Essen. Bedeutendes NRW-Opernhaus, dazu ein europäischer Starregisseur und ein Werk Giacomo Puccinis. Aber manchmal können auch starke Zutaten zu einem eher schwachen Gericht führen. Die Essener Premiere von Stefan Herheims „Manon Lescaut“ ist am Aalto-Theater ein ziemlich haltloses, überfrachtetes Projekt.

Stefan Herheim hat dem Aalto-Theater mit „Don Giovanni“ und „I Puritani“ starkes Musiktheater beschert. Das ist lange her; der Norweger war noch eine Entdeckung. 2014 muss Essen wohl dankbar sein, sich eine „Manon Lescaut“ des Regiestars mit zwei Häusern (Dresden/Graz) teilen zu dürfen. Wäre Puccini zu schade für einen allein?

Nein, das wäre er wohl nicht. Herheims Markenzeichen, in seinen Inszenierungen der linearen Tragödie grundsätzlich zu misstrauen und werk- wie ideengeschichtliche Böden doppelt bis dreifach einzuziehen, hat Europas Opernpublikum elektrisierende Abende geschenkt. An Puccinis erster großer Oper scheitert seine mutwillige Opulenz der Ebenen allerdings weitgehend.

Ästhetisch verrutscht, nah am Kunstgewerbe

Selbst ästhetisch verrutscht dem sonst so sicheren Team um Herheim der Zugriff. Bedenklich nah am Kunstgewerbe laviert Heike Scheeles Bühne. Die wuchtige Dingsymbolik der einst in Frankreich konstruierten Freiheitsstatue regiert die Bühne. Auf ihren Baugerüsten singen Arbeiter, später klettert aus der aufklappbaren Unabhängigkeitserklärung das dramatische Personal des späten Rokoko-Frankreich.

Auch interessant

Unter ihnen ist auch die Titelheldin: Manon – eine Französin, beschenkt mit Schönheit, aber auch gedrückt von einer gewissen Unsicherheit der Lebensführung. Vom (geplanten) Kloster kommt sie an einen reichen Miesling. Mehr Herz, aber kein Geld hat: des Grieux. Manon steigt auf, des Grieux ihr nach. Beide fliehen: Strafe, Verbannung. Am Ende steht die Wüste von Louisiana. Manon hat Durst, des Grieux nichts zu trinken. Tragisch.

Puccini geistert als Person durch den gesamten Abend

Aber um all das scheint es in Herheims am Samstag mit kräftigen Buhs bedachten Arbeit kaum zu gehen. Schon das musikalische und szenische Vorspiel vor der Postkutschen-Turbulenz des Originals verleiht des Grieux das Doppelgesicht Frédéric-Auguste Bartholdis, des Schöpfers der Freiheitsstatue. Und ihn werden wir diesen ganzen kunterbunten, effektgeladenen, optisch nie langweiligen und doch szenisch oft haltlosen Abend ebenso wenig los wie Giacomo Puccini in Person. Denn Herheim lässt den kettenrauchenden Komponisten als Unerlösten durch seine eigene Oper geistern. Mal scheint er, chaplinesk, die eigenen Geschöpfe nicht im Griff zu haben. Am Ende aber dreht er vom Schreibtisch aus seiner Manon höchstpersönlich den Saft ab.

Übrigens ist dieser Schluss eine vielsagende Szene, was das zentrale Versäumnis der Inszenierung betrifft. So wenig hier ihr Ehrgeiz in Frage gestellt werden soll, mit dieser Oper ein halbes Dutzend Variationen des Themas „Freiheit als (Un-)Glück“ auszuspinnen, so schmerzlich offenbart sich im Finale, wie sehr uns all diese Ansätze von Puccinis Menschen entfernt haben. Je mehr Herheim deutet und interpretiert, desto ferner ist uns das Schicksal dieser Manon. Wie eiskalt ist dies’ Regie-Händchen...

Herausragende Orchesterleistung

Irrtümer vorbehalten, doch scheint am Ende dieser Premiere einer der kürzesten Applause in der Geschichte des Aalto-Theaters zu hören gewesen sein. Der größte Jubel davon galt Essens Philharmonikern. Wie fein das Publikum registriert, was dieses starke Orchester unter Giacomo Sagripanti zu leisten imstande ist. Noch das Sentimentale wird sehnig-straff gehalten: seidig die Streicher, von malerischer Delikatesse die Holzbläser. Eine ganz große Leistung des Klangkörpers und seines Gastdirigenten.

Der Chor, den Herheim vor allem im ersten Teil an schmissige Broadway-Choreografien verrät, hält sich wacker. Gaston Rivero müht sich trotz schöner, fast baritonaler Grundierung als des Grieux – die Höhe des Tenors ist eng, es orgelt merklich. Katrin Kappluschs (Manon) seelenvollem Timbre verdankt der Abend seine vokalen Gipfel. Heiko Trinsingers Bruder Lescaut ist achtbar. Den Fiesling Geronte adelt Tijl Faveyts charakterscharfer Bass.