Münster. . Die neue Ausstellung des Picasso-Museums in Münster ist geprägt von russischen Impressionen. 100 Werke namhafter russischer Künstler “von Malewitsch bis Kandinsky“ zeigen den russischen Konstruktivismus. Im Vergleich zu sehen: 43 Picasso-Arbeiten, “zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion“.
„Die Revolution entlässt ihre Kinder.“ So lautet der vor nunmehr fast 60 Jahren erschienene Bestseller des gerade verstorbenen Historikers und Publizisten Wolfgang Leonhard. In bewusster Anspielung an dieses längst sprichwörtlich gewordene Werk hat das Picasso-Museum in Münster seine neue Ausstellung „Die Revolution entlässt ihre Bilder“ genannt.
Wie bei Leonhard, so geht es auch jetzt in Münster quasi um russische Impressionen. Anhand von 100 Werken aus einer stolzen Privatsammlung (der Sammler möchte bescheiden ungenannt bleiben) entfaltet sich in Münster über zwei Stockwerke und auf gut 600 Quadratmetern ein facettenreiches und schlaglichtartiges Panorama russischer Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhundert.
Manifestation eines bilderstürmenden Zukunftsglaubens
„Von Malewitsch bis Kandinsky“ lautet der Untertitel der Schau, und sie umfasst neben diesen beiden berühmten Aushängeschildern noch zahlreiche weitere illustre Namen wie Wladimir Tatlin, Alexander Rodtschenko, Theo van Doeburg, Laszlo Moholy-Nagy und andere.
Bei all diesen Kreativen geht es um die zentrale Frage, was die streng geometrische Abstraktion in der modernen Kunst leisten kann. Es ist ein geradezu bilderstürmender Zukunftsglaube, der sich hier kunstvoll manifestiert, der ganz offensichtlich an eine bessere Welt glaubt und diese in klaren Formen und Farben aufnehmen und darstellen will.
„Bestmögliches“ im Visier
Regelrecht euphorisch entwickelt Kasimir Malewitsch dazu den Begriff des Suprematismus aus der tiefen Überzeugung heraus, dass tatsächlich „Bestmögliches“ in Kunst und Politik seine Gegenwart beherrscht. Vor dem Hintergrund revolutionärer Veränderungen fühlen sich in Russland entsprechend auch die Maler und Bildhauer aufgefordert und berufen, dem neuen Zeitgeist zu huldigen und ihm ein eigenständiges Aussehen zu verleihen. Das wirkt aus heutiger Sicht in gewisser Weise dramatisch fatal, zugleich aber auch ein wenig rührend.
Die Ausstellung des Picasso-Museums deutet die politische Dimension dieser Avantgardisten allenfalls an. Sie verfolgt in der Hauptsache ein anderes Ziel. Und das heißt natürlich Pablo Picasso. So werden in einem separaten Teil 43 Picasso-Arbeiten unter dem Titel „Zwischen den Stühlen - Picasso zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion“ vorgestellt. Damit gelingt betörend schön gleich ein doppelter Spagat: Zum einen erhalten die russischen Avantgardisten mit ihrem Konstruktivismus einen meisterlichen Picasso-Spiegel vorgehalten. Zum anderen bekommt der Betrachter aber auch unmittelbar die Möglichkeit, die schrittweise Entwicklung vom Konkreten zum Abstrakten anhand mehrerer Picasso-Serien nachvollziehen zu können.
Picasso hat derartige Reihungen häufig im Tagestakt vollzogen; die Hinweisschildchen mit den Entstehungsdaten neben den Bilder werden zu spannenden Protokollen genialer Schaffensprozesse. Beste Beispiel ist dabei vielleicht Picassos Stier-Folge, die binnen weniger Wochen der Jahreswende 1945/46 vom realistisch ausgebildeten Tier hin zur minimalistischen Strich-Reduzierung auf das unbedingt Notwendigste führt.
Picasso schließt den Kreis
So schließt sich auch und gerade mit Pablo Picasso der erhellende Blick auf die (nicht nur russische) Revolution, die - im trefflichen Thema der Ausstellung - ihre Bilder entlässt und die Kunst in eine neue Epoche führt. Das Picasso-Museum in Münster leistet einmal mehr gute Kulturarbeit.