Essen. Für alle, die allein wegen Charlotte Roche in den Spartensender ZDF.Kultur und die neue Talkshow „Roche & Böhmermann“ gezappt hatten, muss die Sendung eine Enttäuschung gewesen sein. Denn: Den Takt gibt ihr Partner vor. Wer trotzdem bis zum Schluss dran blieb, wurde mit kalkuliert schonungslosem Unterhaltungsfernsehen belohnt.
Es gibt im öffentlich-rechtlichen Abendfernsehen Talkshows, da kommen Gäste, die eingeladen werden, weil sie einen neuen Film, eine neue CD oder ein neues Buch präsentieren wollen, und die die Einladung aus demselben Grund annehmen. Da werden Einspielfilmchen gezeigt, die dem Schauspieler, Sänger oder Alt-Politiker Honig um den Bart schmieren und Fragen gestellt, die in ihrer Harmlosigkeit im besten Fall langweilig sind.
Und es gibt seit Sonntag „Roche & Böhmermann“, eine Sendung, die antritt, das Talkfernsehen zu revolutionieren und – das ist das Überraschende – der das zumindest im letzten Drittel tatsächlich gelingt. Das hat viel mit Jan Böhmermann zu tun, den der aufmerksame Zuschauer bereits als Reporter im Ensemble von Harald Schmidt kennt, und relativ wenig mit Charlotte Roche, die für viele Leute vermutlich der eigentliche Grund war, sich am Sonntagabend in den Spartenkanal ZDF.Kultur zu verirren.
Doch die Bestsellerautorin ist zu Beginn sichtlich unlocker. Seit ihrem missglückten Moderationsversuch vor zwei Jahren bei „3 nach 9“ (NDR), hat sie nicht mehr regelmäßig durch eine Fernsehsendung geführt.
Unverschämte Einspielfilme und Selbstironie
Das Konzept des neuen Talks ist schnell erklärt. Roche und Böhmermann laden Gäste ein, sitzen mit ihnen im Kreis und unterhalten sich. Am Tisch versammelt sind bei der Premiere Rapper Sido, Noch-Piratenpartei-Geschäftsführerin Marina Weisband, Türsteher-Legende Sven Marquardt, Laufsteg-Coach Jorge Gonzalez und Sat.1-Talkerin Britt Hagedorn. Die Gäste dürfen trinken und rauchen, so wie früher im Fernsehen, als alles besser war, auch das Fernsehen, wie Roche und Böhmermann finden. Bei einer Runde Nichtraucher (der ein oder andere Gast gönnt sich allenfalls mal eine „Sportzigarette“) eine relativ witzlose Idee.
Viel besser sind da die Einspielfilmchen, mit denen die Gäste einander und dem Publikum vorgestellt werden. Die sonore Ansager-Stimme erlaubt sich eine Unverschämtheit nach der nächsten – und das Erfreuliche ist: Die Prominenz zeigt Selbstironie. „Ich muss gleich weinen“, meint Sido, dessen Streifen ihn mit vielen komplizierten Worten als Rapper beschreibt, der Musik für dumme Teenager macht, die keines dieser komplizierten Worte verstanden hätten. Beleidigen kann das die Sido-Hörer nicht. Genauso wenig wie Britt-Fans, witzelt Böhmermann. Weil sie es nicht mitbekommen: „ZDF-Kultur ist bei denen auf der 78 programmiert, noch hinter Astro-TV und QVC Plus.“
Böhmermann provoziert, Roche beruhigt
Ohnehin ist für die Lacher Böhmermann zuständig, Roche mehr für die charmante Besänftigung der Gäste, wenn ihr Kollege zu arg ausgeteilt hat. Böhmermann ist auf Krawall gebürstet – und das im besten Sinne. Er will provozieren. Funktionieren kann sein Humor bei Zuschauern, die mit einer ähnlich intellektuellen Arroganz aufs Fernsehgeschäft schauen wie er. Alle anderen schalten aber vermutlich eh nicht ein.
Oder für wen sonst hat man Marquardt eingeladen, den sagenumwobenen Rausschmeißer des Berliner Technoclubs „Berghain", wenn nicht für die urbanen und kulturbewussten Partygänger unter den Fernsehzuschauern, die selbst mindestens schon einmal bangen mussten, an „der härtesten Tür Deutschlands“ abgewiesen zu werden. Zugegeben, inzwischen kennt sogar Britt das "Berghain", im „Stern“ hat sie davon gelesen. „Wenn das schon im Stern besprochen wird, kann man da doch nicht mehr hingehen, oder?“ fragt jedoch Böhmermann – sein Zielpublikum stets im Blick.
Abrechnung mit dem privaten Schmuddelfernsehen
Jorge Gonzalez, homosexueller Laufsteg-Trainer bei Heidi Klums Model-Casting, ist diplomierter Agrarökologe, wie sein Einspieler weiß. Ob er denn Ökostrom beziehe, will das Moderatoren-Duo wissen und richtet die Frage auch an Sido. Weil der sich allerdings weigert, seiner von Böhmermann zugeschriebenen Vorbildfunktion für die Jugend nachzukommen (nämlich zu lügen, dass er „na sicher“ Ökostrom nutzt), wird kurzerhand „zurückgespult“. Die Aufzeichnung wird angehalten und läuft zurück, bis Böhmermann Roche statt Sido nach ihrem Stromvertrag fragt. „Ich beziehe Ökostrom von Greenpeace“, kokettiert die Moderatorin. Sido unterbricht sie: „Die haben gerade die Sendung angehalten.“
In einem weniger wörtlichen Sinn ist das Gegenteil passiert: Zum ersten Mal nimmt die Sendung Fahrt auf. Roche und Böhmermann harmonieren und der vermeintliche „Rapper für die dummen Kids“ schaltet erstaunlich schnell.
Warum es sich wirklich gelohnt hat, den Anarcho-Talk zu sehen, folgt allerdings danach. Böhmermann gegen Britt – eine Abrechnung mit dem privaten Schmuddelfernsehen. Und das, nachdem Britt brav zu Protokoll gegeben hatte, wie „angenehm“ sie die Sendung bisher fand.
Böhmermann spult die Sendung zurück
Wie man denn als Fernsehmacher guten Gewissens adipöse Menschen mit schlechten Zähnen „am Rande der geistigen Behinderung“ in einer Flirtsendung verheizen könne, will Böhmermann wissen und meint dabei das von Britt moderierte Format „Schwer verliebt“. Die Sat.1-Quotenfrau weiß gar nicht wie ihr geschieht. Vier Stunden habe er sich nach der Show unter die Dusche stellen müssen, weil er es nicht ertragen habe, sagt Böhmermann.
Sie „steige gerne in die natürliche Materie des Seins ein“, faselt Britt unbeholfen und gibt sich als Anwältin der schlecht Sozialversicherten. „Die haben nicht alle das Glück, dass sie Eltern haben, die sie jedes halbe Jahr zur Kariesvorsorge schicken.“ Und überhaupt: Vorgeführt werde niemand. Das verbitte sie sich, sagt Britt. Beim Rest der Runde herrscht betretenes Schweigen.
Böhmermann lässt erneut die Sendung zurückspulen. Er habe sich geirrt, sagt er. Und dann „Ein ganz großes Lob an die Sendung 'Schwer verliebt'. Danke dass du hier bist, Britt Hagedorn.“ Leider sei jetzt keine Zeit mehr, sich nett zu unterhalten.
Einen so entlarvenden Moment hat lange keine Talksendung mehr geboten.