Menschen, insbesondere Singles, keine Lust haben, abends allein vor dem Fernseher zu sitzen“, erzählt Maar, „da haben wir beschlossen, den Tatort-Abend einzuführen.“ Eine Kneipe in Berlin, die Tatort-Abende schon länger anbietet, hat sie inspiriert.

Gegen 20 Uhr füllt sich der Raum langsam. Die ersten Gäste sind die Studentin Annika Prinz und ihre Freundinnen. „Gibt es heute keinen Tatort?“, fragt Annika – noch deutet bis auf den in einer Ecke stehenden Beamer nichts daraufhin, dass hier gleich gemeinsam Fernsehen geguckt wird. "Doch, sogar einen Kölner Tatort", beruhigt Maar sie. Annika und ihre Freundinnen machen es sich auf der alten Couch an der Wand gemütlich. Die meisten Gäste sind jung, älter als 35 ist keiner. „Viele Studenten treffen sich hier, nachdem sie das Wochenende zu Hause verbracht haben“, sagt Maar. Rund 70 Prozent der Gäste seien Stammkunden.

Früher mit den Eltern geguckt, heute in der Kneipe

Wie oft sie schon hier gewesen ist, kann Annika nicht mehr zählen. „Früher bei meinen Eltern hatten wir nur die ersten drei Fernsehprogramme. Da gehörte sonntagabends der Tatort einfach immer dazu“, erzählt sie. Und weil sie heute in ihrer WG nur einen kleinen Fernseher hat, kommt sie gern ins „Ebstein“.

Ähnlich geht es Sonja Kapica. Als sie noch in Bochum studierte, war sie regelmäßig zum Tatort in der Kneipe. Jetzt lebt sie in Hagen, deshalb schafft sie es nicht mehr jede Woche. „Aber immer, wenn es möglich ist, bin ich hier.“

Fester Bestandteil des Fernsehabends in der Bochumer Kneipe ist das „Tatort-Gedeck“: Currywurst, Pommes mit Mayo und Ketchup, dazu ein Bier. „Sonst gibt es bei uns nur frische Sachen“, erklärt Maar, „die Pommes machen wir nur sonntags.“ Und so stehen auch vor den meisten Gästen Teller mit den Resten des „Gedecks“.

"Unsere Gäste nehmen den Tatort sehr ernst"

Gegen zehn nach acht wird der Beamer aufgebaut, die Gäste verfolgen die letzten Minuten der Tagesschau mit mäßigem Interesse. Doch mit Einsetzen der Titelmelodie verstummen die Gespräche. Nur die Musik aus dem Schankraum nebenan schallt noch hinein. Schnell steht eine der Zuschauerinnen auf und schließt die Tür. „Unterhaltungen während des Tatorts gibt es nicht“, sagt Maar, „unsere Gäste nehmen das sehr ernst.“

Und tatsächlich – in den nächsten anderthalb Stunden wird kaum gesprochen, höchstens leise geflüstert. Während die Kommissare Ballauf und Schenk in einem Mordfall ermitteln, ist nur das Klimpern von Besteck auf den Tellern ist zu hören. Die Ehefrau eines Chefarztes wurde erstochen, der Professor selbst schwerverletzt. In Verdacht geraten der Kompagnon des Mediziners und ein Oberarzt, der ein Verhältnis mit dem Opfer hatte. Die Gäste im Ebstein beobachten die Ermittlungen ungestört: Keine Bedienung erscheint und wer zur Toilette muss, taucht vorsichtig unter dem Lichtschein des Beamers hindurch.

„Die Gäste bestellen sich vor Beginn des Krimis extra ein großes Getränk, damit sie zwischendurch nicht aufstehen oder bestellen müssen“, erzählt Maar. „Das würde mich auch wahnsinnig machen, wenn da jemand dazwischen quatscht“, sagt Annika.

Gäste haben keine Lust auf Ratespiele

Auf gemeinsame Ratespiele, in denen die Gäste ihre Spürnase für den wahren Mörder unter Beweis stellen können, verzichtet die Wirtin deshalb ganz bewusst: „Wir haben festgestellt, dass die Leute herkommen, um beim Fernsehen die Seele baumeln zu lassen“, beschreibt sie ihre Erfahrung, „auf Action haben die meisten gar keine Lust.“

Die 33-Jährige ist selbst leidenschaftlicher Tatort-Fan, doch an den Fernsehabenden in ihrer Kneipe kann sie nicht teilnehmen. Sie steht hinter der Theke stehen und bedient die übrigen, nicht krimibegeisterten Gäste. „Ich guck mir nachts die Wiederholungen an“, sagt sie. Das wissen ihre Gäste und sprechen nach der Sendung am Tresen nicht über die Handlung - wer der Mörder ist, soll Britta Maar mit eigenen Augen sehen.