Essen. Erfolgreich sucht Deutschland immer wieder seinen Superstar, seinen tollsten Koch, sein Topmodel. Wir bräuchten aber einen zweiten Obama, meint das ZDF und castet darum nun einen Kanzlerkandidaten.
Eine Castingshow als Köder: Im Superwahljahr 2009 versucht es das ZDF mit einer Lehrstunde in Demokratie. In einer Sendung namens „Ich kann Kanzler” werden ab 19. Juni eloquente Führungspersönlichkeiten gesucht, eine Art Rettungspaket zu Zeiten allgemeiner Politikverdrossenheit. 1200 junge Leute zwischen 18 und 35 Jahren haben sich bereits beworben, am 27. März endet die Bewerbungsfrist. Sie können gewinnen: Das Monatsgehalt einer Kanzlerin. Das sind 16 000 Euro.
Telegen Möhren knabbern
Stellen wir uns also vor: Man könnte die Auserwählten in Armani-Anzüge stecken und Promifriseur Udo Walz würde sie föhnen! Sie könnten Knut in seinem Eisbärengehege und Kleinkinder bei einer Armenspeisung besuchen. Oder telegen Möhren knabbern und im „heute journal” die Vorteile einer rohkostreichen Ernährung darlegen.
Steffen Seibert, der tatsächlich eben jene Sendung moderiert, wird nun zum Kanzlermacher. „Im Idealfall könnte die Sendung bei jungen Leuten eine Begeisterung für gesellschaftpolitisches Engagement auslösen”, meint er. „Ich bin überzeugt, dass es das gibt, mehr als die meisten meinen.”
Zuschauer verloren
Diese Hinwendung zur jugendlichen Zielgruppe passt in eine aktuelle Diskussion: Wird doch Chefredakteur Nikolaus Brender von unionsnahen Mitgliedern des ZDF-Verwaltungsrates dafür kritisiert, dass das Zweite mit seinen politischen Formaten nicht die berühmte werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreiche.
Tatsächlich hat die vielgelobte Nachrichtensendung „heute” weniger Einschaltquoten als die Tagesschau und „RTL aktuell”. Sogar die als Nachrichten verkauften Boulevard-Schnipsel von RTL II schalten mehr Leute ein. Auch einstige Aushängeschilder wie das „Auslandsjournal” oder „Berlin direkt” haben Zuschauer verloren.
Für Interesse sollen bei „Ich kann Kanzler” die Jury-Mitglieder sorgen. Die lustige Anke Engelke macht mit. Dann Günther Jauch, der Mann, den die Deutschen sowieso am liebsten als Bundeskanzler hätten. Und Bremens ehemaliger Bürgermeister Henning Scherf (SPD), der kürzlich „nachnominiert” wurde. Eigentlich warb das ZDF mit Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP).
Ehemalige Premierminister spielen Jury
„Ich kann Kanzler” orientiert sich an der Show „Canada's Next Prime Minister”, seit 2005 ein Dauerbrenner im kanadischen Fernsehen. Dort dürfen die ehemaligen Premierminister Jury spielen. Allerdings sank in vier Ausgaben das Interesse stetig, selbst die Zahl der Videobewerbungen ebbt deutlich ab.
Über mangelndes Interesse kann sich das ZDF nun nicht beklagen. 1200 Bewerber sind im Vergleich zu 21 000 Mädchen, die Germany's Next Topmodel” werden wollten, zwar relativ wenig. Aber es ist ja mehr gefragt als ein hübsches Köpfchen. So gesteht Steffen Seibert: „Ich glaub', ich könnte Kanzler nicht.”