Berlin. Markus Lanz diskutierte mit seinen Gästen über härtere Strafen für sexuellen Missbrauch an Kindern. Die Gästeauswahl versprach Zoff.
„Wie kann es sein“, fragte Markus Lanz am Donnerstag wieder einmal schein-naiv und populistisch-provokant, „dass erst ein drittes Kind missbraucht werden muss, bevor ein zweimal zur Bewährung verurteilter Täter dahin kommt, wohin er gehört?“
Die Frage war rhetorisch gemeint. So zugespitzt fasste sie aber auch die Empörung zusammen, die seit Bekanntwerden eines neuen Pädophilen-Netzes vor anderthalb Wochen in Münster die Gemüter erhitzt. Dort wurde ein vollklimatisierter Serverraum entdeckt, bis zur Decke voll mit Kindergewaltpornos. Und als Betreiber eben jener genannte Wiederholungstäter identifiziert.
„Markus Lanz“ – Das waren die Gäste
- Christine Lambrecht (SPD), Bundesjustizministerin
- Rainer Becker, Polizeidirektor a. D. und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe
- Richard David Precht, Philosoph und Buchautor
- Chin Meyer, Kabarettist und Autor
Auch seine Gästewahl zu dem Thema versprach erst einmal Empörung, wenn nicht Zoff. Eingeladen waren unter anderem Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, der vor wenigen Tagen noch öffentlich den Rücktritt der Bundesjustizministerin gefordert hatte – weil sie daran festhielt, dass Kindesmissbrauch ein „Vergehen“ und nicht ein „Verbrechen“ sei. Und die Bundesministerin selbst, Christine Lambrecht, die bei „Markus Lanz“ nun Gelegenheit bekommen sollte, sich der Diskussion zu stellen.
„Markus Lanz“ zu sexuellem Missbrauch: Gäste sind sich einig
Getalkt wurde dann aber längst nicht so heiß. Die vermeintlichen Kontrahenten waren in der Sache weniger auseinander als erwartet, sich am Ende sogar vollkommen einig: „Es kann nicht sein, dass Täterschutz vor Kinderschutz geht“, bekräftigten beide.
Ein schwerer Missbrauchsfall: „Ich musste mit ihm in den Keller gehen“
Die ersten 50 Minuten von „Lanz“ gehörten jedenfalls beiden alleine – und wirkten wie eine Verlängerung von „Maybrit Illner“, die in ihrer Sendung unmittelbar davor zum gleichen Thema talken ließ. Anlass war – hier wie da – die „Aktuelle Stunde“ im Bundestag vom Nachmittag. Nächste Woche schon soll ein neues Gesetz zur effektiven Bekämpfung sexuellen Missbrauchs beraten werden. Lesen sie hier: Sexueller Missbrauch: Justizministerin will härtere Strafen
Sexueller Kindesmissbrauch in Deutschland: 43 neue Opfer pro Tag
„An jedem einzelnen Tag gibt es 43 neue Opfer, nur in unserem Land“, zitierte Markus Lanz die Statistik. Und nirgendwo auf der Welt würden so viele Bilder sexueller Gewalt an Kindern veröffentlicht: 90 Prozent aller pädosexuellen Websites liegen auf europäischen Servern.
Ein hoher Strafrahmen sei nicht entscheidend, erklärte Christine Lambrecht erneut und auch Rainer Becker gab ihr Recht. Ein Drittel der schweren Missbrauchsfälle würden in der Praxis bisher zur Bewährung ausgesetzt, weil eine Haftstrafe erst im Wiederholungsfall verhängt werden kann. „Das will ich jetzt ändern. Die Wiederholungen müssen raus.“ Lesen Sie hier: Höhere Strafen für Kindesmissbrauch: Das sagen Experten
Dass neue Gesetz soll aber mehr können, als nur aus einem „Vergehen“ ein „Verbrechen“ machen, wie es die Landesinnenminister und die Deutsche Kinderhilfe schon länger fordern. „Es ist ein Paket an Maßnahmen, dass vor allem auch die Prävention stärkt“.
Der Besitz von Kinderpornografie soll künftig als Verbrechen gelten
Schon der Besitz von Kinderpornografie-Material soll künftig als Verbrechen eingestuft werden. Provider werden verpflichtet, IP-Adressen und Ports der einschlägigen Websites selbstverpflichtend zu melden. Und Familienrichter wie Sozialarbeiter der Jugendämter werden zur Fortbildung verpflichtet, um ihre Sensibilität für die Kinder zu schärfen. „Man hätte auch in Münster früher eingreifen müssen“, erklärte die Ministerin.
Möglich, dass auch sein taubenblauer Anzug symbolisch mithalf, dass der Moderator diesmal nicht so aggressiv wirkte wie noch vor einer Woche, als er Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in die Mangel zu nehmen versuchte. Trotzdem insistierte Markus Lanz immer wieder, wie es zu dem Sinneswandel der Bundesjustizministerin gekommen sei.
Christine Lambrecht: Bundesjustizministerin verteidigt sich
„Ich war sehr betroffen von dem Vorwurf“, erklärte Christine Lambrecht. „Ich habe nur die Rechtslage beschrieben und gesagt: Ich prüfe. Und wir haben jetzt intensiv geprüft.“ Außerdem sei es nicht das erste, und auch nicht das letzte Gesetz zum Kindesmissbrauch, dass sie als Bundesjustizministerin auf den Weg bringe: „Wir haben im letzten Jahr unglaublich viel verändert.“
Der Übergang von dem heiklen Thema zu den anderen Gästen war nach diesem „Lanz“-Talk-Block entsprechend hart, erschien aber nicht allzu schwer. Denn regelrecht begeistert war Markus Lanz von dem neuen Essay-Buch von Richard David Precht über die Auswirkungen der Künstlicher Intelligenz auf das Leben.
Richard David Precht bei Lanz: Künstliche Intelligenz ist erstmal gut
KI sei erst einmal gut, befand der Philosoph, sie werde viele lästige Routinearbeiten ersetzen – bei Banken, Versicherungen, Verwaltungen. Künstliche Intelligenz könne besser lesen, besser hören, nur nicht fühlen. Und deshalb sei sie zu moralischen Entscheidungen nicht fähig, was Konsequenzen für unser Leben haben werde. „Wir sollten bei jeder Einführung überlegen, ob die Technologie glücksmehrend ist oder schädlich.“
Dazu gab Precht eine bittere Vision aus der schönen neuen Autowelt zum Besten: Was passiert, wenn alle Autos in den Innenstädten vollautomatisiert fahren? „Fußgänger und Radfahrer werden die mächtigsten Verkehrsteilnehmer“, erläuterte er. Und könnten – rein aus Spaß – den gesamten Verkehr lahmlegen. Um das zu verhindern, müssten „alle Teilnehmer per App überwacht werden“.
Coronavirus zum Schluss: Chin Meyer hat eine Idee
Mehr Lacher bei „Markus Lanz“ bekam nur Chin Meyer. Bei seinem letzten Auftritt vor Publikum am 12. März hatte der Comedian noch über das Coronavirus gewitzelt: „Lachen ist plötzlich ansteckend“. Nun, drei Monate später, versuchte er klar zu machen, wie bitter ernst die wirtschaftliche Situation für Kulturschaffende durch das Auftrittsverbot sei, das faktisch einem Berufsverbot gleichkomme.
Die 7,5 Millionen Menschen, die in Deutschland im Kulturbereich arbeiteten, würden zur Zeit jedenfalls ziemlich im Stich gelassen. Als Lösung lieferte er da einen unkonventionellen Vorschlag gleich mit: Die Lufthansa fliege doch jetzt wieder vollbesetzt, also könne sich das Virus im Flug nicht ausbreiten. „Da habe ich überlegt, wir müssen den Gesetzgeber verpflichten, auf jedem Flug eine Kulturveranstaltung zu machen.“
Das war lustig. Alle lachten. Und Christine Lambrecht versprach unter Lachtränen, die Idee in die Kabinettssitzung an diesem Freitag mitzunehmen.
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