Rom. . Die einen müssen Jahre warten, bei den anderen geht es ganz schnell: Am Sonntag wird Papst Franziskus Johannes Paul II. neun Jahre nach seinem Tod heilig sprechen. Was Heiligsprechung in der Moderne bedeutet erklärt Dogmatik-Professor Peter Hünermann im Interview.

Manche müssen Jahrhunderte warten, bei Johannes Paul II. ging es schnell: Neun Jahre nach seinem Tod wird Karol Wojtyla, Papst des europäischen Umbruchs, Sonntag in Rom heiliggesprochen. Mit ihm Johannes XXIII., der 1962 das Zweite Vatikanische Konzil einberufen hat. Paul Kreiner sprach mit dem emeritierten Tübinger Dogmatikprofessor Peter Hünermann über Heiligkeit – und wie sie mit dem einen oder anderen Sündenfall der Kandidaten zu vereinbaren ist.

Was ist Heiligkeit? Muss einer, um heilig zu werden oder zu sein, den ganzen Tag lang beten?

Peter Hünermann: Nein, so starre Muster gibt’s nicht. Aber Vorbilder sollten die Heiligen schon sein. Genauso wie die Bischöfe, die Hirten der Kirche. Das sagt schon Paulus ganz selbstverständlich im Neuen Testament: Richtet euch an meinem Lebensstil aus, daran, wie ich zu Christus stehe! Menschen orientieren sich immer an Autoritäten, bei den Kindern angefangen, die sich an den Eltern orientieren.

Und in ihren zweitausend Jahren hat die Kirche ganz verschiedenartige Menschen heiliggesprochen. Je nach der geschichtlichen Situation, nach dem religionspädagogischen Ansatz der Zeit, je nach dem Wirken innerkirchlicher Lobbygruppen wandelt sich der Typ von Heiligen. Auch sind immer wieder politische Einflussnahmen und Entscheidungen mit im Spiel. Oder das Drängen von einzelnen Orten oder Ländern, die alle ihren Spezialheiligen wollen. Auch Auswüchse gab es – die Herstellung und Verbreitung von Reliquien zum Beispiel. Und es muss ja einer auch nicht heiliggesprochen werden, damit er heilig ist. Bei der Heiligsprechung geht es vielmehr darum, ob dieser Mensch öffentlich verehrt werden soll.

Kritiker sagen, unter Johannes Paul II. sei ein ganzes System an Kindesmissbrauch konsequent vertuscht worden...

Hünermann: Ich hoffe, dass man auch diese Frage sehr gründlich geprüft hat. Wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, hielte ich das für einen schweren Fehler. Denn es gibt in seiner Biografie einige kritische Punkte. Als zum Beispiel der Kindesmissbrauch durch Hans Hermann Groër hochkochte, der damals Erzbischof von Wien war, machte Johannes Paul II. einen Österreichbesuch und nahm Groër ausdrücklich in Schutz.

Als ich damals seine Ansprache las, habe ich mich gefragt, inwieweit der Papst vor einer solchen Reise einen Blick in die österreichische Presse geworfen habe, wo alle möglichen Sachen behauptet und aufgedeckt wurden. Ich hoffe nur, dass solche Fragen bei dem Heiligsprechungsprozess zur Sprache gekommen sind und dass man auch geklärt hat, wie das ganze lief, inwieweit er wirklich informiert war, wer ihm seine Texte geliefert hat und so weiter.

Ist eine Heiligsprechung ein unfehlbarer Akt?

Hünermann: Nein, ich meine nicht. Gut, es wird die öffentliche Verehrung gestattet, das ist natürlich eine Frage, die den Glauben berührt. Aber hier von Unfehlbarkeit zu reden... Ich kann nur sagen: Die Barmherzigkeit Gottes ist groß (lacht). Aber für uns alle, die wir Sünder sind.

Franziskus hätte auch die Möglichkeit gehabt, einen absoluten Sympathieträger heilig zu sprechen: Mutter Teresa, die 2003 sehr schnell selig wurde, dann aber nicht weiter vorangekommen ist. Fehlt ihr die Lobby im Vatikan?

Hünermann: Was im Einzelnen los war, weiß ich nicht. Mutter Teresa hat bestimmt vielen die Augen geöffnet für die Misere der Leute in den Entwicklungsländern. Sie hat das verbunden mit einer Zuwendung, die völlig verzichtet auf Einsatz von technischen oder medizinischen und anderen Mitteln. Das hat wahrscheinlich auch einen gewissen Anstoß erregt. Sie hatte ihr Charisma, sie hat ein ganz starkes Zeichen gesetzt. Aber solche Leute haben’s oft schwer.

Oder nehmen Sie Oscar Romero (den 1980 ermordeten Bischof von San Salvador, ei­nen sozial engagierten Verfechter der Befreiungstheologie, A.d.R.) Johannes Paul II. hat bei seinem letzten Besuch in Mittelamerika die Bischofskonferenz ausdrücklich darauf angesprochen, aber die haben mehrheitlich Nein zur Seligsprechung gesagt. Da merkt man, wie stark die inneren Spannungen auch in der Kirche sind.

Warum gibt’s unter heiliggesprochenen Politikern nur Kaiser und Könige, aber keine Demokraten?

Hünermann: (zögert lange) Ich glaube, das hängt mit mehreren Dingen zusammen. Einmal ist Politik in einer Demokratie immer auch Parteipolitik. Bekäme also, sagen wir, die CDU einen Heiligen, dann bräuchte die SPD mindestens auch einen. Das ist die eine Schwierigkeit. Zum anderen hat man in der Kirche immer noch gewisse Reserven gegenüber dem ganzen politischen Geschäft. Eine ganz interessante Form, Politiker ins Blickfeld des Glaubens zu rücken, gibt’s auf der Schwäbischen Alb. Dort hat ein Pfarrer schöne Holzfiguren in der Kirche aufgestellt. Mutter Teresa, Oscar Romero, aber auch Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Da sieht man auch sofort: Die hatten alle sehr viel mit der Politik zu tun. Man sieht aber auch: Da sind konfessionelle Grenzen gar nicht mehr so gefragt. Wo es um große Gestalten in der Politik geht, die aus dem Glauben leben, da ist immer eine ökumenische Komponente mit drin, auch eine Beziehung zu anderen Religionen. Das sind Anzeichen, dass sich etwas Neues herausbildet.