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Bei Anne Will ging es am Sonntag heiß her: Oskar Lafontaine und Rainer Brüderle stritten leidenschaftlich über den Kommunismus-Begriff, Brüderle geriet unter Beschuss für den von ihm hochgelobten Aufschwung. Am Ende blieben viele Fragen offen.
„Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Mit ihrer Äußerung zum Kommunismus hat die Vorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, eine politische Debatte ausgelöst, die die Gemüter deutschlandweit fast so sehr zu erhitzen scheint wie einst die Auseinandersetzung über das umstrittene Buch von Thilo Sarrazin.
Um Lötzschs Gedankenspiele ging es auch bei Anne Will am Sonntag in der ARD. „Wirtschaftsboom und Jobwunder – wer träumt da noch vom Kommunismus?“, damit war die Sendung überschrieben. Konkrete Antworten auf die großen Fragen zur wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands konnte diese Runde allerdings nicht bieten – zu sehr erging man sich in ausufernden parteipolitischen und persönlichen Zankereien.
Lafontaine für Gemeinschaftseigentum
Dabei hatte die Diskussion noch recht sachlich angefangen. Ein von der Kommunismus-Debatte sichtlich genervter Oskar Lafontaine, ehemaliger Vorsitzender der Linken, wandte sich gegen die Vorwürfe, seine Partei wolle den Kommunismus einführen. Stattdessen beschwor Lafontaine den Begriff des demokratischen Sozialismus herauf, bei dem beispielsweise Energieversorgung und das Bankensystem in Gemeinschaftseigentum übergehen sollen – für ihn die Lösung aller Probleme. „Ich prognostiziere, wenn wir Privatleuten das Geldsystem überlassen, wird es zu großen Verwerfungen kommen“, sagte Lafontaine. „Das Gemeinschaftseigentum führt aus der jetzigen Sackgasse heraus.“
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hielt dagegen. Der Kommunismus als Lösungsweg sei „immer zu einem Desaster geworden.“ Brüderle fand es unentschuldbar, dass Gesine Lötzsch diesen Begriff in die Diskussion eingebracht habe, denn der Kommunismus sei „im deutschen Erleben mit viel Negativem verbunden“.
Genau an diesem Aspekt hängte Oskar Lafontaine eine leidenschaftliche Erwiderung auf. Er forderte eine sachbezogenere Diskussion, als sie derzeit geführt werde. Dieser Begriff werde zu stark mit Geschichte aufgeladen. Und immerhin hätten auch andere politische Richtungen eine Vergangenheit. „Die Väter des Liberalismus waren Sklavenhalter“, sagte Lafontaine in Richtung Brüderles und nahm damit Bezug auf die Ursprünge der amerikanischen Nation. Trotzdem werde der Liberalismus nicht als Sklavenideologie verunglimpft.
Regisseurin wollte Stimme der Vernunft spielen
Lafontaines Einschätzung zur Art der aktuellen Diskussion schloss sich die Filmemacherin Aelrun Goette an, die offenbar inmitten dieses politischen Gezänks die Stimme der Vernunft spielen wollte. Sie habe ebenfalls das Gefühl, die Kommunismus-Debatte werde nur als Plattform für parteipolitische Querelen genutzt.
Stattdessen könne man sie zum Anlass nehmen, um über Deutschlands Zukunft nachzudenken. „Die Situation in diesem Land ist für einen Großteil der Bevölkerung desolat und die Politik findet keine Antwort darauf.“ Bei ihrer Arbeit sei sie auf hoffnungslose Menschen gestoßen, die am unteren Rand der Bevölkerung in Armut lebten und keine Chance sehen würden, dem zu entfliehen.
An diesem Punkt holte Anne Will den Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge von der Universität Köln hinzu. Butterwegge stürzte sich sofort verbal auf Rainer Brüderle und zerpflückte dessen Wirtschaftsstatistiken, die den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland unterstreichen sollten. Der Rest der Sendung artete beinahe in ein exklusives Streitgespräch zwischen diesen beiden Parteien aus, da es Anne Will nur schwer gelang, Butterwegge in seinen wilden Tiraden zu bremsen.
Immer wieder kam der Politikwissenschaftler auf die Schere zurück, die die Gesellschaft in eine reiche Minderheit und eine arme Mehrheit spalte. Und daran habe auch der Wirtschaftsaufschwung nichts verändert, im Gegenteil. „Die Börsen und die Schuldnerberatungsstellen boomen.“ Eine glänzende Vorlage für Oskar Lafontaine, die dieser sich nicht entgehen ließ: Deutschland sei keine Demokratie, sagte der Politiker, denn hier würde nicht die Mehrheit vom Aufschwung profitieren. „Das wollen wir ändern.“
Das Mantra des Bundeswirtschaftsministers
Brüderle blieb gelassen und verwies beinahe herablassend und oberlehrerhaft auf die komplizierten Mechanismen in einer Volkswirtschaft. Zuerst seien die Exporterlöse gestiegen, das wirke sich auf Investitionen aus, daraus würden mehr Jobs entstehen und schließlich auch die Löhne steigen. Es gehe eben immer nur Schritt für Schritt voran. Und immerhin sei Deutschland besser aus der Krise herausgekommen als fast alle anderen Länder. „Freuen Sie sich doch mal einen kleinen Moment“, fügte Brüderle hinzu – ein Satz, den er die ganze Sendung über wie ein Mantra wiederholte.
Seine implizite Lösung für Menschen an der Armutsgrenze: Abwarten und auf die Mechanismen der Wirtschaft vertrauen. Denn immerhin seien derzeit so viele Arbeitnehmer in Lohn und Brot wie schon lange nicht mehr. Und das wichtigste Ziel sei doch die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Da platzte Christoph Butterwegge der Kragen. Wie bereits mehrere Male zuvor fiel er Brüderle heftig und gestenreich ins Wort. Genauso hätte auch Alfred Hugenberg argumentiert, der 1933 erster Wirtschaftsminister unter Adolf Hitler gewesen sei. Und Brüderle feuerte zurück: „Sind Sie so intolerant, dass man nicht mal einen Satz sagen darf, und wenn, dann wird man mit einem Nazi verglichen?“
Frische Ideen sind gefragt
Am Ende der Sendung blieben für den Zuschauer etliche Fragen offen. Welches ist denn nun das richtige System für unsere moderne Gesellschaft in den Nachwehen der Wirtschaftskrise? Kapitalismus, soziale Marktwirtschaft, demokratischer Sozialismus, Kommunismus? Und wie verhalten sich die glänzenden Wirtschaftsdaten zu der stetig wachsenden Zahl an Menschen, die ins ökonomische Abseits geraten? Ist auch für sie eine Verbesserung in Sicht?
Einfache Antworten darauf wird es wohl nicht geben, denn so unkompliziert und vorhersehbar, wie Minister Brüderle die Wirtschaft darstellt, funktioniert sie eben nicht. Schon gar nicht, wenn man an den globalen Markt denkt. Um die Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft in den Griff zu bekommen, sind frische Ideen gefragt.
Doch statt den Kommunismus aus der historischen Mottenkiste zu holen und mit dem Schreckgespenst einer neuen Krise der Finanzmärkte zu drohen, falls bestimmte Wirtschaftssektoren nicht in Gemeinschaftseigentum übergehen, sollte sich die Linke lieber mit den anderen Fraktionen zusammensetzen und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Denn, um mit Rainer Brüderles Worten zu sprechen: „Wir sind das Land, wir alle sind Deutschland.“