Dorsten. . Kämmerer Hubert Große-Ruiken erklärt, warum sparen richtig ist. Auch wenn’s weh tut

Kämmerer Hubert Große-Ruiken hat turbulente sechs Monate hinter sich. Das Sparpaket, das mit vielen Zumutungen für die Bürger die Stadtkasse sanieren soll, trägt seine Handschrift. Im WAZ-Gespräch erklärt er, warum an Einsparungen und Steuererhöhungen kein Weg vorbei führt. Warum die Diskussion darüber noch Jahre andauern wird. Und was die Situation in Dorsten mit der europäischen Schuldenkrise zu tun hat.

Weniger Leistungen, höhere Steuern und Kosten: Damit sind die Bürger nicht zufrieden.

Hubert Große-Ruiken: Ja, aber es wird oft nicht verstanden, warum wir das überhaupt machen. Es wird Zeit, sich um die Schulden zu kümmern. Aber das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Uns ist doch jahrelang vorgeworfen worden, dass wir es nicht tun. Es gibt immer drei Möglichkeiten, öffentliche Leistungen zu finanzieren: 1. Mehr Einnahmen. 2. Weniger ausgeben. 3. Kredite aufnehmen. Möglichkeit drei tut am wenigsten weh. Aber dieser Weg ist jetzt zu Ende. Und das ist auch richtig. Wir müssen diese Kurve abschneiden. Das ist der Kern. Wir müssen uns von den Krediten lösen und zurück auf einen soliden Kurs ohne neue Kredite finden.

Trotzdem: Das Sparpaket ist hart für die Dorstener . . .

Aber wenn wir das Ruder jetzt nicht herum reißen, müssen unsere Enkel dreifach bezahlen: Die laufenden Kosten, den demografischen Wandel – wir werden ja alle älter – und unsere Schulden. Ohne den gesetzlichen Zwang durch den Stärkungspakt Stadtfinanzen hätten wir dieses Sparpaket niemals auf den Weg bekommen. Niemand hätte den Mut gehabt. Und der Zeitpunkt jetzt war auch richtig. Vor den Bundestagswahlen 2013 und den Kommunalwahlen 2014 hätten wir so eine Diskussion gar nicht führen können. Und die Krise der Staatsschulden hat die Diskussion auch erleichtert. Die Bereitschaft zum Sparen ist größer geworden. Auch in der Bevölkerung.

Warum haben Sie die Grundsteuer in diesem Jahr auf 600 % Hebesatz erhöht und wollen erst im nächsten Jahr auf 825 % gehen? Sollen die Schritte die Härte verschleiern?

Nein. Ohne die Erhöhung in diesem Jahr hätten wir schon das erste Sparziel nicht erreicht. Und sofort und volle Pulle rückwirkend auf 825 % zu erhöhen – das wäre nicht vertretbar gewesen.

Was jetzt beschlossen wurde – reicht das, um die Sparziele zu erfüllen? Bleibt es bei 825 % Grundsteuer?

Das will ich hoffen. Aber Prognosen sind natürlich keine Wahrheiten und darum sind wir da sehr vorsichtig. Soviel können wir heute sagen: Weil sich die Rahmendaten wie die Steuerschätzung zu unseren Gunsten verändert haben, konnten wir mit einer bewusst konservativ gehaltenen Prognose Risiken aus der Kalkulation heraus lassen. Für das Erreichen der Sparziele des Gesetzes müssen wir nicht auf eine höhere Schuldenhilfe des Landes oder sinkende Kreis- und Verbandsumlagen spekulieren, was die Kommunalaufsicht ohnehin nicht akzeptiert hätte. Wir müssten nach den Vorgaben des Gesetzes auch 2013 noch nicht auf 825 % Grundsteuer gehen. Aber dann würden wir Zinslasten auf die Zukunft verschieben und nach 2015 auf über 825% Grundsteuer hinausschießen. Und weniger Zinsen sind auch ein Beitrag zur Sanierung. Das wird am Ende ein Selbstläufer. Und man muss auch bedenken, dass die Zeiten wieder schlechter werden können. Dann ist es gut, wenn es Reserven gibt, ohne später erneut, aber dann noch heftiger an der Steuerschraube drehen zu müssen.

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Das heißt, das Sparpaket trägt Dorsten in die Zukunft?

Es gibt Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Wenn es im Herbst zu einer Staatspleite in Griechenland kommt mit den gleichen Folgen wie die Lehmann-Pleite 2008 – dann haben wir ein Problem. Dann sinken die Einnahmen, dann steigen die Transferleistungen und die Zinsen. Dann kommen wir mit der Konsolidierung nicht klar. Aber dann steht der ganze Stärkungspakt auf dem Prüfstand.

Kritiker sagen, dem Dorstener Sparpaket fehlt die Vision . . .

Visionen finde ich wichtig. Aber Visionen benötigen ein Konzept. Dafür braucht es Zeit. Und die hatten wir nicht. Die Politik hat mit dem Haushaltssanierungsplan eine Strukturkommission beschlossen. Sie muss sagen, wo Dorsten bis 2021 hin will, dafür Weichen stellen und politische Mehrheiten finden. Einige Themen sind schon auf dem Weg: Ein Sportstättenkonzept, eine Planung für unsere Spielplätze, wie gehen wir um mit Grünflächen und Straßen. Und die Diskussion über unsere künftige Schullandschaft ist weit gediehen.

Uns scheint die Reaktion aufs Sparpaket bisher insgesamt sehr zurückhaltend . . .

Nachdem wir vor zwei Wochen die Bescheide über die Erhöhung der Grundsteuer verschickt haben, hab’ ich mit mehr Protest gerechnet. In den letzten Wochen habe ich keine persönlichen Angriffe erlebt. Nicht von Bürgern, nicht aus dem Rathaus, nicht in der Politik. Die Diskussionen waren immer sehr sachlich und das fand’ ich gut. Ich hab’ eher die Reaktion bekommen: Der Kämmerer ist das ärmste Schwein in ganz Dorsten . . .

Das Sparpaket beinhaltet ja viel mehr. Neulich hab’ ich eine zugewucherte Verkehrsinsel gesehen und mich gefragt: Ist das noch Schlamperei oder schon Sparpaket . . . ?

Wahrscheinlich beides. Aber ernsthaft: Die Bürger werden noch einiges spüren. Ich weiß nicht, ob die Lembecker schon realisiert haben, dass ab August der Schulbus durch die Bauernschaften nicht mehr fährt. Am Unterhalt unserer Straßen sparen wir schon seit Jahren und werden das weiter tun. Ja. Das ist ein Problem. Aber wenn wir die Unterhaltsleistungen erhöhen, müssen wir auch die Steuern erhöhen. Wenn die Stadt etwas bezahlt, bezahlt es immer auch der Bürger. Vielleicht ein anderer Bürger. Aber letztlich zahlt immer der Bürger.

Der Zusammenhang zwischen Ausgaben und Einnahmen hat früher selten eine Rolle gespielt . . .

Aber den Mechanismus werden wir ab jetzt immer haben. Wenn wir mehr ausgeben, müssen wir auch mehr sparen. Wenn neue Belastungen kommen, müssen wir immer sofort sagen: Wo soll das Geld dafür herkommen. Wir werden in den nächsten Jahren eine permanente Spardiskussion erleben.

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Kritisiert wird, das Sparpaket sei nicht ausgewogen. Mit höheren Grundsteuern und Kita-Gebühren treffe es vor allem junge, bürgerliche Familien . . .

Es trifft die Bürger unterschiedlich. Das lässt sich nicht vermeiden und liegt an der Struktur der jeweiligen Aufgabe. Aber ich halte das Konzept trotzdem für ausgewogen. Wir haben bei der internen Diskussion zuerst geguckt, wo wir Geld sparen können und erst dann über höhere Kosten für Bürger gesprochen. Gegen die Grundsteuer wird es sicher Klagen geben. Aber ich glaube nicht, dass die Erfolg haben.

Gibt’s Widerstände an anderer Stelle?

Bisher nicht. Aber es gibt Gerüchte. Zum Beispiel, dass wir das Benzin für Feuerwehrautos rationieren. Aber das ist natürlich Unsinn.