Essen. 70 Tage vor der Bundestagswahl stellt sich Angela Merkel dem ARD-Sommerinterview im "Bericht aus Berlin" - live. Merkel trug angriffslustiges Rot - dabei waren die Fragen ohnehin ziemlich entgegenkommend. So konnte Merkel inhaltlich ungenau bleiben.

"Bericht aus Berlin"

Weitere Sendetermine der ARD-Sommerinterviews im „Bericht aus Berlin“, 18.30 Uhr:

26.07.2009: Cem Özdemir (Bündnis90/Die Grünen)

02.08.2009: Oskar Lafontaine (Linkspartei)

09.08.2009: Horst Seehofer (CSU)

16.08.2009: Guido Westerwelle (FDP)

23.08.2009: Frank-Walter Steinmeier (SPD)

70 Tage vor der Bundestagswahl machte es das Wetter der „Klimakanzlerin“ nicht leicht. Und weil der Witterungsgroschen weder auf die Sonnen- noch auf die Regenseite fallen wollte, verlegte die ARD nach langem Zögern schließlich ihr Sommerinterview mit Angela Merkel ins Hauptstadtstudio. Statt lauem Ferienidyll wehte also der Charme einer Arbeitssitzung.

Ebenfalls außerplanmäßig: Das Gespräch aus dieser Reihe im „Bericht aus Berlin“ wurde live ausgestrahlt. Die Kanzlerin habe es so gewollt, verriet vorab ARD-Journalist Ulrich Deppendorf im Gespräch mit DerWesten. Ein überraschender Schachzug der unlängst zur Medienkanzlerin gereiften Merkel, der „den Druck auf uns Interviewer erhöhen“ sollte, so Deppendorf.

Mal milde mal belustigt lächelnd

Da saßen sie nun: Angela Merkel in einem Blazer in angriffslustigem Rot in der Mitte, ihr Gegenüber - rechts und links - die Journalisten Ulrich Deppendorf und Rainald Becker in vom Anlass gebotenen unauffälligen Anzügen. Auffällig war hingegen, dass die drei derart eng zusammen saßen, ihre Fußspitzen hätten ein Tänzchen miteinander vollführen können. Wenn sie gewollt hätten. Wollten sie aber nicht, dazu war die Sache dann wohl doch zu ernst.

Stattdessen beantwortete die Kanzlerin, mal milde, mal belustigt lächelnd, die Fragen der Journalisten, die sie untenherum mit ihrer Fußspitze fast aufspießte. Offensichtlich im vorauseilenden Misstrauen, denn die Fragen waren, nun ja, respektvoll bis entgegenkommend. Zum Beispiel die von Rainald Becker: „Die Bilanz der Großen Koalition im Bund ist doch gar nicht so schlecht, warum diese nicht fortführen?“ Leichtes Spiel für die CDU-Politikerin, darauf ein: „Die Bilanz ist in der Tat sehr gut“, zu erwidern. Selbstredend der nachgeschobene Nebensatz, mit einer CDU-FDP Koalition wäre das Land noch besser dran.

Inhaltlich im Ungenauen

Selbst mit einem so müden Herbstgesicht, wie Merkel es im ARD-Sommerinterview nur zu bieten hatte, wirkt Helmut Kohls einstiges Mädchen souverän. Nicht nur, weil sie in Gesprächsrunden wie diesen aussprechen darf. (Deppendorf: „Den Redner unterbrechen, wird von den Zuschauern nicht goutiert, höchstens mit Waschkörben voller Beschwerdebriefen.“) Tatsache ist, dass die „Kanzlerin des Ungefähren“ inhaltlich im Ungenauen bleiben kann, weil sie es gelernt hat, mit Handbewegungen handfeste Argumente zu simulieren.

Bei den von Merkel in Aussicht gestellten und vom CSU-Seehofer populistisch-drängelnd geforderten Steuersenkungen, bleibt die Kanzlerin entschlossen Ungenau: 2010, 2011, 2000-irgendwann. Aber während sie sich um Kopf und Blazerkragen redet, macht ihre Handkante eine aufsteigende Bewegung, die sich dem Zuschauer mit der Botschaft ins Unterbewusstsein brennt: Es geht wieder aufwärts Deutschland.

Die Gesten sitzen, die Fragen nicht immer. Auch nicht diejenigen, die erstmals von der ARD-Redaktion aus den E-Mail-Zuschriften der Zuschauer rausgesiebt und an die Kanzlerin weitergeleitet wurden. Und da das Gespräch nur 19 Minuten dauerte, waren weder ein zweites Nachfragen möglich – noch das, was in der Politik so gern und oft Nachhaltigkeit genannt wird. Zurück blieb allein das Bild einer souverän im Umgang mit den Medien gewordenen Kanzlerin – sowie eine Angela Merkel, die aus irgendwelchen Gründen immer noch einige in unserer Republik unterschätzen.

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