Essen. Wie schmutzig ist unser Fußball?, fragt Günter Jauch zum Thema Fifa. Und ähnlich staunend-diffus wie die Frage klingt, benimmt sich die komplette ARD-Talkrunde.
Unser Fußball soll schmutzig sein, ja, genau: deiner und meiner, und der von Günter Jauch, und auch der von Politikerin Claudia Roth (Bündnis 90/Grüne), die schon seit einigen Jahren auch nicht mehr schweigen mag, wenn es um Fußball geht. Als so etwas wie das gute Volksgewissen sitzt sie neben Jauch, dem Fußball-Moderator Marcel Reif und dem Fifa-Experten der Öffentlich-Rechtlichen, Florian Bauer, dem ehemaligen Fifa-Pressechef Guido Tognoni und Alexander Koch, dem stellvertretender Leiter der Unternehmenskommunikation des Fußball-Weltverbandes Fifa – als Ersatz für Mediendirektor Walter de Gregorio, der kurzfristig absagte wegen einer frühen Strategie-Sitzung am Montag.
Fifa-Mann kontert in Jauch-Talk Anschuldigungen gegen Blatter
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Und sie wundert sich sehr, die Frau Roth, wie das alles sein kann und wieso niemand so empört ist wie sie: „Was hat das eigentlich noch mit Fußball zu tun? Geht es da nicht vielmehr nur noch um Macht und Geld?“
Ja, es geht um Macht und Geld im Weltfußball. Das weiß sie, das wissen alle, die dort sitzen. Und wer in den vergangenen Jahrzehnten nicht mit einer Augenbinde und Ohrenstöpseln in den Katakomben seines Lieblingsvereins gelebt hat, der weiß das auch. Die Fifa, das erklärt auch ein kleiner Einspieler, hat in den vergangenen vier Jahren 5,7 Milliarden Dollar eingenommen; sie machte dabei 340 Millionen Dollar Gewinn und Sepp Blatter ist nun zum fünften Mal zum Fifa-Präsidenten gewählt, trotz aller Unruhen der vergangenen Tage und Jahre.
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Koch bleibt sehr ruhig die ganze Zeit, als ihn die versammelte Mannschaft oft staunend-diffus konfrontiert, als Stellvertreter für das System Blatter. Er kontert die Vorwürfe – nicht sehr gut, er weicht aus, er präsentiert die selben weichgespülten Antworten, die seit Tagen zu vernehmen sind aus Zürich, seit am vergangenen Mittwoch sieben hochrangige Fifa-Funktionäre festgenommen wurden – wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit.
Aber die Gruppe macht es ihm leicht: Es sind die selben Fragen und Anschuldigungen, denen Blatter und die Fifa seit Jahren ausgesetzt sind, und die der Verband regelmäßig pariert – bis auf wenige Ausnahmen, als Bauer beispielsweise immer wieder nachbohrt, wer beim Weltverband die Zahlung von zehn Millionen Dollar aus dem südafrikanischen Verband an die Konföderation von Nord- und Mittelamerika unterzeichnet hat.
Sepp Blatter soll nicht für Katar bei Vergabe der WM 2022 gestimmt haben
Änderungen bei Vergabe von WM 2026
Für die nächste anstehende WM-Vergabe für das Jahr 2026, die erstmals vom FIFA-Kongress statt vom FIFA-Exekutivkomitee vorgenommen wird, kündigte Koch weitere einschneidende Änderungen an. Kriterien wie ökologische Verantwortung, Menschenrechte und Korruptionsindex sollen berücksichtigt werden. Am 11. Juni werde die FIFA diese Maßnahmen offiziell vorstellen. Die WM 2026 wird am 10. Mai 2017 beim Kongress in Kuala Lumpur vergeben. Bislang haben die USA, Kanada, Mexiko und Marokko ihr Interesse an der Ausrichtung bekundet. (dpa)
Dann nimmt Koch den Blatter-Kritikern noch etwas Wind aus den Segeln: Der wiedergewählte Fifa-Präsident habe bei der umstrittenen WM-Vergabe an Katar 2022 nicht für das Emirat gestimmt. Dem Vernehmen nach soll Blatter für den unterlegenen Bewerber USA gestimmt haben - das Abstimmungsverhalten der Mitglieder des Exekutivkomitees war nicht öffentlich.
Ansonsten schimpft Koch auf den europäischen Verband Uefa, der Reformen blockiere. Die Fifa begrüße die Verhaftungen, schließlich wolle sie solche Menschen auch nicht in ihren Reihen haben. Und er hält sich auch an das Argument, ein Verbandspräsident könne nicht alles über jedes Mitglied seines Verbandes wissen. „Sie wissen ja, dass Blatter für diese Personen genauso wenig Verantwortung hat, wie Sie“, sagt er. Wenn Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes DFB und auch Mitglied des Exekutivkomitees der Fifa, sich korrumpieren ließe in Deutschland, hieße das nicht, dass er das in seiner Eigenschaft als Mitglied des Komitees getan habe. Und Amerika ist nun einmal sehr weit weg. Sagt Koch.
Ein paar angenehm pragmatische Sätze fallen glücklicherweise an diesem Abend, zum Beispiel nach dieser kleinen Ansprache: Reif bemerkt trocken, „dann können wir das sofort an diesem Abend beenden. Wenn das wirklich so ist, dann brauchen wir die Fifa nicht“.
Und Tognoni seufzt irgendwann einmal sehr tief – er sitzt auch direkt neben Claudia Roth, die sehr verdienstvoll aber eben nur das immer wieder die schlechten Bedingungen der Arbeiter im WM-2022-Land Katar aufs Tableau bringt – und versucht, daran zu erinnern: „Es tun plötzlich alle so, als wenn das eine große Neuigkeit wäre. Ein Journalist namens Kistner (Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung) hat das alles vor zwei, drei Jahren schon in einem dicken Buch aufgeschrieben namens , Fifa-Mafia’.“
Marcel Reif hat keine Lösung für das "Problem Fifa" parat
Jauch moderiert zwischen den Einspielern – unter anderem ein Stück aus der ARD-Doku „Der verkaufte Fußball“ – höflich-schlaff durch die Stunde, fragt hin und wieder, wieso es bei der Fifa trotzdem immer so weitergeht wie vorher, aber bleibt im Grunde harmlos. Claudia Roth tut das Gleiche, auf ihre Art: „Warum ändert man das System nicht einfach, verdammt nochmal?!“ Fragen, die sich eignen, um eine Diskussion zu diesem Thema einzuleiten – nicht, um sie substanziell zu tragen. Die sinnvollsten Anmerkungen kommen von Kommentator Reif: Wenn ein Mann, der seit 1998 Fifa-Präsident ist, für die Kultur des Verbandes nicht verantwortlich ist, sagt er, „dann verstehe ich die Welt nicht mehr“. Doch auch er bohrt nicht in die Tiefe, auch er hat keine Lösungsideen.
Und der letzte Eindruck des Talks ist denn auch ein Dialog, der sich anfühlt wie eine Szene aus einer RTL-Donnerstagabendserie, nur mit weniger gut frisierten Menschen: Jauch (prüfend die Augen zusammenkneifend): „Wenn am Ende die WM in Katar stattfindet – Sie werden’s genauso vor dem Fernseher verfolgen, wie alle anderen...?“ Roth (sich bockig im Sessel zurücklehnend): „Ich gehe auf den Weihnachtsmarkt und trink Glühwein.“ Jauch (halb süffisant): „Das glaube ich so nicht ungesehen. Dann hört diese Sendung mit einer vergleichsweise kleinen Lüge auf.“
Was schöner für alle Beteiligten gewesen wäre: auf diesem Sendeplatz noch einmal die Dokumentation „Der verkaufte Fußball“ zeigen, oder deutsche Untertitel schreiben für den Beitrag der US-Sendung „Last Week Tonight“ zum Thema Fifa und WM. Für alle aus diesen Katakomben unter diesem Vereinsheim - vor allem, wenn sie dort freiwillig gewesen sind.