Essen. Adenauer ist längst Geschichte, längst Legende geworden. Werner Biermann zeichnet in seinem Doku-Drama das Leben des ersten deutschen Kanzlers nach. Er mischt Spielszenen und Archivmaterial, dreht an Original-Schauplätzen und lässt Historiker wie Zeitzeugen zu Wort kommen.

Er ist 57, als er zu dieser Geburtstagsfeier in sein wunderbares Haus im Kölner Stadtteil Lindenthal lädt. Die Größen der Stadt sind versammelt, huldigen ihm, dem erfolgreichen Oberbürgermeister, „um den uns alle beneiden“, setzen ihm gar einen exquisiten Ford vor die Tür. Adenauer, so scheint es an diesem Tag im Januar 1933, ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Und trotz der desolaten politischen Lage zeigt er sich optimistisch. Möge Hitler doch an die Macht kommen, der sei „spätestens nach sechs Monaten am Ende!“

Es sollte bekanntlich anders kommen, auch für Konrad Adenauer, der selbst nur knapp dem Konzentrationslager entging. Heutige Generationen erinnern sich vor allem an dieses eine Bild von ihm, den hageren, älteren Herrn mit Hut und rheinischem Tonfall, der gern Boccia spielte am Comer See.

Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, ist längst Geschichte, längst Legende geworden. Wie er wurde, was er war, ist kaum noch präsent. Der Grimme-Preisträger Werner Biermann spürt ihn in seinem Doku-Drama „Stunden der Entscheidung“ (Arte, 31. Juli, 20.15 Uhr; ARD, 5. August, 21.45 Uhr) auf, den privaten Adenauer wie den Machtmenschen.

Ein sehenswerter Film

Biermann mischt Spielszenen und Archivmaterial, dreht an Original-Schauplätzen und lässt Historiker wie Zeitzeugen zu Wort kommen, Adenauers Kinder Libet und Georg, seine Sekretärin Hannelore Siegel. Im Stile des Filmregisseurs Heinrich Breloers („Die Manns“, „Speer und er“) begleitet er Adenauer durch die Jahrzehnte, durch Höhen und Tiefen seines Lebens. Ein sehenswerter Film.

Biermann zeigt ihn von jenem Moment an, als die Nationalsozialisten ihm sein Amt als Oberbürgermeister nehmen über seine Gefangennahme durch die Gestapo, die ihn mit dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung bringt bis hin zu seinem politischen Aufstieg zum ersten Kanzler der Bundesrepublik. Ein leidenschaftliches, ein engagiertes Leben. Aber auch ein wohl kalkuliertes. Mit dem katholischen Widerstand zusammenzuarbeiten lehnt er ab, es scheint Adenauer nicht erfolgversprechend. Lieber tüftelt er in diesen Jahren vor sich hin, erfindet beleuchtete Stopfeier und andere Kuriositäten.

Familienmensch mit politischer Durchsetzungsfähigkeit

Joachim Bissmeier, der eigentlich mehr auf der Theaterbühne zu Hause ist, zeichnet Adenauer als Mann mit außerordentlichem Rückgrat. Ein in sich ruhender Familienmensch, der gleichzeitig über herausragende politische Durchsetzungsfähigkeit verfügt. Einzig, dass Bissmeiers Adenauer ein wenig zu weich geraten scheint. Das wird vor allem dann deutlich, wenn Archivmaterial eingeblendet wird. Geradezu schneidend wirkt Adenauers Stimme dann am Rednerpult des Bundestags.

Spannend auch das Verhältnis zu seinem Antipart Spiegel-Chef Rudolf Augstein, charmant dargestellt von Johannes Zirner. Bei aller Aversion gegenüber Adenauer, bei aller Feindschaft, schreibt der Jahre später: „Er war der größte Politiker, dem ich je begegnet bin.“