Essen. Bösewicht, klar - und doch passt dieser Udo Kier in keine Schublade. Und immer, wenn man dachte: „Der ist weg vom Fenster“, hat er sich neu erfunden. Ein Gespräch zum 70. Geburtstag lässt den kölschen Hollywood-Mimen plaudern über alte Zeiten, gute und schlechte Filme und seine Freude an Gemälden.
Er stand für Andy Warhol vor der Kamera, hat mit Fassbinder, Wenders, Gus van Sant oder Lars von Trier gedreht und war in Hollywood-Blockbustern wie „Blade“ oder „Armageddon“ als Bösewicht zu erleben. In mehr als 200 Filmen hat Udo Kier gespielt, heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Und ab Donnerstag gastiert er als Anekdoten erzählender Kunstführer der Dokumentation „Arteholic“ in unseren Kinos. Mit dem Kult-Darsteller unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.
Gibt es eine Lieblingsszene in all den Filmen, die Sie gedreht haben?
Udo Kier: Zunächst muss man festhalten, dass von diesen 200 Filmen bestimmt die Hälfte schlecht war. 50 davon kann man sich anschauen und 50 Filme sind gut – das finde ich statistisch gesehen einen recht guten Durchschnitt. Mein persönlicher Liebling ist schon „Dracula“, der war mit einem Etat von nur 300.000 Dollar sehr billig wurde in drei Wochen gedreht, aber ist sehr kunstvoll gemacht. Ein anderer Favorit ist „Narziss und Psyche“ von Gébór Body - den allerdings kein Mensch mehr kennt.
Wie fühlt man sich, wenn man 70 wird?
Kier: Wenn ich daran denke, wie groß mein 60. Geburtstag in Berlin gefeiert wurde mit einer tollen Rede von Christof Schlingensief, dann kommt es mir vor, als wäre das erst drei Jahre her. 70 geht doch, ich kann noch auf der Bühne tanzen und muss nicht hinaufgeführt werden. Mit 80 wird es sicherlich anders, das ist dann schon ein anderes Alter. Aber immer gilt: Die Zeit ist die Sünde.
Sie haben im Sommer beim Filmfest München eine Auszeichnung für Ihr Lebenswerk bekommen. Welchen Stellenwert haben Preise für Sie?
Kier: Preise für das Lebenswerk sind immer etwas befremdlich, aber mit dieser Münchner Auszeichnung befinde mich ja in ganz guter Gesellschaft von Michael Caine und Mario Adorf. Würde man mir den Preis „Euro Trash“ verleihen, nähme ich den natürlich auch dankend an. Preis ist Preis, egal ob das eine Filmrolle ist, aus der Blut fließt oder eine Johnny Walker-Flasche. Meine Preise stehen übrigens nicht angestrahlt auf einem Regal, sondern auf meiner Toilette - da werden sie von den Gästen schließlich zwangsläufig am besten gesehen! (Lacht)
Als Geburtstagsgeschenk für Ihre Fans kann man Sie nun als Kunstführer der etwas anderen Art in der Dokumentation „Arteholic“ erleben, wie kam es zu diesem Projekt?
Kier: Die Idee war von Anfang an, dass dies kein typischer Museumsfilm wird, in dem Udo Kier die Kunst erklärt - das könnte ich gar nicht, dazu fehlt mir die Ahnung. „Arteholic“ ist vielmehr ein Film, in dem ich über die Künstler erzähle, mit denen ich gearbeitet habe.
Sie waren Muse von Warhol und wurden von David Hockney gezeichnet, sammeln sie deshalb?
Kier: Ich bin kein Sammler im klassischen Sinn. Ich habe schöne Sachen von Künstlern geschenkt bekommen oder mir einen Magritte und Giacometti gekauft, als diese noch billig waren. Wenn ich in meinem Wohnzimmer auf die Wand schaue, befindet sich rechts oben ein sehr bunter Indianer von Andy Warhol mit der Signatur ‚For Udo with Love’. Daneben hängt mein Porträt von Robert Mapplethorpe. Es geht weiter mit David Hockney, Robert Longo oder Sigmar Polke - aber dazwischen hängen auch Bilder für 8 Dollar, die ich einfach schön fand. Wenn ich mir beim Kaffee diese Bilder anschaue, dann geht es mir gut.
Ist Kunst schöner als Sex?
Kier: Soweit gehe ich nun nicht. Ich habe jedenfalls keinen Orgasmus, wenn ich ein Bild anschaue - auch keinen intellektuellen Orgasmus! Ich umgebe mich einfach gerne mit schönen Dingen. Dazu gehören neben Bildern für mich auch Möbel, nach denen ich ständig Ausschau halte. In den Second Hand-Läden von Palm Springs bin ich jedenfalls bestens bekannt.
Man erlebt Sie in dem Film beim wortlosen Zeitungslesen mit Lars von Trier – was hat es mit dieser Stummfilmszene auf sich?
Kier: Eigentlich sollte ich in Kopenhagen mit dem Maler Per Kirkeby plaudern, doch er war kurzfristig wegen Krankheit verhindert. Darauf habe ich Lars angerufen, der meinte: ‚Ich rede im Moment nicht’. Also schlug ich vor, dass wir einfach nur gemeinsam in ein Café sitzen und wortlos Zeitung lesen. Die Szene dauert viereinhalb Minuten, aber für mich das einer der schönsten Momente im Film, schließlich liest man ja nicht mit jedem beliebigen Menschen gerne Zeitung.
Warum spricht Lars von Trier denn nicht?
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Kier: Lars hat einfach solche Phasen, wo er nicht sprechen möchte. Andere Menschen gehen zum Schweigen ins Kloster, er macht das lieber bei sich zu Hause. Warum er das tut, weiß ich nicht. Danach frage ich ihn auch nicht - Lars ist schließlich einer meiner besten Freunde
Was dachten Sie damals in Cannes bei der berühmt-berüchtigten Pressekonferenz als sie neben von Trier saßen und der sich selbst als Nazi bezeichnete?
Kier: Ein bisschen geschockt war ich schon. Gleichzeitig weiß ich ja, dass man bei Lars immer mit allem rechnen muss. Allerdings habe ich ihm sofort einen warnenden Blick zugeworfen, damit er bloß nicht auf die Idee kommt, mich womöglich als den noch größeren Nazi zu bezeichnen. Darauf hätte ich nämlich überhaupt keine Lust gehabt.
Haben Sie ihn in diesem Moment ernst genommen?
Kier: Quatsch, Lars ist kein Nazi, das kann ich mit Bestimmtheit sagen. Ich bin seit unserer ersten Zusammenarbeit vor 25 Jahren sein Freund und sogar der Patenonkel seiner ersten Tochter. Wir alle wissen doch, wie gerne Lars provoziert. Man erinnere sich nur daran, wie er damals zu seinem Film „Manderlay“ über George W. Bush gesprochen hat.
Aber warum sagte er so etwas?
Lars ist da Fassbinder ziemlich ähnlich, der sich auf einer Pressekonferenz ja einmal als Anarchist bezeichnet hatte. Das war er genauso wenig wahr wie der Nazi von Trier. Wenn man so viel Wut, so viel Genie und Wahnsinn in sich trägt wie diese beiden, dann brechen solche Provokationen wohl einfach immer mal wieder aus einem heraus.
Was macht einen Film gut für Sie?
Kier: Als Schauspieler mag man Filme, die etwas verändert haben. Bei mir sind das „Dracula“ und „Frankenstein“ sowie „Die Geschichte der O.“ Außerdem die Filme von Werner Herzog, Gus van Sant, Wim Wenders, Schlingensief und Fassbinder sowieso. So unterschiedlich die Filme auch sind, haben sie doch alle etwas verändert.
Was würde Udo Kier denn Udo Kier fragen?
Kier: Ich weiß nicht. Warum leben Sie in dieser Geschwindigkeit und machen so viele Filme? Warum leben Sie kein ganz normales Leben? Manchmal frage ich mich schon, weshalb ich nicht lieber Gärtner geworden bin.