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Thilo Sarrazin machte in der vergangenen Woche Quote. Am Mittwochabend gab Frank Plasberg also eine Zugabe. Das Thema Integration bekam bei „Hart aber fair“ im Praxistest glaubwürdige Gesichter. Dumm nur, dass der Gegner fehlte.

Sarrazin und Integration. Diese zwei Faktoren ziehen. Kaum eine Talk-Sendung kommt zurzeit ohne die beiden Stichwörter aus. Klar, Sarrazin hat die Diskussion über Integration mächtig aufgeheizt. Dementsprechend war „Hart aber fair“ in der vergangenen Woche ein großer Erfolg, schließlich war Thilo Sarrazin höchstpersönlich zu Gast. Die Redaktion verzeichnete nach eigenen Angaben 16 000 Einträge ins Gästebuch und 4000 Mails und Faxe, fünfmal so viel wie bei anderen Sendungen. Das schreit nach Zugabe. Und die gibt es am Mittwochabend unter dem Titel „Integration im Praxistest – wie viele Einwanderer verträgt Deutschland?“.

Sarrazins Buch ist der Anlass für die Sendung. Doch über „Deutschland schafft sich ab“ will heute keiner mehr sprechen – auch wenn die Mehrheit der „Hart aber fair“-Zuschauer in der vergangenen Woche Sarrazins Thesen zustimmten. Man wisse ja jetzt, was man von dem Werk zu halten habe, ist der Konsens der zweiten Talk-Runde. Dennoch: „Die Wirkung des Buches ist gut“, sagt Bundesinnenminister Thomas De Maizière. Endlich werde nachhaltig und niveauvoll über Integration diskutiert. „Gut, dass diese Multi-Kulti-Seeligkeit in Deutschland ein Ende hat“, sagt Journalist Peter Hahne. Danke, Thilo!

Glaubwürdige Gesichter

Nach der Theorie mit Sarrazin sollte also in dieser Sendung die Praxis folgen, Thesen sollten harte Fakten zur Hand bekommen und Integrationsgeschichten Gesichter. Dumm nur, dass ohne Thilo Sarrazin der Gegner fehlt. Und so diskutieren sich Frank Plasbergs Gäste durch ihre Einigkeit: Integration ist wichtig, es muss noch viel getan werden – aber es wird ja auch schon viel getan. Endlich darf darüber gesprochen werden, endlich auch ohne auf politische Korrektheit zu achten. Wie befreiend.

Gesprochen wird dann politisch korrekt. Schließlich ist auch Özlem Nas Teil der Runde. Und die betont: „Kriminalität ist ein Problem der Sozialisierung, nicht der Religion oder Herkunft. Diese ständige Ethnisierung ist nahezu unerträglich.“ Die Deutsch-Türkin trägt ein Kopftuch und spricht akzentfreies Deutsch. Das überzeugt.

Ein böser Junge mit Gang

Auch Alfred Harnischfeder soll passende Beispiele liefern. 40 Jahre lang arbeitete er als Lehrer, 26 davon als Leiter einer Integrierten Gesamtschule in Hessen. Er weiß, warum Integration in Schulen seine Lehrer fordert: Er berichtet von einer türkischen Schülerin, die Gewalt in der Familie ertragen musste; wie er mit Moscheevereinen verhandeln musste; wie schwierig das war; und wie das Mädchen alles gut überstanden hat. Er erzählt von einer Lehrerin, die von einem ausländischen Schüler beleidigt worden war. Ja, es hätte auch ein deutscher Schüler machen können. Ja, das Problem wurde durch Konfrontation mit dem Vater gelöst. Alfred Harnischfeder hat sich wirklich für seine Schüler und deren Integration eingesetzt.

Fadi Saad erzählt, dass er früher ein böser Junge war. Ein wirklich böser mit einer Gang. Der Sohn palästinensischer Eltern hat so lange andere verprügelt, bis er merkte, dass das wirklich weh tut. Und er hat so lange die Schule geschwänzt, Straftaten begangen und sich von Anwälten verteidigen lassen, bis er im achten Versuch dann doch im Knast landete. Dieser Aufenthalt öffnete ihm die Augen. „Ich wäre froh, wenn der Richter mich beim ersten Mal in den Knast geschickt hätte“, sagt er heute. Denn mittlerweile ist er Streetworker und „Quartiersmanager“ in Berlin-Reinickendorf, wo er niedrigschwellig Integration fördert. Und ja, er hat eine deutsche Frau.

„Der Abstand zwischen Vergehen und Sanktion ist viel zu lang“, pflichtet ihm Pädagoge Harnischfeder bei. Früh Grenzen zu setzen sei deutlich besser, stimmt auch Thomas De Maizière zu: „Gut, dass wir den Warnschussarrest auf den Weg gebracht haben.“ Das Schulterklopfen ist nahezu hörbar.

„Ich sehe nicht, was da getan wird.“

Dann ist also doch alles gut? Jugendrichter Günter Räcke findet, nein. Er arbeitet am Amtsgericht Berlin-Tiergarten, und weiß, dass Integration (oder Assimilation) auch ohne korrekte Definition in seinem Bezirk ein echtes Problem ist. Sein Problem ist nur, dass er das in der ersten Hälfte der Sendung nicht richtig auf den Punkt bringen kann. Später läuft er warm: „Wir erleben doch viele Jugendliche, die in gescheiterte Existenzen laufen. Ich sehe nicht, was da getan wird.“ Cut.

Zeit für einen Einspieler: Ein Arzt hängt in seiner Praxis einen Zettel auf. Er untersucht keine Frauen mehr ohne Kopftuch, setzt deutsche Sprachkenntnisse bei seinen Patienten voraus, behandelt keine islamistischen Familien mit mehr als sieben Kindern. Ein Aufreger? Günter Räcke lässt sich von Plasberg nicht ablenken: „Jetzt sollen wir uns wieder darüber aufregen, wie man so etwas machen kann. Doch darüber finden wir hier ja schnell Einigkeit. Damit kommen wir doch der Lösung kein Stück näher“, sagt der Jugendrichter. Was denn mit Schulschwänzerei sei? Was mit Kindergartenpflicht? Und sollte man versagenden Eltern nicht das Kindergeld streichen, wenn ihre Kinder eh grade hinter Gittern sitzen?

Die Runde zuckt kollektiv zusammen. Schnell kommt der Abschluss-Einspieler: Ein kleiner Junge sagt hinter seinen Brillengläsern: „Mein Vater ist Pole, meine Mutter ist Türkin, und ich bin Deutscher.“ Süß.