Köln. Zwei Kandidaten kämpften in dieser 9. DSDS-Staffel um den Sieg. Konkurrenten schienen Luca und Daniele aber nicht zu sein – aneinander geklammert warten sie im Finale auf die Entscheidung. Als Luca gewinnt, ist er überfordert – und muss doch sofort wieder singen. Wer das Finale gesehen hat, hat mit dem Sieger vor allem eines: Mitleid.

Daniele und Luca, 16 und 17 Jahre alt, stehen auf der grell ausgeleuchteten RTL-Bühne, fest aneinander geklammert. Goldenes Glitzerpapier regnet auf die beiden hinab, die Fans jubeln, die Bässe wummern, Moderator Marco Schreyl schreit irgendeinen Blödsinn.

Vor ein paar Sekunden hat Schreyl verkündet, dass Luca – mit knapp 53 Prozent der Stimmen – das Telefon-Voting für sich entschieden hat und sich also nun „Superstar 2012“ nennen darf. Alle Kameras sind auf die beiden kleinen Jungen gerichtet, Luca sieht aus, als würde er gleich losheulen, Daniele steht irgendwie unter Schock, sein Gesicht ist unbeweglich.

„So ein armes Schwein“ – der Gewinner bekommt Mitleid

„Kannst du reden?“ wird Luca gefragt. Er wehrt ab. „Kannst du singen?“ Die ersten Töne des „Gewinner-Songs“ sind schon zu hören. Die Show muss weitergehen. „So ein armes Schwein“ sagt einer der Zuschauer vor dem Fernseher und alle im Raum nicken zustimmend.

„Superstar“ Luca heult sich also durch seinen großen Triumph, ein von Dieter Bohlen geschriebenes Lied, das so langweilig ist, dass man es sofort wieder vergisst. Daniele steht dahinter auf der Bühne und heult ebenfalls. Natürlich sind die Kameras ganz nah dran.

Verheizen nennt man das, was RTL mit den Möchtegern-Stars macht.

Verheizen nennt man das, was RTL mit den Möchtegern-Stars macht. „Süß oder lieber scharf?“ „Cool oder hot?“ hatten die beiden Finalisten den „Fernsehnationalfeiertag“ (Schreyl) eingeläutet, in dem sie, einander dauernd fest umarmend, um den Sieg in der neunten DSDS-Staffel kämpften. Keiner, der diese Show je gewonnen hat, ist wirklich erfolgreich geworden – doch an diesem Abend tun alle so, als glaubten sie, hier stünde eine Weltkarriere auf dem Spiel.

Unterstützt von extremen Showeinlagen, Feuer, Lichteffekten und lautem Herzklopfen singen die beiden Kandidaten an diesem Abend um den Titel. In zwei Cover-Versionen versuchen sie, die Jury aus Bruce Darnell, Natalie Horler und Dieter Bohlen noch einmal zu überzeugen – und ernten wie üblich Lobeshymnen.

Der Gegensatz „süß gegen rockig“ wird ewig ausgebreitet

Der Gegensatz – Daniele ist eher rockig und rebellisch, Luca bedient das Schmusesänger-Klischee – wird endlos ausgebreitet. Die verschiedenen Auftritte bei DSDS, die kurze Lebensgeschichte der Kandidaten, die stolzen Familien – all das wird gezeigt, die Botschaft: Wir sind Luca und Daniele ganz nah, die beiden Menschen stehen im Mittelpunkt unserer Sendung.

Tatsächlich dürfte wohl kaum etwas weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die jungen Menschen auf der Bühne sind den Machern der Show so dermaßen egal, dass sie einem leidtun. Wenn Dieter Bohlen lässig erzählt, wie krank und käsebleich die beiden letzte Woche bei ihm im Studio aufgekreuzt sind, um den Song aufzunehmen, zeigt das nur, dass sie „alles geben“ – einer der wichtigsten Werte bei DSDS.

Wichtig sind die Emotionen. Was immer das heißen mag.

Ebenso wichtig: Die Gefühle. „Deine große Stärke sind die Emotionen“ wird Luca immer wieder gesagt, die rüberzubringen ist das große Ziel. Dass der Schweizer einen Großteil der Töne nicht trifft ist daher „nicht so wichtig“ (Natalie Horler). Nach diversen Oben-Ohne-Fotoshootings für alle möglichen Teenie-Zeitschriften im Land und unzähligen Reisebussen voll kreischender Mädchen steht für die Jury fest: Luca kann Platten verkaufen.

Und so lobt Dieter Bohlen mit Dollarzeichen in den Augen, den Schweizer über den grünen Klee („Kolumbus hat Amerika entdeckt. Die Zuschauer haben dich entdeckt“). Die echten Zuschauer auf Twitter sind allerdings eher genervt – denn besonders gut singt Luca an diesem Abend nicht.

Beide Finalisten bekommen ein Auto geschenkt

Gerade beim Duett mit Daniele – sie singen, aneinander geklammert, „Almost Lover“ von Fine Frenzy – schneidet er eher schwach ab. Auch der Sieger-Song, das Lied, das man sofort vergisst, wirkt bei Daniele etwas stärker. Gegen Ende bekommen beide Finalisten dann noch ein Auto geschenkt. Mit riesigen Autoschlüsseln springen sie über die Bühne, extrem darauf bedacht, das Logo des Herstellers möglichst oft in die Kamera zu halten. Und auch bei Marco Schreyl scheint die Kasse zu klingeln, wann immer er den Namen der Firma in den Mund nimmt.

Dann läuft noch einmal die große Emotionsmaschine an. Herzklopfen, Musik und Licht sollen alle auch den letzten bewegen, anzurufen und die halbe Million Preisgeld, die der Sieger erhält, wieder in die Kasse zu bringen. Und das funktioniert. Zwei Männer Mitte 20, die DSDS davor noch nie gesehen haben, zücken kurz vor Schluss ihre Handys. „Krass, wie die dein Gehirn waschen“ kommentieren sie den Anruf zehn Minuten später.

Luca muss sich mit dem Singen beeilen – um elf muss er die Bühne verlassen

Endlich, das Ergebnis. Daniele, der für die Casting-Show sogar seine Lehrstelle abgebrochen hat und, mit dem Ziel „Superstar“ vor Augen, etwas Ordnung in sein Leben bringen konnte, stolpert weinend über die Bühne, während Luca sich mit dem Singen beeilen muss. Nach 23 Uhr darf der minderjährige Schweizer schließlich nicht mehr auf der Bühne stehen.

Ansonsten aber scheint RTL so ziemlich alles mit den Kandidaten machen zu dürfen. „Wahrscheinlich hat er Glück, dass er's nicht geworden ist“, sagt einer über Daniele, dann gehen die Lichter aus.

Dieter Bohlens Sprüche

Die besten Sprüche von Dieter Bohlen aus der aktuellen DSDS-Staffel auf RTL:

"Für mich bist du im Finale - so im finalen Endstadium."

"Man merkt, dass du Musik liebst. Aber das ist eine einseitige Liebe."

"Das war eigentlich fast perfekt, wenn der Gesang nicht wäre." (zu Kandidat Christian Schöne)

"Wenn ich jetzt ein 18-jähriger Junge gewesen wäre, hätte ich mich jetzt verliebt." (zu Kandidatin Fabienne Rothe)

"Ich finde schon, dass du besonders bist irgendwie. Also, gesanglich besonders schlecht."

"Ganz viele können nicht singen, deshalb finde ich auch, ihr solltet nicht traurig sein. Ich hab ganz viele Eichhörnchen im Garten - keins von denen kann singen."

"Du bist ein Lichtblick für die Augen, aber für die Ohren das Grauen."

"Wir beide sind die Dinosaurier von DSDS." (zum jährlichen Dauergast Menderes Bagci)

"Du gehörst zu der Abteilung musikalischer Bildschirmschoner. Da passiert nix."

"Bist du eine Qualle im Baldriantee, die um ihr Leben quaddelt?"

"Der Poptitan ist oben in der Stratosphäre." (Bohlens Antwort auf die Frage, wo er selbst musikalisch steht)

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