München/Berlin. .
Stephanie zu Guttenbergs Sendung „Tatort Internet “ war so, wie es der Sendeplatz bei RTL II erwarten ließ: Das ernste Thema Kindesmissbrauch wurde effektheischend in Szene gesetzt.
Dass Stephanie zu Guttenberg neben der Arbeit mit ihrem Verein und einem Buch nun auch im Fernsehen gehen Kindesmissbrauch vorgeht, war nicht die eigentliche Überraschung. Wohl aber, dass die Frau des Verteidigungsministers sich dabei mit dem Privatsender RTL 2 zusammen getan hat - bekannt für Reportagen wie „Grenzenlos geil! - Deutschlands Sexsüchtige packen aus“. Diese Sendung wurde am Donnerstag aus gutem Grund kurzfristig aus dem Spätprogramm genommen. Denn zuvor startete zur Prime Time die erste Doppelfolge des neuen Formats „Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder“, mit dem RTL 2, Guttenberg und der ehemalige Hamburger Innensenator Udo Nagel Sexualtätern im Netz auf die Spur gehen.
Schnell war klar: Dem ernsten, traurigen und wichtigen Thema stand eine in weiten Teilen effektheischende Umsetzung entgegen. Dramatische Musik, Paukenschläge, schnelle Schnitte, versteckte Kameras, Bodyguards - all das wirkte unpassend und reißerisch.
In mehreren Fällen gab sich eine Journalistin, die sich bereits seit Jahren mit dem Thema befasst, als minderjähriges Mädchen in Internetchats aus, um „Online-Täter aufzuspüren“, wie es hieß. Schnell sei so etwa die angeblich 13-jährige „Julia“ kontaktiert worden. Teile des Chats mit „Catweazle22“, einem 45-Jährigen, und dessen eindeutig sexuelle Äußerungen wurden von den Filmemachern in Blitzgeschwindigkeit eingeblendet. Wo gechattet wurde und wie sich die Kontaktaufnahme genau abspielte, blieb unklar. Eltern, die sich mit dem Internet nicht auskennen, blieben also so schlau wie zuvor.
Mutmaßliche Täter unkenntlich gemacht
Bei einem vereinbarten Treffen mit der angeblich Minderjährigen tauchte dann ein Filmteam auf und konfrontierte die potenziellen Täter bei laufender Kamera mit den anzüglichen Chats. Als „Catweazle22“ sich zuvor mehrfach versicherte, ob „Julia“ wirklich allein zuhause sei, sagte Nagel im flapsigen Plauderton: „Der hat so viel Schiss, der muss echt heiß sein.“
Bei einem potenziellen Täter handelte es sich laut RTL 2 um einen Handwerker, ein anderes Mal um einen Gymnasiallehrer. Alle leugneten, dass sie tatsächlich sexuelle Handlungen mit den Mädchen im Sinn gehabt hätten, während die eingeblendeten Chats anderes befürchten ließen. Die Männer wurden unkenntlich gemacht, ihre Stimmen waren verzerrt.
Die Art, wie aber beispielsweise der Lehrer mitten in einem Restaurant vom Kamerateam und den immer präsenten Leibwächtern umringt und ihm angedroht wurde: „Es kommt für Sie noch schlimmer, Sie werden im Fernsehen erscheinen“, führte bizarrerweise dazu, dass der mutmaßliche Täter, der möglicherweise sogar Komplizen zu dem Treffen mitgebracht hatte, wie ein Opfer wirkte.
Aufgedeckte Fälle den Behörden gemeldet
Unverständlich ist vor diesem Hintergrund auch, dass ausgerechnet eine 13-Jährige, die Opfer eines sexuellen Übergriffs im Netz wurde, ihre Geschichte dem Filmteam erzählte, ohne unkenntlich gemacht zu werden. Bedrückend wirkten ihre Worte: „Ich spreche nicht mehr drüber, weil ich das nicht mag.“ Szenen, in denen andererseits Moderator Nagel mit Pfeife à la Sherlock Holmes eingeblendet wurde, wirkten eher ungewollt komisch.
Zwischen den Fällen, die den Angaben zufolge alle den Behörden gemeldet wurden, kommentierten Nagel und Guttenberg im Studio die Filme und kritisierten, dass es teilweise nicht zu einer Strafverfolgung gekommen sei. „Einer der wichtigsten Punkte wäre, dass der alleinige Versuch, in sexuellen Kontakt mit Kindern zu treten, strafbar wäre“, forderte Stephanie zu Guttenberg.
Deutliche Kritik an der Sendereihe war vor Ausstrahlung der ersten Folge bereits von den Grünen gekommen, die die Gefahr eines „neuzeitlichen Prangers“ sahen. Es sei „keinem Kind geholfen, wenn versucht wird, die Quote mit Kinderleid zu steigern“, hieß es am Donnerstag.
Mit der Einschaltquote zum Auftakt zeigte sich RTL 2 jedenfalls „sehr zufrieden“. 1,34 Millionen Zuschauer ab drei Jahren schalteten ein (4,3 Prozent). Bei den 14- bis 49-Jährigen lag der Marktanteil bei 7,7 Prozent und damit über dem Senderschnitt, wie eine Sprecherin am Freitag sagte. Die weiteren Folgen von „Tatort Internet“ werden montags (20.15 Uhr) ausgestrahlt.