. Im Kunstmuseum war man überrascht und sprach von „einer Fülle schwierigster Fragen“, die das „großartige Vermächtnis“ dem Haus aufbürde. Die Prüfungen auf Raubkunst-Verdacht sollen weitergehen. Fahnder vermuten noch mehr Kunstwerke in Schweizer Depots.

Der am Dienstag verstorbene Cornelius Gurlitt hat seine spektakuläre Kunstsammlung dem Museum im schweizerischen Bern vermacht. Gurlitts Anwalt informierte am Mittwoch das Kunstmuseum, das von Gurlitt zum „unbeschränkten Alleinerben“ gemacht wurde. Dort war man offenbar sehr überrascht, weil es zwischen Gurlitt und dem Museum bislang keine Berührungspunkte gab. Im Museum sprach man von einem „großartigen Vermächtnis“, das freilich auch „eine erhebliche Verantwortung und eine Fülle schwierigster Fragen aufbürdet, Fragen insbesondere rechtlicher und ethischer Natur.“

Cornelius Gurlitt, der nirgendwo gemeldet war, hatte ein Leben lang unerkannt mit 1200 Bildern und anderen Kunstwerken gelebt. Sie waren das, was er „liebte“. Mindestens 384 dieser über Jahrzehnte geheim gehaltenen Teile sind nach den ersten Expertisen recht sicher dem Bereich der „entarteten Kunst“ zuzuordnen, um die die nationalsozialistischen Machthaber die meist jüdischen Eigentümern gebracht haben. Gurlitt hat sie von seinem Vater Hildebrandt geerbt, einem der vier Kunsthändler, die für die Nazis die geraubten Werke verkaufen sollten. Bei weiteren 593 Werken muss dies intensiv geprüft werden. Einige hundert Stücke dürften Gurlitt selbst gehören.

Weitere Schätze in Schweizer Depots?

Der Tod des alten Mannes ist mitten in die auf Hochtouren laufende Herkunftsforschung geplatzt, die der deutsche Staat vor einem halben Jahr angeschoben hatte und für die er sich zwölf Monate Zeit nehmen wollte. Zu klären ist: Wem gehören die Kunstwerke, die der Zoll 2012 bei einer Hausdurchsuchung gefunden hat? Kann ihr Weg in den letzten 80 Jahren noch ermittelt werden? Und wie ist die „ausländische Institution“ in Österreich oder der Schweiz einzuordnen, die den Schatz im Wert dreistelligen Millionenhöhen nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung erst einmal erbt?

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Der Hinweis auf die Alpenländer bringt neue Brisanz in die Affäre. Cornelius Gurlitt hat Zeit seines Lebens Geschäfte über diese südlichen Nachbarstaaten gemacht. Er hat vom gelegentlichen Verkauf aus seinem Bestand gelebt, hat er selbst gesagt. Doch wie gelegentlich war dies? Schon sein Vater hat mit der Berner Kunsthandlung Kornfeld zusammengearbeitet, die damals noch Gutekunst hieß. Ermittler haben den Eindruck, dass ein anderer – größerer? - Teil des „Schwabinger Kunstfundes“ in Depots jenseits der Grenzen liegen könnte.

18 neue 500-Euro-Scheine

Es steht kulturell wie politisch viel auf dem Spiel. Zahlreiche Meldungen von Erben jüdischer Verfolgter, auch von ganzen Staaten liegen auf dem Tisch der Bundesregierung. Spitzwegs „Klavierspiel“ ist ein Verdachtsfall. Die französische Republik meldet seit den 50er Jahren Anspruch auf die Rückgabe von sechs Meisterwerken an, die möglicherweise unter Gurlitts Vermögen gemischt sind. Was Gurlitt „verwaltet“ hat, sind – von Monet bis Picasso – schließlich die Protagonisten-Stücke der Szene des frühen 20. Jahrhunderts.

Deutsche Fahnder sind den Geschäften Gurlitts seit der Grenzkontrolle im Zug bei Lindau 2010, bei der er mit 18 neuen 500-Euro-Scheinen ertappt worden war, auf der Spur gewesen. Seit 1983 und 1988 soll er über Schließfächer bei einer Zürcher Bank verfügt haben. Dazu kommt sein Haus im österreichischen Salzburg. Hier liegen weitere hunderte Werke.

Ein Macke aus Gurlitts Sammlung?

Doch die deutschen Behörden sind bei ihren Recherchen nicht vorangekommen und bei den Nachbarländern schon mit Rechtshilfeersuchen aufgelaufen. Verdachtsfälle gibt es auch im Inland. Eine renommierte Berliner Kunsthandlung hat 2007 für 2,4 Millionen Euro „Frau mit Papagei in einer Landschaft“ von August Macke verkauft – ein Bild, das auch aus Gurlitts Raubkunst-Sammlung stammen könnte. Doch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg, wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer eingeleitet, hat mit dem Tod automatisch geendet. Die Strafakte? Ist geschlossen.

Weitere Raubkunst in vielen deutschen Museen 

Werden die jüdischen Nachfahren jetzt je an das Eigentum ihrer Ahnen kommen? Die Justizbehörden in Berlin und München glauben: Ja. Der Vertrag, den man mit Gurlitt am 7. April geschlossen hat, binde auch die Erben, heißt es dort. Oder im Klartext: Die Provenienzforschung darf weitergehen – auch, wenn der Kunstfund ins Ausland wandert. Und Ansprüche auf die Rückgabe de Raubkunst dürften nach einem „fairen und gerechten“ Abgleich der Interessen nicht erlöschen.

Tatsächlich kann sich die Bundesrepublik einen Eklat, der durch eine folgenlose Vererbung ausgelöst würde, gar nicht erlauben. Denn die im Kanzleramt zuständige Staatsministerin Monika Grütters (CDU), die selbst zum Thema Raubkunst promoviert hat, glaubt: In vielen deutschen Museen, vor allem in kleineren kommunalen, liegt Raubkunst im Keller. Provenienzforschung aus eigener Tasche können die nicht bezahlen, fürchtet Grütters.

Tausende Restitutionsfälle abgewickelt

Die Bundesregierung operiert mit großen Zahlen: 112 öffentliche Institutionen haben bis Dezember 25 273 Objekte an die staatliche Magdeburger Datei Lost Art gemeldet, um die Herkunft zu verifizieren. Bei diesen kann, „NS-verfolgungsbedingter Entzug vorliegen oder zumindest nicht ausgeschlossen werden“. Weit mehr, 90 000 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken in 67 Museen und 520 000 Bücher in 20 Bibliotheken stehen auf der großen Check-Liste. Allerdings sind auch viele tausende Restitutionsfälle, in den meisten Fällen Bücher, längst abgewickelt. Geräuschlos.

Grütters will die Recherchen vorantreiben, auch wenn sie zur Vorsicht mahnt. Ihre Linie: Eine automatische Rückgabe geht nicht. Viele der Käufer im Dritten Reich könnten aus durchaus ehrenwerten Motiven gehandelt haben. Sie wollten wichtige „entartete“ Werke vor der Vernichtung retten. Nur im Konsens könne es deshalb Lösungen geben.

Israel lädt Prüfer aus Deutschland ein

Die finanziellen Mitteln aus der Staatskasse, die zur Forschung nach der Herkunft eingesetzt werden können, sind mittlerweile auf vier Millionen Euro verdoppelt. 60 Experten sind bundesweit an der Arbeit. 12 stehen alleine für die Aufklärung der Gurlitt-Werke zur Verfügung. Ab Herbst wird, gehen die Pläne der Staatsministerin auf, ein „Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste“ in Form einer Stiftung arbeiten. Dort wird die Herkunftsforschung koordiniert.

Immerhin: Auch Limor Livnat, Israels Kulturministerin, hat kürzlich die deutschen Bemühungen gelobt. Sie hat Monika Grütters gefragt, ob deutsche Herkunftsforscher nicht auch israelische Museen nach Raubkunst überprüfen könnten. Dort stammen 40 Prozent der Bestände aus Deutschland. Frühere (jüdische?) Eigentümer sind unbekannt. „Einen besseren Vertrauensbeweis“, sagt Grütters, „gibt es kaum“.