Essen. . Das Ende eines Show-Dinos, ein Tatort im Tarantino-Stil und einer neuer Bad Boy im deutschen Fernsehen. Der Rückblick auf das Fernsehjahr aus 2014.

Es ist verrückt.Seit 30 Jahren gibt es Privatfernsehen in Deutschland, und ausgerechnet im Jubiläumsjahr präsentiert es sich so schwach wie nie zuvor, quotentechnisch und, schlimmer noch, qualitativ. Daran ändert – sorry, ProSieben – auch der „Circus HalliGalli“ nicht viel.

Stattdessen beweisen die sonst so schwerfälligen Öffentlich-Rechtlichen durchaus die Kraft zur Erneuerung. Wobei auch sie immer wieder mal mit Pleiten, Pech und Peinlichkeiten auffallen, wie der unser Rückblick auf die zehn auffälligsten TV-Momente zeigt.

1. Peinliches Interview mit Samuel Koch

Das ZDF vereint in diesem Jahr Glanz und Elend so stark wie kein anderer Sender. Dass der Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen in Lanz gemessen werden kann, zeigte das peinliche Samuel-Koch-Interview beim Finale von „Wetten, dass..?“. Der Gastgeber wollte es „krachen lassen“, doch am Ende ging der Schuss nach hinten los.

Bleibt die Frage, was wäre aus der Show geworden, wenn der große Gottschalk von Joko und Klaas beerbt worden wäre? Vermutlich „Circus HalliGalli“. Wetten, dass..?

Stimmen zum Ende von "Wetten, dass..?"

Markus Lanz verabschiedet am Samstag den Showklassiker
Markus Lanz verabschiedet am Samstag den Showklassiker "Wetten, dass..?" in den Ruhestand. Das sagen Prominente zum Ende der ZDF-Show: © dpa
Günther Jauch war häufig Gast bei
Günther Jauch war häufig Gast bei "Wettern, dass..?". Zum Ende sagt er: ""Wetten, dass..?" hat über viele Jahre von der Oma bis zum Enkel die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt und über die Sendung wurde am nächsten Tag fast überall geredet. Das bleibt ein großes Verdienst - heute schaffen diesen Lagerfeuereffekt oft nur noch große Sportereignisse." © Getty Images
"Ich finde das Ende der Sendung schade, weil mich die Show an meine Kindheit erinnert. Alle haben sich in den Sessel gesetzt und zusammen "Wetten, dass..?" geschaut", sagt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. © picture alliance / dpa
Schauspieler Wolfgang Stumph war im vergangenen Jahr noch Gast in der Sendung:
Schauspieler Wolfgang Stumph war im vergangenen Jahr noch Gast in der Sendung: "Alles hat seine Zeit - und mit der Zeit sollte man gehen." © imago stock&people
"Das "Wetten, dass..?"-Ende hat für mich eine Bedeutung, weil ich in der Planung bin für eine neue Sendung für das Deutsche Fernsehen, die damit indirekt zusammenhängt. Mehr kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber ansonsten geht halt eine Ära zu Ende; aber ich finde, man muss auch Dinge mal in Würde sterben lassen. Für jede Idee, die stirbt, gibt es eine neue", findet Moderatorin Désirée Nosbusch. © WAZ
Ex-Moderator und Entertainer Thomas Gottschalk:
Ex-Moderator und Entertainer Thomas Gottschalk: "Mit dem ZDF habe ich vereinbart, dass ich mich zum Ende von "Wetten, dass..?" nicht äußere und finde eine Beerdigung im kleinen Kreis auch angemessener als ein Staatsbegräbnis." © imago stock&people
Schauspieler Ralf Möller als Gast bei
Schauspieler Ralf Möller als Gast bei "Wetten, dass..?". Zum Aus der Sendung sagt er: "Es ist gut, dass die Qual ein Ende hat. Es ist schade. Man hätte es vielleicht noch mal mit einem anderen ausprobieren sollen. Einfach nur mal einen lockeren Typ, der es kann. Markus ist gut, aber er ist halt ein Roboter. Das ist nicht schlimm, das ist für Journalismus gut. Aber uns fehlt eben ein Entertainer, ein Harald Juhnke oder ein Thomas Gottschalk, und den gibt es halt nicht." © P. Rest
Auch Sänger Heino war Gast in der Show:
Auch Sänger Heino war Gast in der Show: "Es ist immer leicht, zu sagen, es liegt am Moderator. Es liegt nicht am Moderator, es liegt am ganzen Konzept. Die Sendung ist für mich anderthalb Stunden zu lang. Der Zuschauer will einfach nicht mehr so lange vorm Fernseher sitzen. Für mich ist Markus Lanz ein guter Moderator, der das hervorragend gemacht hat. Aber die Interpreten und die Wetten waren vielleicht nicht mehr so gut. Es ist eine tolle Sendung und ich weiß genau: Wenn man sie überdenkt, kürzer und wuchtiger macht, dann hätte sie eine Chance." © Getty Images
""Wetten, dass..?" ist eine Sendung, die sich lange gehalten hat, wenn man bedenkt, wie schnelllebig andere Dinge sind. Aber sie hat sich ein wenig überlebt und es wird hoffentlich schöne neue Shows geben, die den Platz einnehmen werden", hofft Ex-Glücksrad-Fee Maren Gilzer. © imago/Future Image
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2. Absurde Ranking Shows

Manchmal fällt nicht nur ein Einzelner böse auf, sondern gleich ein ganzes Genre. In diesem Jahr war's die Ranking-Show. Erst musste das Zweite zugeben, dass „Deutschlands Beste“ recht willkürlich zusammengestellt worden waren, dann kleckerten andere Sender hinter.

Die unbestrittene Nummer eins absurder Bestenlisten war das NRW-Talsperren-Ranking des WDR. Sonderlob für Kreativität!

3. Ein grandioser Tukur-Tatort

Apropos Kreativität. Ausgerechnet der kleine Hessische Rundfunk zeigte der Konkurrenz, wo Bartel den Most holt. Tukur, Tatort, Tarantino: „Im Schmerz geboren“ war grandios. Der Film zeigte, was aus Bertold Brecht hätte werden können, wenn er was von bewegten Bildern verstanden hätte.

Nicht der Leichenrekord des Wiesbaden-„Tatorts“ bleibt im Gedächtnis, sondern der raffinierte Mix von Fernsehen, Kino und epischem Theater. Und nebenher jubelte der 90-Minüter dem geneigten Publikum eine ordentliche Dröhnung Klassik unter.

Axel Prahl und Jan Josef Liefers feiern mit ihrem Tatort aus Münster seit Jahren große Erfolge.
Axel Prahl und Jan Josef Liefers feiern mit ihrem Tatort aus Münster seit Jahren große Erfolge. © Imago

4. Tatorte aus NRW

Auch die nordrhein-westfälischen „Tatorte“ schlugen sich wacker. Axel Prahl und Jan Josef Liefers feierten ihren 25. Fall; er war, wie der Titel schon sagte, „der Hammer“. Die beiden Schauspieler haben es geschafft, trotz der wundersamen Vermehrung der „Tatort“-Kommissariate unverkennbar zu bleiben.

Dasselbe darf auch dem Wüterich von Dortmund zu gute gehalten werden: Jörg Hartmann als Kommissar Faber. Tessa Mittelstaedt vom „Tatort“ Köln hingegen führte die Kunst des stilvollen Abgangs vor, indem sich ihre Figur Franziska im Knast als Geisel nehmen ließ. Der Film war im besten Sinn konventionell – und das heißt mörderspannend.

5. Cleverer Chef-Ermittler im ZDF

Das ZDF startete im Frühjahr eine Film-Offensive mit dem Versprechen, bereits samstags Krimis mit „Tatort“-Qualität zu zeigen. Am besten gelang es bisher dem schrägen Trio von „München Mord“, angeführt von Alexander Held, der als Chef-Ermittler seine Cleverness so gut versteckt wie Mafiosi ihr Schwarzgeld – und genau dadurch für seine Gegner zur Gefahr wird.

6. Galliger Humor bei "Die Schlikkerfrauen"

Und das Privatfernsehen? Hatte es dieses Jahr gar nichts zu bieten? Doch. „Die Schlikkerfrauen“ mischten bei Sat.1 das Genre Sozialfilm mit grellem, galligen Humor auf. Die Komödie überdrehte die Implosion des Schlecker-Imperiums zur Farce mit bonbon-buntem Look – und Katharina Thalbach tat mit Herz und Schnauze ein Übriges.

7. Bad Boy Böhmernann

In der Abteilung Lustig hat sich auch was getan. Den bösen Buben – quasi Gegenpart zu dem freundlich verspielten Jux-Duo Joko und Klaas – mimt Jan Böhmermann. Bei der allzu schnell abgesetzten RTL „Was wäre, wenn“ schluffte Bad Boy Böhmermann mit Hitler-Bärtchen Tage lang durch Köln – und kam zu der verblüffenden Erkenntnis, dass sich niemand daran störte.

In der Karneval-Metropole darf jeder Jeck anders sein, Provokation wird manchmal am effektivisten gestoppt durch Ignorieren. Ähnliche Späße erlaubt sich der ehemalige Harald-Schmidt-Schützling auch in seinem „Neo-Magazin“, und manchmal hat er einfach nur Sinn für Unsinn wie in der WDR-Comedy „Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von...“.

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8. Die "heute-show" wird immer besser

Vor nicht allzu langer Zeit gab es klare Grenzen zwischen Comedy und Kabarett. Comedy stand für junges Privatfernsehen mit Lifestyle-Klamauk, Kabarett indes für öffentlich-rechtliche Polit-Satire alter Schule. Inzwischen sind die Grenzen aufgeweicht – der „heute-show“ im ZDF sei Dank. Und wieder einmal hat es für einen Sender gelohnt, Geduld mit einem neuen Format zu haben. Oliver Welke & Co. sind im Lauf von fünf Jahren, wie guter Rotwein, immer besser geworden. Sie haben sich nicht nur mit pepperoni-scharfem Witz Haltungspunkte verdient.

Vielmehr glänzt die „heute-show“ auch damit, dass sie mit cleveren Einspielern die Formen des Fernsehens nutzt. Und damit bieten Hildebrandts Erben weit mehr als eine abgefilmte Kabarett-Bühne. Gerade dann, wenn die ZDF-Spötter politische Veranstaltungen und Demonstrationen besuchen, liefern Befragte oft die besten Satire-Beiträge, wenn sie mit Bierernst Schnapsideen zum Besten geben.

9. Geschickte und spannende Dramaturgie bei "Das Zeugenhaus"

Im deutschen Fernsehen ist es Brauch und Sitte, Zeitgeschichte nachzuerzählen. Heinrich Breloer erfand dafür das Doku-Drama, Nico Hofmann die Geschichtsschmonzette. Thriller-Experte Matti Geschonneck ging einen dritten Weg. Er baute „Das Zeugenhaus“, in dem Nazi-Opfer und Täter vor den Nürnberger Prozessen gemeinsam wohnten mussten, auf dem Fundament einer geschickten, spannenden Dramaturgie.

Dazu kamen Dialoge, die trafen wie wohl gezielte Dartpfeile – und ein Ensemble, bei dem gerade die finsteren Gestalten einen böse schillernden Charme entfalteten.

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10. Per Mertesacker und ein legendäres Interview

Doch was wäre das Fernsehjahr ohne eine angemessene Betrachtung des publikumswirksamsten Ereignisses? Die Fußball-Weltmeisterschaft. Und da haben Weltmeister Per Mertesacker und ZDF-Sportreporter Boris Büchler in kongenialem Zusammenspiel in nur 2:32 Minuten Fernsehgeschichte geschrieben. Was das Interview auszeichnete: Es war purer Journalismus und eben nicht, wie sonst so oft, ein Teil der Fan-Inszenierung von Vereinen und Verbänden.

Doch auch der nach Spiel-Ende ausgepumpte Mertesacker hatte durchaus Sympathien auf seiner Seite: Seine pampige Antwort war spontan, unverstellt, menschlich. Die kleine Szene war Live-Fernsehen im besten Sinne. Wat wollense denn noch mehr?