Köln. .

Kann Fernsehen Kunst sein? Gute Frage, fanden die Experten bei der Cologne Conference. Etwa David Simon: Seine Serie „The Wire“ gilt als eine der besten, die je produziert wurden. Das TV-Superhirn präsentierte auch sein jüngstes Baby, „Tremé“.

Kann Kultur eine Stadt nach einer Nahtoderfahrung wiederbeleben? David Simon ist davon überzeugt. Den Vorgang hat er im Nach-Katrina-New Orleans beobachtet, und er hat ihn in Szene gesetzt: „Tremé“ heißt die neue Fernseh-Serie des amerikanischen Autoren und Produzenten. Mittwochabend hatte sie Deutschland-Premiere bei der Cologne Conference, dem Festival für Fernsehen und Film, und vorher musste sich Simon diese Frage gefallen lassen: Ist das Kunst?

Für viele besteht daran nicht der geringste Zweifel, Simon hält sich eher fern von diesem Etikett. Im Werkstattgespräch an diesem Tag „Zwischen Warhol und „The Wire“ waren „Nähe und Distanz von Kunst und Fernsehen“ Thema. Und während der ehemalige Lokaljournalist aus Baltimore freimütig zugibt, sich bei den alten Griechen zu bedienen, wenn er seine harten TV-Dramen aus Menschlichem und Unmenschlichem, aus Korruption und Not und gesellschaftlichem Sumpf zusammenschmiedet, sagt er auch das: „Kunst und Handwerk gehören dazu. Obwohl ich nicht in solchen Kategorien denke – ich habe nie Film studiert.“

Das Leben von seiner schwärzesten Seite

David Simon (r.) im Gespräch mit Moderator Torsten Zorges. Foto: Monika Idems
David Simon (r.) im Gespräch mit Moderator Torsten Zorges. Foto: Monika Idems

Das Leben von seiner schwärzesten Seite hat er als Polizeireporter studiert. Hat erst Bücher drüber geschrieben, die dann zu Fernseh-Serien wurden, an denen er mitarbeitete, bis er eigene Mini-Serien entwickelte und schließlich den Zuschlag für „The Wire“ bekam. Zwei Jahre nach Ausstrahlung der letzten, der fünften Staffel, sprechen viele Kritiker davon, dass es vielleicht die beste Fernseh-Serie ist, die bisher produziert wurde. Und Simon klingt ein wenig bitter, wenn er erzählt, dass die Experten, die sie überhaupt bemerkten, als sie im Fernsehen lief, gerne mal das Urteil „Bullen-Serie mit schmutzigerer Sprache“ fällten.

Die ist allerdings so authentisch wie kunstvoll. Kunststück – Autoren wie Richard Price oder Dennis Lehane finden schließlich auch begeistertes Publikum, wenn ihre Worte zwischen Buchdeckeln erscheinen. Was sie – und Simon, und die anderen – schrieben, konnte allerdings nur auf einem Bezahl-Sender Seriengestalt annehmen, der sich nicht über Werbung finanzieren muss: „Wie soll man etwas Düsteres sagen, wenn man alle zwölf Minuten das Publikum dafür interessieren soll, Autos zu kaufen, oder iPods, oder Damenhygieneprodukte?“

Schwarze Popmusik - die einzige originäre Kuntform, die die USA hervorgebracht haben

David Simon am Set von „Tremé“ in New Orleans. Foto: ap
David Simon am Set von „Tremé“ in New Orleans. Foto: ap © AP

Das wäre wohl wirklich schwierig geworden. „The Wire“ – der Titel steht für das Abhör-Kabel, mit dem eine Sonderkommission aus strafversetzten Kripo-Leuten versucht, einen Drogenhändler zur Strecke zu bringen – beschäftigt sich mit den katastrophalen Folgen der massenhaften Drogenabhängigkeit, mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten, die sie befördern, mit den furchtbaren Zuständen im Schulsystem, mit Korruption und Unfähigkeit in der Politik und der Gleichgültigkeit der Medien, wenn schwarze, arme Menschen zu Grunde gehen.

Um schwarze Kultur, vor allem schwarze Musik geht es David Simon in seiner neuen urbanen Saga „Tremé“: In diesem Stadtteil von New Orleans spielt die Musik eine so große Rolle wie kaum irgendwo sonst, und sie sei, sagt das TV-Serien-Superhirn, zweierlei – der Weg dieser geschundenen Stadt aus dem Sumpf, den Hurricane Katrina noch viel tiefer werden ließ, als er vorher schon war. Und nichts weniger als die einzige originäre Kunstform, die die USA hervorgebracht hätten: Blues, Jazz, R’n’B oder HipHop – „die konnten nur dort unter diesen Umständen entstehen.“

Kunstvoll sind die ersten zehn Folgen um die Musiker und anderen Menschen geraten, die ihre Stadt nicht den Katastrophen-Behörden zum Kaputtbürokratisieren überlassen wollen, und der Sender hat eine zweite Staffel bestellt. Ein großes Publikum erreicht Simon bislang nicht, obwohl schon die Musikszenen furchtbar verführerisch sind. Der 50-Jährige fürchtet, nicht alles erzählen zu können, was er zu sagen hat, bevor „Tremé“ abgesetzt wird – Produktion und Marketing für eine Staffel kosteten schließlich 35 Millionen Dollar. Kann das noch Kunst sein? Vielleicht funktioniert die Annäherung andersherum: Ist das, was Regie-Legende Scorsese macht, Kunst? Gerade ist in den USA auf HBO „Boardwalk Empire“ angelaufen, eine opulente Drama-Serie, die im organisierten Verbrechen der Prohibition spielt. Dafür gab’s großartige Kritiken. Regisseur der ersten Folge war Martin Scorsese.