Essen. Der Schriftsteller Petros Markaris hat mit "Die Kinderfrau" seinen fünften Kriminalroman vorgelegt. Diesmal ist der knurrige Kommissar Charitos aber nicht in Athen, sondern in Istanbul unterwegs - der Geburtsstadt des Autors.

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© Diogenes Verlag

„Die Kinderfrau“ sei das persönlichste Buch von Petros Markaris, heißt es in der Verlagsankündigung. Ist es aber nicht, selbst wenn sich der 76-jährige Autor ausdrücklicher als sonst aus dem Requisitenschrank seines Lebens bedient. Es ist vielleicht auch nicht sein bestes Buch. Bei einem Autor seines Formats reicht es freilich immer noch zu einem mitreißend erzählten Kriminalroman, der sich bedenkenlos empfehlen lässt - besonders denen, die dem schrulligen Charme des Kommissars Kostas Charitos noch nicht verfallen sind.

Im fünften Band der Charitos-Reihe beordert Markaris seinen kleinbürgerlich konditionierten aber mit gesundem Menschenverstand ausgestatteten Leiter der Athener Mordkommission zum Auswärtsspiel nach Istanbul. Also von der attischen Betonwüste in die nicht minder mit Bausünden zugewucherte Millionenmetropole am Bosporus, die von den Griechen noch immer Konstantinopel oder schlicht „i Polis“, „die Stadt“ genannt wird. Hier wurde Markaris 1937 als Sohn eines Armeniers und einer Griechin geboren. Hier wuchs er auf, besuchte eine österreichische Schule, bis er 1965 nach Pogromen türkischer Nationalisten fliehen musste. Mehr als vierzig Jahre später ist er zurückgekehrt, um seinen Kommissar ermitteln zu lassen.

Mörderische Käsepita

Eigentlich reist Charitos mit seiner Frau Adriani nur hierhin, um sich von einem Schock zu erholen. Die Tochter der beiden hat geheiratet. Standesamtlich. Nur standesamtlich. Für den Spießer im Ermittler ein mittelschwerer, für seine je nach Lebenslage gottesfürchtige Ehefrau eine gesellschaftlicher Skandal. Das Private wird sich im Verlauf der Geschichte zwischen Tradition und Moderne fügen, im Hintergrund. Denn ab Seite 46 tritt eine 90-jährige Mörderin auf den Plan: Maria Chambou.

Die alte Dame tötet nicht aus Leidenschaft, sie tötet, um Erfahrenes zu rächen. Die Chambou vergiftet ihre Opfer mit einem Insektizid, das sie ihrer viel gerühmten Käsepita beifügt. Mord für Mord, Schicht um Schicht entblättert Markaris die tragische Lebensgeschichte einer Frau, die ihn im wahren Leben als Kinderfrau großzog. Und da es Griechen sind, die hier auf türkischem Boden ermordet werden, muss Charitos mit der türkischen Polizei kooperieren.

Nationalismen meisterlich karikiert

Die Hagia Sophia in Istanbul, der Stadt, in der Kommissar Charitos diesmal ermitteln muss.
Die Hagia Sophia in Istanbul, der Stadt, in der Kommissar Charitos diesmal ermitteln muss. © WR

Natürlich ist das Misstrauen zu Beginn auf beiden Seiten leidenschaftlich. Dabei ist es dem jungen türkischen Kommissar Murat Saglam zu verdanken, dass die beiden doch noch zusammenfinden und den Fall lösen. In ihrem Sinne lösen. Was das genau bedeutet, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Wichtiger in diesem Zusammenhang ist der Satz von Saglam, der nach seiner Ausbildung bei der Polizei in Deutschland in die Türkei wechselt, als er resignierend feststellt: „Minderheiten stehen immer unter Generalverdacht und tragen immer eine Kollektivschuld.“

Die Schuldfrage zwischen Türken und Griechen behandelt Markaris insoweit, als er jedwede Art von Nationalismus meisterlich zu karikieren weiß. Ebenso geübt ist der Autor im präzisen, mit Metaphern geradezu geizenden Erzählstil. Die Handlung hat hier in jeder Zeile Vorfahrt gegenüber verzierender Fabulierungskünste.

Markaris, Übersetzer von Goethes und Brechts Werken, hat sich lange gegen eine literarische Verarbeitung seiner Geburtsstadt gewehrt. „Ich wollte mich nicht von der Vergangenheit gefangen nehmen lassen“, sagte er einmal im Gespräch. Deshalb hat der Autor seinen knurrenden Kommissar vorgeschickt, dem von seiner dramaturgischen Anlage her nie eine verträumte gar nostalgische Silbe über die Lippen kommen würde. Ermittler Charitos’ emotionalste Ausbrüche sind knochentrockene Kommentare wie dieser: „Es ist gar nicht so einfach, zwei Seelen in seiner Brust zu vereinen: den Touristen und den Bullen.“