Berlin. .
Kapituliert Deutschland vor dem Islam? Die Talksendung von Sandra Maischberger Dienstagnacht in der ARD arbeitete sich mit teils Gesichts-bekannten Gästen an den üblichen Stichworten ab. Am Ende blieb ein Plädoyer für Sachlichkeit.
Man nehme: Einen Titel mit vier aktuellen Reizwörtern: „Kopftuch oder Koran – hat Deutschland kapituliert?“ Darum ging es Dienstagnacht in der ARD-Talkshow „Menschen bei Maischberger“. Die Diskussion zu später Stunde verlief erwartungsgemäß teils ein bisschen chaotisch und mäßig spannend.
Zu Gast waren: Ein allseits vertrauter Erklärer der Welt, „Mister Islam“ Peter Scholl-Latour (86); ein ehemaliger Boxer aus Bonn, Pierre Vogel (32), der in Mekka den Koran studierte und seitdem Deutschlands Jugend zum Islam bekehren will; die Soziologin Irmgard Pinn aus Aachen, gleichfalls zum Islam konvertiert, die an diesem Abend kein Kopftuch trägt. Den Gegenpart hat der Journalist Udo Ulfkotte, der dafür plädiert, arbeitlose Muslime oder Ausländer überhaupt aus dem Land zu weisen, um so die Sozialausgaben zu senken; Fernsehpfarrer Jürgen Fliege (63) versucht zu versöhnen und setzt dem gern beschworenen „Kampf der Kulturen“ den Slogan entgegen: „Sind sie zu stark, sind wir zu schwach“.
Schließlich kommt später noch eine Frau in die Runde, die tatsächlich in einer muslimischen Familie aufgewachsen ist: Nourig Apfeld (38). Sie hat gerade ein Buch geschrieben über den „Ehrenmord“ an ihrer Schwester. Neun Jahre nach der Tat hatte sie den Mut, ihren Vater und zwei Cousins anzuzeigen; der Vater ist inzwischen verurteilt, sie selbst lebt im Versteck aus Furcht vor Racheakten der Familie.
Pfarrer Fliege gibt den Schlichter
Um eines ging es nicht in dieser Debatte: um Fakten. Als da wären: Rund 4 der 82 Millionen Menschen in Deutschland sind Muslime. Sie stammen aus 50 Ländern der Welt und fast jeder zweite (45 Prozent) von ihnen hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Nur gut jeder Dritte Muslim bezeichnet sich als „stark gläubig“.
Trotzdem: Das Zusammenleben von Muslimen und Christen in Deutschland und Europa, orakelte Ulfkotte, „wird auf Dauer nicht friedfertig ausgehen“. Vogel beteuerte dagegen selbstzufrieden, er wolle gar nicht ganz Deutschland unterwerfen, rufe in seinen Videos vielmehr dazu auf, nicht zum Selbstmordattentäter zu werden. Einmal sogar mit Erfolg.
Blass bleibt die Haltung seiner Glaubensschwester, die aber offenbar nicht viel von dem Prediger hält. „Wer ist Vogel? Wie repräsentativ ist er?“ sagt Irmgard Pinn, als der Mann mit dem roten Bart munter argumentiert, das islamische Recht sehe die Steinigung eben nicht nur für Ehebrecherinnen vor. „Das gilt für Männer genauso.“
Fliege ruft schließlich dazu auf: „Wir müssen raus aus der Opferrolle, nicht nur immer sagen: Hilfe, die Islamisten kommen.“ Einen „Kampf der Kulturen“ fürchtet er nicht. Erinnert daran, dass Katholiken und Protestanten in Deutschland sich ja auch erst seit wenigen Jahrzehnten friedlich begegnen. Zudem sollten Christen mehr Selbstbewusstsein gegenüber dem anderen Glauben entwickeln. Sein Tipp zum Frieden: „Reisen wir in die Türkei. Lernen wir zu differenzieren.“
„Ehrenmord“ - eine Folge archaischer Strukturen, nicht nur im Islam
Sehr differenziert ist der Blick von Nourig Apfeld, die den Vater nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer beschreibt: Ein Mann, der aus politischen Gründen mit seiner Familie aus Syrien flüchtete, dessen Asylantrag erst nach neun zermürbenden Jahren anerkannt wurde und „der hier keine Aufnahme erfahren hat. Er wollte arbeiten, seinen Beitrag leisten.“ Er durfte es nicht.
Die Töchter wuchsen zunächst frei auf wie deutsche Kinder, Sport und Schwimmunterricht inklusive. Später erst, sagt Apfeld heute, habe sich der Vater zunehmend auf die Familie und die strengen Gesetze der Heimat bezogen. Habe schließlich die 17-jährige Tochter erdrosselt, die sich gegen eine Zwangsverheiratung gewehrt hatte.
Sind „Ehrenmorde“ eine islamische Spezialität? Nein, sind sich Scholl-Latour, Pinn, Flieg und Apfeld einig: Die Tötung von Frauen, die sich der strengen Hierarchie der Gemeinschaft widersetzen, gebe es auch in Indien oder im gesamten Mittelmeerraum. „Sie ist nicht islamisch, sondern ergibt sich aus archaischen Strukturen“, so Scholl-Latour. Auch Vogel beteuert: „Ich bin der größte Feind der Ehrenmorde. Die haben mit dem Islam nichts zu tun.“Antwortet aber nicht auf die Frage, ob er sich wünsche, die Scharia in Deutschland einzuführen.
Stichworte wie Toleranz und Burkaverbot, Koranverbrennung und Respekt vor dem Glauben der anderen oder die hohen Geburtenzahlen in Ländern wie Algerien, Irak oder der Türkei streift die Runde. Am Ende plädiert Nourig Apfeld für Ganztags-Kitas und Ganztagsschulen, in denen das Kopftuch nicht erlaubt ist, sowie schnellere Asylverfahren in Deutschland.
Hat Deutschland kapituliert vor Kopftuch und Koran? Die Frage bleibt nach 75 Minuten offen. Was nicht erstaunt und gut ist. Mutmaßlich ist ja bei irgendeinem Sender schon die nächste Plauderrunde zum Thema in Arbeit. Wir dürfen jetzt schon mal raten, wer dann dort sitzen wird…