Essen. . Das Ende eines Show-Dinos, ein Tatort im Tarantino-Stil und einer neuer Bad Boy im deutschen Fernsehen. Der Rückblick auf das Fernsehjahr aus 2014.
Es ist verrückt.Seit 30 Jahren gibt es Privatfernsehen in Deutschland, und ausgerechnet im Jubiläumsjahr präsentiert es sich so schwach wie nie zuvor, quotentechnisch und, schlimmer noch, qualitativ. Daran ändert – sorry, ProSieben – auch der „Circus HalliGalli“ nicht viel.
Stattdessen beweisen die sonst so schwerfälligen Öffentlich-Rechtlichen durchaus die Kraft zur Erneuerung. Wobei auch sie immer wieder mal mit Pleiten, Pech und Peinlichkeiten auffallen, wie der unser Rückblick auf die zehn auffälligsten TV-Momente zeigt.
1. Peinliches Interview mit Samuel Koch
Das ZDF vereint in diesem Jahr Glanz und Elend so stark wie kein anderer Sender. Dass der Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen in Lanz gemessen werden kann, zeigte das peinliche Samuel-Koch-Interview beim Finale von „Wetten, dass..?“. Der Gastgeber wollte es „krachen lassen“, doch am Ende ging der Schuss nach hinten los.
Bleibt die Frage, was wäre aus der Show geworden, wenn der große Gottschalk von Joko und Klaas beerbt worden wäre? Vermutlich „Circus HalliGalli“. Wetten, dass..?
Stimmen zum Ende von "Wetten, dass..?"
2. Absurde Ranking Shows
Manchmal fällt nicht nur ein Einzelner böse auf, sondern gleich ein ganzes Genre. In diesem Jahr war's die Ranking-Show. Erst musste das Zweite zugeben, dass „Deutschlands Beste“ recht willkürlich zusammengestellt worden waren, dann kleckerten andere Sender hinter.
Die unbestrittene Nummer eins absurder Bestenlisten war das NRW-Talsperren-Ranking des WDR. Sonderlob für Kreativität!
3. Ein grandioser Tukur-Tatort
Apropos Kreativität. Ausgerechnet der kleine Hessische Rundfunk zeigte der Konkurrenz, wo Bartel den Most holt. Tukur, Tatort, Tarantino: „Im Schmerz geboren“ war grandios. Der Film zeigte, was aus Bertold Brecht hätte werden können, wenn er was von bewegten Bildern verstanden hätte.
Nicht der Leichenrekord des Wiesbaden-„Tatorts“ bleibt im Gedächtnis, sondern der raffinierte Mix von Fernsehen, Kino und epischem Theater. Und nebenher jubelte der 90-Minüter dem geneigten Publikum eine ordentliche Dröhnung Klassik unter.
4. Tatorte aus NRW
Auch die nordrhein-westfälischen „Tatorte“ schlugen sich wacker. Axel Prahl und Jan Josef Liefers feierten ihren 25. Fall; er war, wie der Titel schon sagte, „der Hammer“. Die beiden Schauspieler haben es geschafft, trotz der wundersamen Vermehrung der „Tatort“-Kommissariate unverkennbar zu bleiben.
Dasselbe darf auch dem Wüterich von Dortmund zu gute gehalten werden: Jörg Hartmann als Kommissar Faber. Tessa Mittelstaedt vom „Tatort“ Köln hingegen führte die Kunst des stilvollen Abgangs vor, indem sich ihre Figur Franziska im Knast als Geisel nehmen ließ. Der Film war im besten Sinn konventionell – und das heißt mörderspannend.
5. Cleverer Chef-Ermittler im ZDF
Das ZDF startete im Frühjahr eine Film-Offensive mit dem Versprechen, bereits samstags Krimis mit „Tatort“-Qualität zu zeigen. Am besten gelang es bisher dem schrägen Trio von „München Mord“, angeführt von Alexander Held, der als Chef-Ermittler seine Cleverness so gut versteckt wie Mafiosi ihr Schwarzgeld – und genau dadurch für seine Gegner zur Gefahr wird.
6. Galliger Humor bei "Die Schlikkerfrauen"
Und das Privatfernsehen? Hatte es dieses Jahr gar nichts zu bieten? Doch. „Die Schlikkerfrauen“ mischten bei Sat.1 das Genre Sozialfilm mit grellem, galligen Humor auf. Die Komödie überdrehte die Implosion des Schlecker-Imperiums zur Farce mit bonbon-buntem Look – und Katharina Thalbach tat mit Herz und Schnauze ein Übriges.
7. Bad Boy Böhmernann
In der Abteilung Lustig hat sich auch was getan. Den bösen Buben – quasi Gegenpart zu dem freundlich verspielten Jux-Duo Joko und Klaas – mimt Jan Böhmermann. Bei der allzu schnell abgesetzten RTL „Was wäre, wenn“ schluffte Bad Boy Böhmermann mit Hitler-Bärtchen Tage lang durch Köln – und kam zu der verblüffenden Erkenntnis, dass sich niemand daran störte.
In der Karneval-Metropole darf jeder Jeck anders sein, Provokation wird manchmal am effektivisten gestoppt durch Ignorieren. Ähnliche Späße erlaubt sich der ehemalige Harald-Schmidt-Schützling auch in seinem „Neo-Magazin“, und manchmal hat er einfach nur Sinn für Unsinn wie in der WDR-Comedy „Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von...“.
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8. Die "heute-show" wird immer besser
Vor nicht allzu langer Zeit gab es klare Grenzen zwischen Comedy und Kabarett. Comedy stand für junges Privatfernsehen mit Lifestyle-Klamauk, Kabarett indes für öffentlich-rechtliche Polit-Satire alter Schule. Inzwischen sind die Grenzen aufgeweicht – der „heute-show“ im ZDF sei Dank. Und wieder einmal hat es für einen Sender gelohnt, Geduld mit einem neuen Format zu haben. Oliver Welke & Co. sind im Lauf von fünf Jahren, wie guter Rotwein, immer besser geworden. Sie haben sich nicht nur mit pepperoni-scharfem Witz Haltungspunkte verdient.
Vielmehr glänzt die „heute-show“ auch damit, dass sie mit cleveren Einspielern die Formen des Fernsehens nutzt. Und damit bieten Hildebrandts Erben weit mehr als eine abgefilmte Kabarett-Bühne. Gerade dann, wenn die ZDF-Spötter politische Veranstaltungen und Demonstrationen besuchen, liefern Befragte oft die besten Satire-Beiträge, wenn sie mit Bierernst Schnapsideen zum Besten geben.
9. Geschickte und spannende Dramaturgie bei "Das Zeugenhaus"
Im deutschen Fernsehen ist es Brauch und Sitte, Zeitgeschichte nachzuerzählen. Heinrich Breloer erfand dafür das Doku-Drama, Nico Hofmann die Geschichtsschmonzette. Thriller-Experte Matti Geschonneck ging einen dritten Weg. Er baute „Das Zeugenhaus“, in dem Nazi-Opfer und Täter vor den Nürnberger Prozessen gemeinsam wohnten mussten, auf dem Fundament einer geschickten, spannenden Dramaturgie.
Dazu kamen Dialoge, die trafen wie wohl gezielte Dartpfeile – und ein Ensemble, bei dem gerade die finsteren Gestalten einen böse schillernden Charme entfalteten.
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10. Per Mertesacker und ein legendäres Interview
Doch was wäre das Fernsehjahr ohne eine angemessene Betrachtung des publikumswirksamsten Ereignisses? Die Fußball-Weltmeisterschaft. Und da haben Weltmeister Per Mertesacker und ZDF-Sportreporter Boris Büchler in kongenialem Zusammenspiel in nur 2:32 Minuten Fernsehgeschichte geschrieben. Was das Interview auszeichnete: Es war purer Journalismus und eben nicht, wie sonst so oft, ein Teil der Fan-Inszenierung von Vereinen und Verbänden.
Doch auch der nach Spiel-Ende ausgepumpte Mertesacker hatte durchaus Sympathien auf seiner Seite: Seine pampige Antwort war spontan, unverstellt, menschlich. Die kleine Szene war Live-Fernsehen im besten Sinne. Wat wollense denn noch mehr?