London. . Anselm Kiefer in der Royal Academy, Sigmar Polke in der Tate Modern, Tobias Rehberger auf der Themse und jetzt eine Ausstellung über 600 Jahre deutscher Geschichte. Nix mehr mit Nazi: Die Briten polieren ihr Bild der Deutschen gerade mächtig auf.

Soviel Deutschland war nie. Es ist, als ob die Briten nicht genug von ihren Cousins vom Kontinent bekommen können. Grimms Märchen in der BBC. Große Anselm-Kiefer-Retrospektive in der Royal Academy. Die Tate Modern zieht mit einer Werkschau von Sigmar Polke nach. Auf der Themse schwimmt das derzeit größte deutsche Kunstwerk: ein einstiges britisches Kriegsschiff, dessen Außenhaut Tobias Rehberger bemalt hat. Und das British Museum eröffnet am Donnerstag eine Ausstellung, die den Briten 600 Jahre deutscher Geschichte erklären soll.

„Germany: Memories of a Nation“ muss immer irgendwo unvollständig sein. Mit rund 200 Exponaten lässt sich die politische, wirtschaftliche und kulturelle Komplexität der europäischen Zentralmacht nur impressionistisch darstellen. Die Ausstellung verrät aber, wie stark der Appetit geworden ist, jenes merkwürdige Volk und seine Geschichte kennenzulernen. Eine dreißigteilige Serie im BBC Radio 4 begleitet die Schau. Museums-Chef und Deutschland-Kenner Neil MacGregor erklärt darin seinen Landsleuten mit vielsagenden Objekten wie der Wurst oder dem VW-Käfer, wie der Deutsche tickt.

Die Ausstellung im British Museum

Die Auswahl der Ausstellungsstücke im British Museum folgt dem von Neil MacGregor in seinem Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ angewandten Muster, Geschichte anhand von Objekten zu erzählen.

Darunter sind eine Replik der Krone von Karl dem Großen, die Gutenberg-Bibel und Tischbeins Goethe-Gemälde, eine Bauhaus-Wiege, Barlachs „Schwebender Engel“, ein KZ-Tor und ein Stück der Berliner Mauer.

In den letzten zehn Jahren hat es einen bemerkenswerten Umschwung beim Deutschlandbild der Briten gegeben. Nach der Wiedervereinigung fürchtete Margaret Thatcher noch, die Deutschen könnten wieder gefährlich werden. Jahrelang dominierten in den Gazetten, wenn es um Deutschland ging, Nazi-Stereotypen und Anspielungen an den Krieg. Besonders beim Fußball. „Wann immer England auf Deutschland trifft“, befand der britische Historiker Peter Beck, „wird das als ein Nachspiel der Weltkriege aufgebaut.“

Da hat dann schon einmal eine britische Boulevardzeitung einen ausrangierten Panzer auffahren lassen, um dem deutschen Gegner zu zeigen, wo es langgeht. Und vor der Euro-96-Partie titelte der „Daily Mirror“ martialisch: „Achtung! Kapitulation! Für euch Krauts ist die Euro 96 vorbei“. Dann gewann dennoch Deutschland, ausgerechnet im Elfmeterschießen.

Preußen-Militarismus und Nazi-Andeutungen sind out

Doch Pickelhaube war gestern, Preußen-Militarismus und Nazi-Konnotationen sind völlig out, wie die Affäre um Richard Desmonds anti-deutsche Tiraden demonstrierte. Als der Besitzer des Boulevardblattes „Daily Express“ im April 2004 seine Meinung über Deutschland zum Ausdruck bringen wollte, lief er mit dem Finger unter der Nase im Stechschritt durchs Zimmer, brüllte „Deutschland über alles“ und entbot den Führergruß. Die Deutschen seien doch „alle Nazis“, meinte er hinterher. So weit, so schlimm.

Doch die Reaktionen auf Desmonds Ausfälle waren weit interessanter und zeigten: Die Briten sind der ewigen Nazi-Frotzeleien müde geworden. „Ein schlechter Witz“, urteilte die „Financial Times“, „beleidigend“, fand der „Guardian“ Desmonds Entgleisung, und die „Times“ verurteilte scharf „das Gift der Vorurteile“. Die Zeiten hätten sich geändert, anti-deutsche Witze seien „weder lustig noch akzeptabel“ und jemand sollte Desmond bitte sagen, dass der Krieg schon lange vorbei ist.

Politischer Streit als Auslöser für neue "Freundschaft"

Der Grund für den Gesinnungswandel: ausgerechnet ein politischer Streit zwischen London und Berlin über den Irak-Krieg. Als im Frühjahr 2003 in der größten Demonstration der britischen Geschichte mehr als eine Million Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Kriegspolitik von Premierminister Tony Blair zu protestieren, traf die Position von Kanzler Schröder den Nerv vieler junger Briten. „Ich wollt’, ich wär’ ein Deutscher“, war auf der Abschlusskundgebung im Hyde-Park zu hören. So schnell geht das: Der pazifistische Deutsche als Vorbild.

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In der Folge stieg das Interesse am modernen Deutschland. Die Zahl der jungen Briten, die zur Techno-Sause nach Berlin flogen, schnellte nach oben. Deutsche Filme wie „Lola rennt“, „Goodbye Lenin!“ oder „Der Untergang“ spielten vor vollen Häusern. Und als Deutschland 2006 die Fußballweltmeisterschaft ausrichtete, entdeckten Tausende von britischen Schlachtenbummlern das Land von einer neuen Seite. Die Deutschen, notierte damals die „Times“ hätten sich als eine „lebensprühende, lässige und lächelnde Nation“ offenbart. Dass das Land Flagge zeigte, die Hymne sang und „Deutschland, Deutschland!“ brüllte, wurde ausdrücklich begrüßt.

"Wir versuchen, gute Deutsche zu sein"

Heute ist das bilaterale Verhältnis entspannter denn je. London sieht in Deutschland einen Verbündeten, der bei der Reformpolitik für die Europäische Union mithilfen soll. Berlin sieht in Großbritannien einen wichtigen Mitstreiter für Haushaltsdiziplin und den Ausbau des Binnenmarkts. Voller Respekt darüber, wie die Deutschen die Wirtschaftskrise gemeistert haben, bemühen sich die Briten, erfolgreiche Rezepte abzugucken.

Sei es das duale Ausbildungssystem, die Fraunhofer-Institute, Mini-Jobs, Hartz IV oder der deutsche Mittelstand: Das Interesse an deutschen Vorbildern ist groß. „Wir versuchen“, sagte der Wirtschaftsminister Vince Cable nur halb im Scherz, „gute Deutsche zu sein.“

"Guardian" rief die deutsche Woche aus

Linksliberale Zeitungen wie der „Guardian“ missionieren geradezu. Vor ein paar Jahren hatte das Blatt eine „deutsche Woche“ ausgerufen, in der den Lesern der EU-Partner in allen möglichen Facetten vorgestellt wurde, vom Gesundheitssystem bis zur Umweltpolitik, vom Elternurlaub bis zur Integrationsdebatte. Der rheinische Kapitalismus wurde als ein mögliches Modell für das Königreich gepriesen.

Bei der Esskultur notierte man die deutsche Obsession mit der Wurst: „von leicht obszönen Thüringer-Pimmeln bis zu der in Ketchup ertrinkenden Currywurst“. Und schließlich konnte der „Guardian“ ganz überraschende Seiten entdecken: „Briten sind oft erstaunt, dass Deutsche anscheinend keinen Alkohol brauchen, um zum ersten Mal miteinander zu schlafen.“